Die IAA Transportation war ein Schatten ihrer selbst, fast wirkte sie wie die letzte Pkw-Ausgabe in Frankfurt am Main anno 2019. Nicht einmal der VDA selbst schaffte es, in seine Messe-Zeitung den Bus angemessen sichtbar zu machen. Viele Kunden machten einen Bogen um Hannover und zeigen lieber gleich nach Berlin zur ÖPNV-Messe Innotrans weiter. Was die Zukunft bringen wird, bleibt abzuwarten, oder: „Die Karten werden neu gemischt“, wie Till Oberwörder uns im Interview sagte. Trotz der unübersichtlichen Gemengelage wollen wir eine Übersicht über die wesentlichen Neuheiten verschaffen

Die Marke Setra war der heimliche Star der IAA, auch wenn die überarbeitete Baureihe 500 nicht physisch auf dem deutlich verkleinerten Daimler-Stand ausgestellt wurde, sondern lediglich der Presse vorab gezeigt wurde, um am darauffolgenden Wochenende den Kunden live in Neu-Ulm präsentiert zu werden. Die äußerlichen Retuschen durch Haus-Designer Stefan Handt halten sich sehr in Grenzen, am auffälligsten sind noch die neuen Markensignets an der Seite und die stark der Top-Class angeglichene Comfort-Class Front mit verfeinerten Scheinwerfern. Die eigentlichen Änderungen finden unter dem edlen Blechkleid statt: durch die aktuelle Elektronikplattform werden erstmals im Reisebus hochentwickelte Daimler Systeme wie er Notbremser ABA5 und auch der Active Drive Assist 2 verfügbar, der im Lkw in erster Version schon seit 2018 im Einsatz ist. Für den Bus hat man sich in Neu-Ulm noch bis zur zweiten Version Zeit gelassen ­– schließlich geht es um viele Menschen an Bord. Das Level 2 taugliche Assistenz-System macht den ersten Schritt zur Teilautonomie und fusioniert die Längs- und Querführung mit einer Notfallbremsung zu einem echten Helfer auf der Autobahn. Statt wie bisher nur zu Warnen beim unabsichtlichen Verlassen der Spur wird diese jetzt automatisiert gehalten und dies sogar in drei wählbaren Korridoren. Sollte den Fahrer diese Entlastung so in Trance versetzen, dass dieser gar nicht mehr reagiert, leitet der Bus automatisch eine sanfte Notfallbremsung in der Spur ein, auch wenn diese eine Kurve beschreiben sollte. Außerdem neu: die brandneue Multimediaanlage von Bosch mit 22-Zoll Voll-HD Bildschirmen und den modernsten Streaming-Möglichkeiten. Diese Modernisierung war lange überfällig und wird sicher die Kunden erfreuen. MAN und NEOPLAN waren nur durch einen elektrischen Shuttlebus auf der IAA vertreten, die Münchener hatten aber vorab eine veritable Elektro-Offensive angekündigt und heimsten auf der Messe dann passend dazu den „Bus of the Year 2023“ Titel ein.

 

 

Elektrisierend ging es denn auch auf dem Stand von Temsa zu. Der türkische Hersteller hat sich ja mit Skoda Transportation zusammengetan und sich die beiden Messen so aufgeteilt. Unverständlicherweise zeigten die Türken aber keinen Reisebus, für den sie auch weiterhin im deutschsprachigen Raum im Verbund zuständig sein werden, sondern den baugleichen Avenue Electron, der als Elektro- und Wasserstoffversion von Skoda in Berlin gezeigt wurde. Neu war bei Temsa dann aber der Überlandbus LD SB, der auch hierzulande als Schulbus vertrieben wird. Jetzt wird der Bus mit leichten blauen Retuschen der Front in Klasse II und III (!) als Elektroversion angeboten, einer der wenigen Vertreter dieser Überlandklasse. 2025 schon will das Unternehmen 50 Prozent Zero Emission Fahrzeuge verkaufen. Die leistungsfähigen NMC Batterien sitzen im Heck und im Kofferraum, die gezeigte 13 Meter Version soll bis zu 61 Sitze bieten, einen 12 Meter Wagen soll es auch geben. Weitere technische Angaben wie zur Reichweite wurden leider nicht gemacht, für den deutschen Markt soll neben dem Geschäftsführer Umut Kamay nun auch der Europa-Verantwortliche Serkan Uzunay direkt ansprechbar sein. Man darf gespannt sein, wie sich Temsa und Skoda in Deutschland vertriebstechnisch sortieren werden.

 

 

Schwer tut sich auch Anadolu Isuzu auf dem für das Unternehmen „strategischen deutschen Markt“, jetzt will man aber mit einem eigenen Vertrieb unter der Ägide von Metin Ataman und dem ehemaligen Volvo Vertriebler Igor Hildebrandt durchstarten. Der Niederflur Stadtbus Citi Volt 12 ist der erste Full-Size Elektrobus des türkischen Herstellers, und soll über 100 Passagiere befördern können, bei maximal 37 Sitzen. Die Proterra-Batterien auf dem Dach mit wahlweise 247 bis üppigen 495 kWh Kapazität sollen dabei für Reichweiten bis zu 480 Kilometer gut sein und in rund drei Stunden mit 150 Kilowatt aufgeladen sein. Netter Gag: eine der LED-Fahrzielanzeigen ist direkt über der Tür 1 angebracht – fraglich wieso bisher niemand auf diese sinnige Idee gekommen ist. Angetrieben wird der Citi Volt 12 von der bewährten ZF AxTrax AVE, man sei hier aber sehr technologieoffen, wie es auf der Pressekonferenz hieß.

 

 

Das lässt sich auch vom ebenfalls türkischen Hersteller Karsan sagen, der nach seiner auf dem Sileo Design basierenden Elektrobus e-ATA in den Längen von 10 bis 18 Metern und dem (teil-)autonomen Kleinbus eATAK – der auch in Hannover seine Runden drehte, allerdings mit Fahrer – nun auch dem Trend folgend einen 12 Meter Wasserstoffbus vorstellte und vollmundig als „Weltneuheit“ ankündigte, die auch parallel in Berlin gezeigt wurde. Karsan CEO Okan Baş rechnet schon 2030 mit rund 15 Prozent Marktanteil von Wasserstoffbussen und einer Stückzahl von rund 2.000 Einheiten im Jahr. Die Ausrüstung des Busses mit der kleinen Ballard FC Move Zelle mit 70 kW und einer 30 kW LTO-Batterie entspricht weitestgehend dem sich gerade etablierenden Standard auf dem Stadtbusmarkt. Mit rund 1.500 Litern oder 37,5 kg in den neuen Typ 4-Flaschen sollen rund 500 Kilometer mit ca. 100 Passagieren möglich sein. CEO Okan Baş bei der Präsentation in Hannover: „Wir mögen nicht die Erfinder der Technologie sein, aber wir zielen drauf ab, neue Technologien schnell zu integrieren.“ 2023 soll auch ein 18 Meter Wagen mit dem emissionsfreien Antrieb zu haben sein.

 

 

Ein weiterer reiner Wasserstoffbus wurde von Nesobus, einer Tochter der schwerreichen polnischen Polsat-Gruppe vorgestellt. Bis Ende 2023 sollen 50 Busse aus dem in Bau befindlichen Werk bei Lublin rollen. Der Bus soll bis zu 93 Personen befördern und eine Reichweite von bis zu 450 Kilometer haben. Der Antrieb ist die ZF Elektroachse AxTrax AVE. Es ist der erste Bus mit beworbenem 5G Internet an Bord und kontaktlosen Ladeschalen an den Seitenwänden – kein Wunder, ist Polsat doch vor allem in der Telekommunikation tätig

 

 

Wasserstoff ist seit Jahrzehnten in aller Munde und bisher vor allem im Stadtbus angekommen, auch in diesem Jahr gibt es viele Neuheiten und mit dem Solaris Urbino 18 einen ersten Gelenkbus, der in Berlin auf der Innotrans zu sehen war und kurz zuvor seine rauschende Premiere in Krakau feierte. Aber gerade im Reisebus macht die Technologie am meisten Sinn, gehen die Reichweiten doch massiv nach oben ohne allzu viele schwere Batterien mit herumzuschleppen. Der hierzulande weitgehend unbekannte Hersteller Allenbus aus Hong Kong hat zusammen mit dem Brennstoffzellenproduzenten Sinosynergy einen sehr ansehnlichen Brennstoffzellen-Reisebus mit Marco Polo-Aufbau nach Hannover geschickt, den es alternativ auch als reine Elektroversion gibt. Letzter ist genauso wie der Brennstoffzellenbus mit LFP-Batterien mit 423 kWh von CATL ausgerüstet für eine Reichweite von 300 bis 400 Kilometern, sein wässriger Bruder allerdings soll 500 bis 600 Kilometer mit vier bis sieben Flaschen Druckwasserstoff mit 700 bar schaffen. Diese Technik bieten sonst nur Pkw und steht für besonders hohe Kapazitäten an Bord – trotzdem ist beim Ausstellungsfahrzeug der Kofferraum weitgehend mit der Technik ausgefüllt, es sollen je nach Ausführung zwei bis zehn Kubikmeter Stauraum bleiben. Als Motor wird ein Danfoss-Zentralmotor nach PSM-Prinzip mit 240 kW Spitzenleistung und 720 Newtonmetern verbaut – in China seit langem Standard. Dazu gesellt sich ein Eaton Viergang-Getriebe, wodurch Drehmoment und Steigfähigkeit stark ansteigen können. Eine durchaus spannende Mischung und neben dem Setra sicher der faszinierendste Reisebus der Messe!

 

 

Einen ganz anderen Weg gehen das Trio Keyou/Voith/Solaris, die einen konventionellen Urbino mit einem Wasserstoffverbrennungsmotor von Deutz ausstatten – ein Prinzip das in den 00er Jahren vor allem MAN und BMW vorantrieben, aber 2009 abrupt fallen ließen. Heute arbeitet fast jeder große Motorenhersteller außer Daimler wieder an dem Thema. Voith steuert sein DIWA NXT Getriebe mit 48V Rekuperationseinheit bei, um den konventionellen Verbrenner, der weitgehend emissionsfrei ist, auch ein wenig zu elektrifizieren. Dass Solaris das Grundfahrzeug stellt, hat wohl etwas mit dem alten CEO Andreas Strecker zu tun, vertreiben wollen die Polen dagegen die eigenen Brennstoffzellenbusse. Und bis der Keyou Bus serienreif ist, soll es ohnehin noch etwas dauern – der Truck hat derzeit Vorfahrt.

 

Also auf nach Berlin zur Innotrans!

Die Messe Innotrans ist riesig und hat als einzige weltweit einen eigenen Gleisanschluss, der Bus ist hier bisher leider eine Ausnahmeerscheinung, die brav im Sommergarten ihre Runden dreht. Trotzdem hat dieser bescheidene Auftritt von rund 15 Bussen unter freiem Himmel der ehemals großen IAA bei Experten weitgehend den Rang abgelaufen. Unzweifelhafter Star der Messe aus Bussicht war sicher der kompromisslos als Elektrobus konstruierte VDL Citea, der schon Anfang 2021 digital vorgestellt wurde, aber aus diversen Gründen bisher nicht ins Laufen kam. Die ersten Eindrücke vom Innenraum und Cockpit sind sehr viel versprechend, rund 500 Busse sind schon verkauft.

 

Nicht ganz so viele Einheiten hat der belgische Busbauer Van Hool bisher abgesetzt, nachdem der Bus in Paris gezeigt wurde, feierte er hier seine Deutschland-Premiere. Aus er ist nur emissionsfrei zu haben als Batterie-, Brennstoffzellen- und Trolleybus, das vorerst von 12 bis 24 Metern, darunter auch Dreiachser. Besonders besticht die stark abgerundete Front des Busses mit den neuen, markenprägenden Scheinwerfern, die man sicher noch an weiteren Modellen sehen dürfte. Dahinter verbirgt sich Einiges an Sicherheitstechnik und ein völlig überarbeiteter Fahrerarbeitsplatz. Im Innenraum wurde vor allem auf die neue Klimatisierung Wert gelegt, die natürlich deutlich effizienter als bisher ist. Die Anlagen dieses Wagens sind durchaus dazu angetan, das Mauerblümchendasein der Belgien in Deutschland zu beenden. Sehr spannend ist das Projekt Wasserstoffwerkstatt von RMV/fahma in Gießen mit zwei Bussen, das wir eng begleiten werden.

 

 

Škoda Transportation zeigte ebenfalls sein Angebot an auf dem Temsa Avenue basierenden Elektrobus sowie ein erstes Brennstoffzellenfahrzeug, das mit Traktionsantrieb aus Pilsen ausgestattet ist. Die Busse lassen sich sehr flexibel an das Verkehrssystem anpassen, so laden die ersten Elektrobusse in Prag über die vorhandenen Oberleitungen. Das Wasserstoffsystem bringt keine großen Überraschungen mit sich, es richtet sich beinahe sklavisch an den Daten vieler Wettbewerber aus. First Mover ist Škoda bei einem anderen Thema: prädiktive Wartung mit dem hochdynamischen Startup  Awake Mobility aus München. Die Europa Chefin Tanya Altmann unterzeichnete am Rande der Messe eine entsprechende Vereinbarung mit Gründer und CEO Daniel Tyoschitz.