Schon im Jahr 2013 hat VDL Bus & Coach als einer der ersten Hersteller auf dem Markt mit dem Verkauf von elektrischen Citea-Stadtbussen begonnen. Seitdem wurden mehr als 1.300 elektrische Citeas produziert und sind täglich in Betrieb – das summiert sich bisher bereits auf stolze 200 Mio. elektrische Kilometer und auf überschlägig rund 160.000 Tonnen erspartes CO2 (bei einem Dieselverbrauch von 30l/100 km). Im ersten Halbjahr 2022 konnte VDL trotz des etwas holprigen Anlaufs des neuen Citea mit 242 Bussen die Marktführerschaft in Europa mit 13,7 Prozent verteidigen – vor BYD, Yutong und Mercedes. 2021 verzeichneten die Niederländer ein Allzeit-Tief von 175 Bussen oder 5,4 Prozent Marktanteil. In der Langzeitbetrachtung von 2012 bis Mitte 2022 sortiert sich VDL hinter Solaris knapp auf Platz Zwei ein. Alles in allem eine gute Position, die sich mit dem neuen Wagen, der bereits 550 mal ohne physische Präsentation verkauft wurde, nochmals verbessern dürfte. Für die Produktion, die im ersten Quartal 2023 starten soll, wird im belgischen Roeselare eine „grüne, klimaneutrale Fabrik“ gebaut, aber der Citea soll auch noch im Stammwerk in Valkenswaard „vom Band laufen“. Nicht nur bei der Produktion will man umweltfreundliche Wegmarken setzen, auch beim „Ethical Sourcing“ – also der ethischen Beschaffung von Teilen und Rohstoffen. Zusammen mit dem UNO-Kinderhilfswerk UNICEF durchleuchte man „alle Lieferketten auf das Verhalten der Lieferanten.“ Gerade beim Kobalt für Batterien wird teilweise immer noch von Kinderarbeit in kongolesischen Minen gesprochen.

Das Design wie auch das Konzept des neuen Citea hat es durchaus in sich, hat man doch erstmals nicht mehr auf der alten Dieselplattform aufgebaut, sondern die Konstruktion „kompromisslos“ auf en vollelektrischen Einsatz abgestimmt. „Dass die Entwicklung eines zukunftssicheren Linienbusses ein Umdenken erfordert, war uns sofort klar: ein neues Konzept, das innovative Technologien und Komponenten vereint, um eine optimale elektrische Plattform zu schaffen. Hier vereinen sich unsere umfangreichen Erfahrungen sowohl in der Busbranche als auch in der E-Mobilität“, sagt Alex de Jong, Business Manager Public Transport bei VDL Bus & Coach. „Der Entwicklungsansatz lässt sich am besten mit ‚Inside-Out‘ beschreiben, was bedeutet, dass mit maximaler Freiheit ein Fahrzeug geschaffen wird.“

 

 

Neues Konzept für den kompromisslosen Elektrobus

Das bedeutet vor allem, dass der bisherige Karosserieansatz komplett überdacht wurde und nur noch bei den Versionen mit maximaler Batteriekapazität Batterien auf das Leichtbau-Dach aus Sandwichmaterial finden. Ansonsten spielt sich die Energie-Speicherung von 306 bis 490 Kilomattstunden (Solobus) im Boden und im Heckbereich hinter der elektrischen Antriebsachse von ZF statt (die LE-Versionen werden jedoch vom ZF CeTrax Zentralmotor angetrieben, der gerade als neue Synchronmotor-Version auf der IAA in Hannover gezeigt wurde). VDL schafft es sogar, die alternativlosen NMC-Hochleistungsbatterien mit Wasser zu kühlen, und die Abwärme so in der ebenfalls verbauten Wärmepumpe wiederzuverwerten. Somit entfällt der alte „Motorturm“, wodurch vier Plätze entstehen, insgesamt verspricht VDL acht Plätze mehr als im Vorgängermodell – Niederflurmodelle und Low-Entry-Versionen verfügen dabei über die gleiche Sitzplatzzahl. Das erklärt auch, warum der Wagen gerade im Heck zwar im Gang niederflurig ist, aber die Sitze gerade auf der linken Seite auf einem recht hohen Podest montiert sind, in dem weitere Batterien Platz finden. Auch die Fenster der einteilig aus GfK gefertigten Seitenwand sind hinten etwas kleiner, zudem reichen sie nicht so nah an die Fenstersäulen heran wie bei konventionellen Bussen. Die Konzepte von Low Floor und Low Entry fließen also beim Innenraumkonzept etwas mehr zusammen. Die Bodenfreiheit bei der gängigen Einstiegshöhe von 320 Millimetern an den Türen ist wenig auffällig, obwohl im Unterstübchen die rund 15 Zentimeter auftragenden Batterien sitzen. „Die Bodenfreiheit und Bodenhöhe sind den betrieblichen Bedürfnissen angepasst,“ so Alex de Jong. Die Batterien sind in ihren Aluminium-Trögen nach unten und auch seitlich gut gegen Unfälle geschützt. Die Gewichtsverteilung des leichten Busses sei um bis zu 97 Prozent zwischen den Achsen optimiert worden.

Bis zu 110 Personen finden im Solobus Platz

Trotz dem etwas eingeschränkten „Low-Floor-Feeling“: eine Zahl von 45 Sitzen für den Solowagen mit 12,2 Metern Länge und 110 Personen Gesamtkapazität ist eine echte Hausnummer, die kaum ein anderer Hersteller für sich reklamieren kann! Spannend auch der 13,5 Meter lange Zweiachser mit 53 Sitzen, der allerdings aufgrund der Achslasten nur insgesamt 85 Personen befördern kann. Dazu kommt ein naturgemäß recht großer Radstand und somit unhandlicher Wendekreis. Alle Solobusse (12,2 m LF und LE, 13,5 m LE und 15m Dreiachser LE mit Kapazität von 138 Personen bei max. 674 kWh Batteriepaket) können als Klasse I und II homologiert werden, der 18 Meter lange Niederflurbus LF-181 (Gesamtkapazität 153 Personen bei max. 674 kWh) schafft dies aufgrund technischer Beschränkungen leider nicht. VDL spricht von auskömmlichen Reichweiten bis zu 600 Kilometern je nach Batteriepaket, der bisherige Fokus auf die Gelegenheitsladung wird daher deutlich aufgeweicht.

 

 

Long Life-Design aus einem Guss

Beim Design der Außenhaut ziehen bei VDL völlig neue Zeiten ein. Zwar kann man außer im Heckbereich kaum von spektakulären Zutaten sprechen, aber gerade die Front glänzt durch ein sehr abgerundetes und geglättetes „Long Life“-Design. Zwar spielt die Aerodynamik bei den geringen Geschwindigkeiten in der Stadt kaum eine Rolle, aber Produktmanagerin Anouk Hol verrät nicht ohne Stolz, dass der Cw-Wert nunmehr zwischen 0,37 und 0,4 liege – mithin um 35 Prozent besser als beim doch eher kastigen und grob geschnittenen Vorgänger. Auch der ausgeprägte Dachspoiler sowie die deutlich erkennbaren Abrisskanten an den Heckecken – die etwas an die Reisebusse von Setra erinnern – zahlen auf das gleiche Konto ein. Faszinierend sind die erstmals beim Stadtbus komplett um die Ecken herumgezogenen, sehr dynamisch gezeichneten Heckleuchten. Sie integrieren aber nicht den Blinker sondern die letzte seitliche LED Begrenzungsleuchte. Die einteilige Seitenwand ist nach unten verstärkt und mit segmentierten, austauschbaren Plastikmodulen verkleidet – so gebe es keine wesentlich höheren Reparaturaufwände, wie uns Boris Höltermann von VDL Deutschland versichert.

Im Innenraum herrscht alles andere als frugales Spardiktat: gediegene Seitenwandmaterialien und eine hochwertige Multifunktionsleiste aus Aluminium unterhalb des Fensterbands verleihen einen gemütlichen und fast schon edlen Eindruck. Dazu gesellt sich ein ausgeklügeltes LED-Lichtkonzept, das vielfältig einstellbar ist. So kann man die beiden getrennten Klimazonen – es gibt inklusive Fahrer drei separate Zonen – durch blaue und rote indirekte Beleuchtung unterhalb der Fenster symbolisieren. Man merkt schon: ins Thermomanagement haben die Holländer viel Hirnschmalz investiert.

 

 

Ein Cockpit als veritabler Fahrertraum

Das Sahnestück des neuen Citea ist sicher aber das neue Cockpit, das schon aus klimatischen Gründen durch eine Glasscheibe abgetrennt ist. Schon auf den ersten Blick fällt der zweigeteilte Arbeitsplatz auf, dessen untere „Satelliten“ mit den wichtigsten Bedienelementen komplett mit der Lenksäule verstellbar sind. Hat man das geschafft, kann das Lenkrad selbst noch in der Neigung feinjustiert werden – das ist sehr fein und kann bisher nur Volvo im Reisebus! Weiter oben im Armaturenbrett liegen dann die Tasten der zweiten Prio. Auch im modernen Lenkrad (kommt aus dem DAF Truck) sind viele Tasten verbaut, ähnlich wie im eCitaro – hier kann man durchaus geteilter Meinung der Bedienungsfreundlichkeit sein. Zusammen mit dem formschönen Panel unterhalb des schmalen Fahrerfensters und den Holzimitaten in und vor der Fahrertür kommt so etwas wie gediegener Reisebuskomfort auf. Die Sicht ist durch die schmalen A-Säulen sehr gut, nur die Sensor-Phalanx in der unteren Frontscheibe stört ein wenig. Ebenso wie der große Monitor direkt neben der Kabine, der als Spiegelersatz dient – hier kann man sich vortrefflich den Kopf anstoßen.

 

 

Perfekt ins Bild passt das digitale „Epic Display“, das nachts eine weniger ablenkende Darstellung („Dark Cockpit“-Modus) wählt. Selbstverständlich hat VDL auch die neue, elektrische Parkbremse verbaut, die sich selbstständig einlegt, sollte der Fahrer den Sitz verlassen und die Kabinentür öffnen. Erstmals kann der Käufer die Pedale wählen zwischen hängender oder stehender Ausführung – eine alte Philosophiefrage. Wir bevorzugen eine Mischung! Immer an Bord ist eine City-Option der Lenkung, mit der das Rangieren der elektrohydraulischen Lenkung noch einfacher gehen soll. Deren enervierend laute Lenkhilfpumpe werde zeitnah noch getauscht: ein leidiges Thema, über das bisher noch jeder Elektrobusbauer gestolpert ist. Unser Fazit: eines der besten Cockpits, das wir in letzter Zeit erleben durften!

 

VDL geht auf Nummer Sicher

Auch beim Thema Sicherheit geht VDL in die Vollen. Neben einem für den Bus nicht gesetzlich verbindlichen Frontal- und Heckaufprallschutz werden viele elektronische Helferlein verbaut, die das Sicherheitsniveau sehr hoch legen – Überrollschutz ECE R66.02 ist zumindest bei den Solowagen selbstverständlich. Neben der Radar- und Kameragesteuerten Frontüberwachung ist auch ein angepasstes, aktives Notbremssystem erhältlich, ebenso wie ein radargestützter Abbiegeassistent rechts. Weiterhin sind ACC (wohl eher für Klasse II sinnvoll) und Aufmerksamkeitsassistent verfügbar. ESP ist bei den Solobussen Serie, der Gelenkbus kann dies nicht aufgrund der schwierigen Physik der beiden Wagenteile. Auch das ein Grund, warum er nur in Klasse I zugelassen werden kann. Beim Zukunftsthema Wasserstoff hält sich VDL dagegen noch bedeckt: Man beobachte den Markt, aber denke nicht, dass der alternative Kraftstoff zeitnah für einen günstigen TCO stehen werde. Und das ist schließlich eines der Steckenpferde der Citea-Konstrukteure.