In den altehrwürdigen Messehallen am Brüsseler Atomium, die zur Weltausstellung 1935 erbaut wurden, stellen über 500 Aussteller (davon 78 aus Deutschland und 62 aus China, Tendenz steigend) aus, darunter rund 180 zum ersten Mal – so auch der indische Hersteller JBM, der in Europa mit etwas hiesigem Personal und einem Elektroreisebus Fuß fassen will.
Die Bedeutung der Messe hat aufgrund des sinkenden Sterns der IAA Transportation in Hannover merklich zugenommen (zwei sondierende Vertreter des VDA wurden in Brüssel ebenfalls gesichtet), wenn auch viele Aussteller den Gürtel enger geschnallt haben, was die Messestände betrifft (nur drei Hersteller, darunter der Platzhirsch Van Hool, haben die gewohnten Standgrößen beibehalten). Ganze Stände wurden zusammengestrichen oder einzelne Marken, wie zum Beispiel die Premiummarke Neoplan, ganz ins Freigelände verlagert, ohne großes Marketing-Bohei. Man erklärt, der Kunde solle die Fahrzeuge einfach selbst erleben und das ganz hautnah. Auf dem Stand selbst findet man dann die MAN Fahrzeuge mit den neuen Features des Modelljahres 2024 inklusive des neuen Cockpits. Man kann das neue Smart-Select Bediensystem auch in einem großen Simulator selbst ausprobieren ebenso wie die Busse im Außengelände fahren.
Der MAN Stand bietet viel neue Technik, aber keinen Hauch von Neoplan-Flair. Foto: Thorsten Wagner
Der "Neoplan-Stand" unter freiem Himmel bietet gleich zwei Diamond Edition-Modelle sowie einen Super-Luxus Skyliner mit Kiel Tech-Seats.
Das Geburtsagskind Tourliner kann zudem unter dem Atomium Probe gefahren werden. Foto: Thorsten Wagner
Nebenan bei Daimler Buses steht die Zwei-Marken-Strategie unverändert und sehr betont im Fokus, die Setra Busse, wie der neue Überlandwagen der S500 LE Baureihe, überstrahlen nicht nur wegen ihrer auffällig gelben Farbe die Mercedes Modelle. Dabei muss sich der neue Mercedes Tourismo mit seiner neuen, gefälligeren Front nicht verstecken hinter dem Elektrochassis für die Weltmärkte. Auf jeden Fall anschauen: das neue Mirror-Cam System von Daimler, das wir letzte Woche schon als erste Zeitschrift fahren und erleben durften.
Daimler Buses Chef Till Oberwörder plädierte leidenschaftlich für eine konzertierte Aktion zum Thema CO2-Ziele für Reisebusse.
Foto: Thorsten Wagner
Wasserstoff und Elektro als Megathema
Auffallend in Brüssel: entgegen der sehr überschaubaren Marktbedeutung spielt das Thema Wasserstoff eine immer größere Rolle. Nicht nur Daimler zeigt seinen Range-Extender eCitaro jetzt auch als 12 Meter Solobus mit Toyota-Brennstoffzelle, auch der italienische Busbauer Rampini zeigt ein vergleichbares System namens „Hy4Drive“ im Midibus Hydron erstmals der Öffentlichkeit. Beide Systeme sind aber vor allem auf Batteriestrom angewiesen – also gleich auf zwei teure Infrastrukturen. Zwar zeigen auch Solaris mit dem neuen U18, Otokar mit dem neuen eKent Hydrogen und Iveco, die gleichzeitig ihr Front-Design und die Markenlogos erneuert haben (erstaunlicherweise hat die französische Elektromarke Heuliez wieder überlebt) in Kooperation mit Hyundai neue Stadt-Wasserstoffbusse, aber im Allgemeinen geht die Ansicht vieler Experten dahin, dass der Stadtbereich mit Batteriebussen bestens bedient werden kann, zumal die Reichweiten mittlerweile locker die 500 Kilometer-Grenze knacken – Solaris verspricht für seine neuen High Energy-NMC Batterien bis zu 600 Kilometer. Richtig interessant könnte es aber in den nächsten Jahren in Sachen Reisebus werden, einige sehr interessante Exponate sind auf der Messe zu sehen. So zum Beispiel von Irizar (zusammen mit Freudenberg und Flixbus) in Form des Prototyen eines i6S Efficient mit Wasserstoff auf dem Dach, dessen Start aber nach Worten des CEO Imanol Rego noch nicht zu 100 Prozent feststeht. Auch der türkische Hersteller Temsa, der in Deutschland derzeit kaum mehr wahrnehmbar ist, kooperiert mit dem Wasserstoff-Shootingstar Caetano aus Portugal und der Toyota Brennstoffzellentechnologie, um einen Reisewagen auf seiner HD-Plattform zu realisieren, der über 1.000 Kilometer weit kommen soll. Das Fahrzeug, dessen Serienproduktion für das Jahr 2025 geplant ist, soll gleichzeitig den Titel „der erste Wasserstoffbus für den Überlandverkehr in der Türkei“ tragen.
Der Wasserstoff-Reisebus Prototyp von Irizar trägt seine Drucktanks auf dem Dach, erfülle aber trotzdem die ECE R66.
Foto: Thorsten Wagner
Sehr spannend dürfte der neue Elektrobus von BYD werden, der mit „Blade“-Batterien im Niederflurboden (auch mit UNVI zusammen im Doppeldecker!), neuem elektrischen Antriebsstrang und aufgewerteter, kompakter 6-in-1-Elektronik auf den Markt kommt. Die Chinesen spielen den Sicherheitsvorteil ihrer LFP-Batterien, die zu Hunderttausenden in China laufen, immer noch voll aus. Auch die Kollegen von Yutong spielen diese Karte immer virtuoser aus. Mit dem T15E zeigt der weltgrößte Busbauer einen ausgewachsenen Elektro-Reisebus, der rund 500 Kilometer weit kommen soll mit seinen 600 kWh Batteriepaket. Und es bleibt sogar noch ein relevanter Kofferraum übrig! Das Design des Busses kann sich ebenso sehen lassen, er bietet aus unserer Sicht das erste „Tesla-Cockpit“ im Busbereich: Clean, reduziert, gut bedienbar! Unbedingt in Brüssel anschauen und auch Probefahren!
BYD Europa-Chef Isbrand Ho stellt seinen neuen eBus mit Blade-Batterien im Boden vor. Foto: Thorsten Wagner
Midibusse auf dem Vormarsch – auch autonom
Der sehr erfolgreiche litauische Minibusbauer Altas Auto erweitert sein Angebot an Elektrobussen durch eine strategische Kooperation mit dem chinesischen Hersteller Zhongtong Bus, der einen großen Auftritt auf der Messe hat und auch elektrische Reisebusse im Angebot hat. Das litauische Unternehmen hat diesen Schritt auf der Messe angekündigt: Das Portfolio wird dadurch um zwei batterieelektrische Busse erweitert. Der erste, 7,5 Meter lange Bus wird auf der Busworld Europe 2023 in einer "Prototyp"-Version vorgestellt. Bis 2025 will Altas Auto vollständig auf Elektrobusse umsteigen und damit die Vorgaben der europäischen Agenda 2030 erfüllen. Auf der Busworld 2023 wird am Stand von Altas Auto eine neue Vision eines 7,5 m langen Stadtbusses vorgestellt. „Auf der Grundlage dieses Konzepts wird die Partnerschaft zwischen beiden Unternehmen eine ganze Reihe neuer Altas Auto Midi-Size-Busse hervorbringen, die den europäischen Spezifikationen und Anforderungen entsprechen“, so das Unternehmen. Bisher haben sich gerade Minibushersteller mit dem Thema Elektro eher schwer getan. Der pfälzische Hersteller ProBus ist zum Beispiel gar nicht auf der Busworld vertreten.
Sehr spannend ist hier auch der kleine Unvi-Prototyp EC24S, der mit EU-Fördermitteln gebaut wurde und bald in Serie gehen soll. Der rund sieben Meter lange Bus ist sehr modern gestaltet und soll rund 40 Personen befördern können. Der Clou: das Batteriepaket kann verkleinert werden, und der Motorturm so als Paketaufbewahrungsort für einen Postbus-Dienst genutzt werden – unter Verlust von zwei Sitz- und acht Stehplätzen. Ganz vorne rechts ist ein Platz für Blinde mit Blindenhund vorgesehen! Auch mal was Neues!
Dieser kleine Unvi-Midibus kann auch im Kurierdienst eingesetzt werden neben rund 30 Fahrgästen inkl. Blindenhund.
Foto: Thorsten Wagner
Neu und spannend auch die ersten autonomen Midibusse: der Karsan e-ATAK läuft ja bereits seit 2022 in Stavanger auf der Linie, weitere Piloteinsätze weltweit sind projektiert oder schon in Betrieb. In Brüssel hat man leider die Bürokratie nicht besiegen können, um den Bus vollautonom ums Messegelände fahren zu lassen. Das tut jetzt aber Otokar mit dem knuffigen eCentro, der aber einen Sicherheitsfahrer an Bord hat.
Dieser Otokar eCentro fährt in Brüssel teilautonom mit Sicherheitsfahrer. Mehr lässt die Brüsseler Rechtslage nicht zu.
Foto: Thorsten Wagner
Digitalisierung kommt in Fahrt
Neben den altbekannten Busworld Awards für Fahrzeuge, gibt es in Kooperation mit dem Bus Blickpunt erstmals auch „Busworld Digital Awards“, die auf der neuen Digital Mobility Solutions-Konferenz am 11. Oktober vergeben werden. Der Bus Blickpunkt war wesentlich an der Konzeption und der Durchführung des Preises beteiligt. Insgesamt darf man eine sehr spannende Messe erwarten, die sicher viele bisherige Rekorde sprengen wird, aber auch deutlich die ökonomischen Spätfolgen der Corona-Pandemie erkennen lässt. Der Weg nach Brüssel lohnt sich also allemal!
Dieser Artikel wird ständig aktualisiert. Letzte Aktualisierung am Montag, den 09. Oktober 13 Uhr.