Es gibt Diskussions-Veranstaltungen, da merkt man, wer die Trendsetter der Zukunft sein werden. Es sind eher nicht die leisen und allzu bedachten, die auf der Bühne eher defensiv agieren, um nicht anzuecken. Nein, es sind mehr diejenigen, die geradeheraus auch vor allen Zuhörern ihre dezidierte Meinung kundtun – vor allem dann, wenn sie in einer Position sind oder in eine solche kommen, wo sie etwas an den Missständen ändern können. Einen solchen Aha-Moment konnten sicher viele Branchenvertreter auf der bdo Jahrestagung im Herbst in Berlin erleben. Es ging, wie immer öfter, um dem Fahrermangel in der Branche. Yvonne Hüneburg, bis Ende des Jahres noch stellvertretende Geschäftsführerin des baden-württembergischen Verbands WBO – einer der ganz großen in Deutschland – sitzt mit fünf Herren mittig auf dem Podium und vertritt die Sichtweise der mittelständischen Unternehmen mit einer Verve, die für eine Juristin mit zweitem Staatsexamen und ehemalige Syndikatsanwältin doch eher außergewöhnlich ist. Man könnte durchaus denken, dass sie zu Hause Herrin oder zumindest Finanzchefin über ein gesundes Busunternehmen ist. Und es ist wohl genau diese Mischung aus direkter Ansprache auf der persönlichen Ebene bei den Themen, bei denen der Schuh besonders stark drückt, und der juristischen Expertise und Erfahrung, die sie seit 2008 bei „Ihrem Verband“ zuerst als Referentin für ÖPNV, Tarif und Personal danach für „Recht, Personal & Grundsatz“ erwerben konnte.

 

„Es braucht eine starke Persönlichkeit für die Aufgabe“

Und es ist wohl auch diese anpackende, etwas „hemdsärmelige“ Art – wenn sich ein solcher Ausdruck für eine Frau mitten im Leben ziemt – die ihr die Sympathien der Branche zufliegen lässt. Oder auch nur stürmischen Applaus in Berlin, der ein paar Sekunden an der gefühlten Grenze zu „standing ovations“ kratzt, wenn sie zum wiederholten Male das positive Vorbild Österreichs ins Feld führt. Dort hatte sie sich erst vor kurzem mit den Verbandskollegen vor Ort informiert und so etwas wie einen Bären gefressen am dortigen ÖPNV. Sie bringt ihr Credo knapp auf den Punkt: „Die juristische Herangehensweise ist nicht immer die pragmatischste. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als den Mittelstand zu vertreten.“ Im Januar wird die 46-jährige den lästigen Diminutiv „stellvertretend“ abstreifen und auf den langjährigen Geschäftsführer Witgar Weber folgen (siehe auch dessen Abschiedsworte auf S. 18), der drei Jahre länger als ursprünglich geplant im Amt geblieben war. Genug Zeit also für die neue Chefin, sich warm zu laufen und das, ohne sofort die volle Wucht von Corona und Co. abzubekommen. Laut der neuen Verbandschronik sei die Branche „noch nie so erschüttert worden“ wie in den Pandemiejahren 2019 bis 2022. Witgar Weber spricht auf der Pressekonferenz in Stuttgart, auf der quasi die Staffelübergabe stattfindet, gar von einer „Götterdämmerung und Zeitenwende durch das 9- bzw. 49-Euro-Ticket,“ die er nicht habe missen wollen. „Es braucht schon eine starke Persönlichkeit, um diese Aufgabe zu stemmen,“ sagt Verbandsvorstand Klaus Sedelmeier ganz ohne Ironie. Er wird wissen, warum er das sagt.

 


Hüneburg erläuert: „Niemand hat mich überredet zu dem, was ich heute bin und tue. Ich wusste immer schon recht genau was ich will und bin geradlinig unterwegs. Nach meiner Tätigkeit als Rechtsanwältin bin ich zum WBO gewechselt und als stellvertretende Geschäftsführerin muss man sich auch mit der Aussicht vertraut machen, den Posten einmal zu übernehmen, sonst ist man auch ein Stück weit falsch an der Stelle. Ich mache das mit viel Freude. Verantwortung übernehme ich gerne.“ Die beiden Herren wagen eher mal den altersweisen, auch mal etwas pessimistischen Blick zurück. Nicht so Hüneburg, das ist so gar nicht ihr Ding: „Ich bin jetzt seit 15 Jahren intensiv beim WBO an Bord und ich richte den Blick ausschließlich nach vorne. Meine Erfahrungen aus der Vergangenheit dabei will ich nicht missen. Ich habe Ziele, die ich umsetzen will und gehe diese zuversichtlich an. Als Verbandsgeschäftsführerin bin ich mit Erwartungen konfrontiert. Das ist mit bewusst, und ich werde Gas geben.“ Und dann ein
Lachen der Macherin mit viel Power und Ideen.

 


Was sie angehen will im ersten Jahr? „In einem Jahr verändert man nicht viel, man braucht einen langen Atem und man muss hartnäckig dranbleiben, um etwas zu verändern. Im ersten Jahr müssen wir schauen, wo wir intern die Prioritäten setzen.“ Und derer gibt es vor allem drei: Führerscheinerwerb und Fahrermangel, Vergaberecht und Eigenwirtschaftlichkeit und die Antriebstransformation hin zu emissionsfreien Antrieben.
„In zwei oder drei Jahren muss das Thema mit dem Führerschein abgehakt sein, sonst hat die Branche existenzielle Probleme. Das muss gehen, und es geht auch. Gesetze sind dafür da, dass sie verändert werden, die sind eben nicht in Stein gemeißelt“. Hier spricht die Vollblut-Juristin, unter deren Händen Gesetze zu Werkzeugen werden.

 

„Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt.“

Grundlegender wird ihre Kritik beim Thema Nummer zwei: „Der unternehmensinitiierte Verkehr geht von einem starken Unternehmertum aus, das eigenwirtschaftlich ÖPNV gestaltet und diesen in voller Verantwortung betreibt. Nun hat sich die Kostensituation im letzten Jahr massiv verschlechtert und das Machtgefüge hat sich deutlich in Richtung Aufgabenträger verschoben. Vergabeverfahren dominieren den ÖPNV der vergangenen zehn Jahre. Das ist eine Verschiebung der Ausgestaltung der Verkehre. Wir brauchen daher ganz, ganz dringend eine Kurskorrektur wieder hin zu mehr Unternehmertum im ÖPNV.“ Und dann kommt wieder das Best Practice Beispiel – wie so oft Österreich, ohne dessen tiefes Lob keine Rede von Hüneburg beendet wird. „Man kann Dinge nur besser machen, wenn man Kompetenzen von allen Beteiligten bündelt, und das passiert bei uns gerade nicht. Die Unternehmerkompetenz kommt zu kurz und es wird ihr nicht die Bedeutung und Wertschätzung entgegengebracht, die sie verdient hat. Deshalb erzielen wir auch nicht die besten Ergebnisse“.
Gibt es eine Privatperson abseits der Verbandsarbeit? „Ich habe Familie und auch etwas Freizeit und ich verwende die auch auf meine Tochter und meinen Mann. Ich spiele Klavier, auch um den Kopf freizubekommen. Mehr Hobbies habe ich eigentlich nicht und die brauche ich auch gar nicht, weil ich gerne tue, was ich tue. Es gibt da eigentlich keinen negativen Stress, den es auszugleichen gibt. Ich bin eher wirbelig unterwegs, dann bin ich in meinem Element.“
Und Abschalten vom Thema Bus? Geht das noch? Hüneburg lacht ihr gewinnendes, offenes Lachen, und gesteht dann: „Der Bus ist nicht immer und jederzeit im Kopf, aber es liegt schon seit vielen Jahren ein Notizbuch neben dem Nachttisch, wo man Ideen aufschreiben kann. Wir sind eben Überzeugungstäter in der Branche, das muss man wohl auch sein, um das so zu machen“. n