Wem der Name Graf bekannt vorkommt, der liegt richtig: Oliver Graf gehörte einst zur Anton Graf GmbH, „Grafs Reisen“ aus Herne, einem der größten und bekanntesten Busunternehmen Deutschlands. Gegründet hatte den Betrieb sein Großvater. Schon als 14-Jähriger begann Oliver Graf im Unternehmen mitzuarbeiten, als Reisebegleiter, Reiseleiter, Werkstattgehilfe. Nach Abitur und Bundeswehr ging der heute 58-Jährige für ein Jahr nach London, um bei Ibis das Hotelbusiness kennenzulernen. Er studierte Betriebswirtschaft, sammelte als Werkstudent Erfahrung in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei und arbeitete als Diplom-Kaufmann bei der Hapag Lloyd AG für den Vorstand im Konzern-Controlling. Sein persönliches Highlight sind rückblickend die neun Monate, die er während seines Studiums bei Neoplan in Pennsylvania verbrachte. Ermöglicht hatten ihm den Aufenthalt in den USA Albrecht Auwärter, Bob Lee und Volker Steimle, der sich bei Neoplan damals um den Vertrieb kümmerte.
„Ich wollte meinen eigenen Busbetrieb“
Sein Versprechen der Familie gegenüber, zu Grafs Reisen zurückzukehren, löste Oliver Graf im Jahr 1999 ein, wurde Prokurist, übernahm Führungsverantwortung. 2010 liefen die Überzeugungen und strategischen Vorstellungen der verantwortlichen Unternehmenserben aber so weit auseinander, dass Oliver Grafs Vater, Theodor Graf, die einzige Lösung in der Trennung von seinen beiden Brüdern sah und Grafs Reisen gemeinsam mit dem Sohn verließ.
„Für meinen Vater lief das auf die Beendigung seines Berufslebens hinaus, immerhin war er damals bereits 68“, erzählt Oliver Graf. „Mir war wichtig, erst einmal Abstand zu bekommen. Ich gründete mit einem Freund ein Logistikunternehmen für Online-Handel und ging 2012 nach Böblingen zum Busunternehmen Pflieger. Mit Hermann Pflieger teilte sich Oliver Graf für rund drei Jahre die Geschäftsleitung. „Dann wollte meine Familie zurück in die Heimat, ins Ruhrgebiet. Und bei mir reifte der Wunsch nach einem eigenen Busbetrieb.“
Graf & Növermann: Beziehung besonders
Es war ein Wunsch im genau richtigen Moment, denn ein Nachfolger ohne eigenes Unternehmen war exakt, was Gerd Növermann zu dieser Zeit suchte. Nicht nur für den Busbetrieb Reisebüro Növermann, sondern auch für den Reiseveranstalter HIN Touristik, ehemals gegründet als Zusammenschluss dreier Busunternehmen, die die von HIN Touristik organsierten Reisen mit ihren Fahrzeugen realisierten. Gerd Növermann führte HIN Touristik bereits seit Jahren als Alleingesellschafter. Oliver Graf übernahm das Reisebüro Növermann und HIN Touristik.
„Mein Verhältnis zu Gerd Növermann ist von großem gegenseitigen Respekt geprägt“, sagt Oliver Graf. Den Unternehmensübergang gestalteten beide sehr sanft über einen Zeitraum von rund einem Jahr. Familie Növermann steht Oliver Graf bis heute unterstützend zur Seite. „Dankbar bin ich dafür auch mit Blick auf die Corona-Zeit, die uns sehr zugesetzt hat. Wir hatten vor Corona 22 Busse und mussten diese Zahl aufgrund der Geschäftseinbrüche fast halbieren. Ohne die Unterstützung, die uns in vielfältiger Weise zuteilgeworden ist, hätten wir die Pandemie vielleicht nicht überstanden.“ Ein Gutes hatte diese Zeit dennoch: Sie zwang Oliver Graf, sich von Rosi Reisen zu trennen. „Ich hatte Rosi Reisen aus der Insolvenz gekauft, etwas, das ich in dieser Weise nicht noch einmal tun würde“, sagt er. „Es gab viele Schwierigkeiten. Letztlich konnte ich die Insolvenz auch nicht verhindern.“ Das Ganze hat eine Menge Kraft und Geld gekostet.
Einmal Familienunternehmen, immer Familienunternehmen
Seit 2023 geht es wieder aufwärts, der Betrieb ist fast vollständig in seine „Vor-Corona-Größe“ zurückgewachsen und bereit, wieder zu expandieren. Die größte Herausforderung dabei: Mitarbeiter gewinnen. „Im Moment sind wir noch gut aufgestellt, aber in den kommenden Jahren werden wir Bedarf an Reisebusfahrern und auch an Bürokräften haben.“ Ein Vorhaben, das bereits auf dem Weg ist, ist die Erneuerung des gesamten Fuhrparks. „Dieses Jahr im Juni kommt ein neuer Neoplan Doppeldecker zu uns, 2026 zwei Setra.“ Diese werden eine Jubiläums-Lackierung erhalten, denn nach dem zehnjährigen Übernahmejubiläum in diesem Jahr feiert Reisebüro Növermann 2026 sein 100-jähriges Bestehen.
Reisebüro Növermann und HIN Touristik werden von Oliver Graf als Familienunternehmen weitergeführt. Seine Frau Kerstin Graf arbeitet an Schlüsselstellen im Unternehmen mit, insbesondere in Sachen Buchhaltung und Disposition. Sohn Maximilian studiert Betriebswirtschaft und sammelt als Werkstudent erste Erfahrungen im Familienbetrieb. Tochter Johanna befindet sich bei Alltours in Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau. Beste Voraussetzungen also, um die Unternehmensgruppe mit Lebensweisheit und frischem Wind gleichermaßen voranzubringen. „Die Busbranche ist eine Branche mit Zukunft“, sagt Oliver Graf. „Reisen werden immer gemacht. Wir Busunternehmer sorgen dabei für einen Bereich gesellschaftlicher Teilhabe, der unersetzlich ist und der bei aller Individualität auch nicht abgelöst werden wird.“
Neben dem Reisebusgeschäft unterhält Oliver Graf einen Mietbusverkehr, den Privat- und Geschäftskunden gleichermaßen nutzen. Den Sport mobil macht Oliver Graf u.a. mit den Mannschaftsbussen des Fußballbundesligisten VfL Bochum 1848.
Judith Böhnke