Das Deutschlandticket bleibt in ganz Deutschland gültig: Der Landkreis Stendal steigt nun doch nicht aus – nachdem er wochenlang für einen medialen Aufruhr in der ÖPNV-Welt gesorgt hatte. Ein Sonderkreistag entschied am Mittwochabend vor den Weihnachtsfeiertagen, dass das Deutschlandticket auch über den Jahreswechsel hinaus anerkannt wird, wie Landrat Patrick Puhlmann (SPD) mitteilte und vom Spiegel zuerst berichtet wurde. Nun beschloss der Kreistag die Anerkennung des Fahrscheins mit 30 Ja-Stimmen, bei vier Nein-Stimmen und neun Enthaltungen. Die Anerkennung gilt laut Beschluss zunächst bis Ende April 2024. Zuvor hatte das Land Sachsen-Anhalt den Kreisen weitere zehn Millionen Euro für die Finanzierung versprochen.
Stendal scherte beim Deutschlandticket unerwartet aus
In der Sachsen-Anhaltinischen Kreisstadt Stendal hatte der Kreistag dem Deutschlandticket zeitweise und überraschend eine Absage erteilt. Weil ein Zuschuss von 40.000 Euro mit Stimmen aus CDU, FDP und der Wählergemeinschaft „ProAltmark“ abgelehnt wurde, wäre das 49-Euro-Ticket womöglich ab Mai 2024 in Stendaler Buslinien nicht mehr gültig gewesen, wie der MDR zuerst berichtete. Betroffen seien die sechs Buslinien in der Stadt Stendal sowie 35 Linien im Landkreis, die unter anderem in Seehausen, Arneburg, Osterburg, Haveberg, Tangerhütte und Tangermünde verkehren. „Bündnis90/Die Grünen“ waren an der Entscheidung nicht beteiligt, weil ihre beiden Abgeordneten an dem betreffenden Tag nicht an der Sitzung teilgenommen hatten. In der nun abgelehnten Beschlussvorlage DS 787/2023 des Landtages, die detailliert auf die Finanzierungsprobleme zwischen Bund und Ländern verweist, heißt es konkret: „Bei einer Anerkennung des Deutschlandtickets bis zum 30.04.2024 wird der Landkreis Stendal voraussichtlich eigene Mittel in Höhe von 40.000,00 EUR zusätzlich zur Richtlinie „Deutschlandticket-Billigkeitsleistungen ÖPNV 2024“ zur Verfügung stellen müssen.“ Für das ganze Jahr 2024 seien es dementsprechend 120.000 Euro.
Und als Fazit ist der Vorlage zu entnehmen: „Da die jeweiligen Einnahmeaufteilungsverfahren zum Deutschlandticket noch nicht endgültig geregelt sind und das Jahr 2023 noch nicht abgeschlossen ist, kann nicht genau benannt werden, in welchem Umfang die Zuschüsse des Bundes und der Länder für das Jahr 2024 ausreichend sein werden und wie hoch die Mindereinnahmen durch das Deutschlandticket für den Landkreis Stendal in 2024 sein werden. Jedoch kann nach dem jetzigen Stand davon ausgegangen werden, dass ein finanzieller Ausgleich durch Bund und Länder bis 30. April 2024 gesichert ist.“ Da der Antrag zuerst abgelehnt wurde, wäre das Ticket also ab 1. Januar nicht mehr akzeptiert. Diese Entscheidung wurde jetzt revidiert.
Sachsen-Anhalts Infrastrukturministerin Lydia Hüskens sprach von einer guten Nachricht. Damit behalte das Deutschlandticket seine Gültigkeit überall im Land. "Das ist letztlich einer seiner größten Vorteile." Hüskens verwies laut Spiegel darauf, dass die Landkreise mit Blick auf den öffentlichen Busverkehr finanziell ausreichend gut ausgestattet seien. "Das Land nimmt dafür viel Geld in die Hand." Schon im Januar hätten alle Landkreise und kreisfreien Städte zusätzlich zu den rund 60 Millionen Euro Pauschalzuweisungen im Rahmen des ÖPNV-Gesetzes insgesamt zehn Millionen Euro erhalten, mit denen Kostensteigerungen und Erlösausfälle im öffentlichen Busverkehr bereits kurzfristig ausgeglichen werden können. Allein auf den Landkreis Stendal entfielen davon rund 450.000 Euro.
VDV sieht Finanzierung weiter kritisch
Wieder einmal müssen die Länder für eine Idee des Bundes in die Bresche springen, so hört man die Klage, wenn man mit Landesverkehrsministern spricht. "Wir arbeiten gerade am Erhalt des bestehenden Angebots, obwohl wir eigentlich an der Verkehrswende und am Wachstum des öffentlichen Personennahverkehrs arbeiten sollten", sagt Alexander Möller, Geschäftsführer ÖPNV des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV).
Es steht also nicht gut ums Deutschlandticket, das jüngste Ärgernis aus Sicht der Länder: ein Papier aus dem Finanzministerium. Auf Bund-Länder-Ebene "reduzieren wir die Veranschlagung von Regionalisierungsmitteln (0,35 Milliarden im Jahr 2024)" heißt es laut Spiegel darin. Auch wenn Verkehrs- und Finanzministerium auf Anfrage des Nachrichtenmagazins betonten, die Maßnahme habe keine Auswirkung auf das Deutschlandticket, bleiben die Länder weiterhin skeptisch: "Die 350 Millionen sind wahrscheinlich genau die Summe, die von den Bundesmitteln 2023 übrig bleibt und ins nächste Jahr übertragen werden soll. Jetzt will das Finanzministerium diese vermutlich wegkürzen. Das wäre dreist und zugleich eine große Gefahr für das Deutschlandticket«, sagt zum Beispiel Winfried Hermann , der langgediente grüne Verkehrsminister aus Baden-Württemberg, der sich schon öfters kritisch zum Vorgehen des Bundes beim Deutschlandticket geäußert hat. Aus Nordrhein-Westfalen sind ähnliche Bedenken zu vernehmen.
VDV-Geschäftsführer Möller mahnt laut Spiegel, dass allein die seit Wochen anhaltende Finanzierungsdebatte das Ampelprojekt für klimafreundliche Mobilität beschädige. "Jede politische Debatte über seine Existenz schadet dem Verkaufserfolg", sagt der ÖPNV-Experte, der sich gerne einer offenen Sprache bedient. Dabei hatten sich die Spitzen von Bund und Ländern bei ihrem jüngsten Treffen eigentlich auf eine "sichere Finanzierung, zumindest bis Ende April", geeinigt. Nun, kurz vor Jahresende, überwiegen die Zweifel: Eine Preiserhöhung des derzeit monatlich 49 Euro teuren Tickets scheint wahrscheinlich.
Bundesverband bdo sieht sich bestätigt
Die bdo-Hauptgeschäftsführerin Christine Leonard merkte zur Thematik noch vor dem Fallrückzieher in Stendal per Mitteilung an, dass der Fall einmal mehr unterstreiche, wie wichtig es wäre, dass die Länder über „Anwendungsbefehle“ („Ausführungsverordnungen“) die Anerkennung des Deutschlandtickets regeln. Bislang sei das nur in Thüringen geschehen. Am heutigen Nachmittag finde zudem die letzte Sitzung des Koordinierungsrates in diesem Jahr statt. Es läge ein Antrag aus Hessen vor, die sogenannte zweite Stufe der Einnahmen-Aufteilung zu verschieben. Weiterhin beklagt der bdo, dass auch zu diesem Jahresende weder ein verbindlicher Rechtsrahmen bestehe, noch dass die Länder flächendeckend in der Lage seien, die Zweite Stufe der EAV zu realisieren. Vor diesem Hintergrund erscheint Leonard die Verlängerung der Ersten Stufe „vermutlich als alternativlos“. Für die Unternehmen spiele diese Entscheidung jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da ihre Finanzierung über den Rettungsschirm weiter abgesichert und die zweite Stufe ohnehin nur für den Ausgleich zwischen den Ländern erheblich sei.