Der nächste Meilenstein für das ÖPNV-Pilotprojekt „Buffered-HLL“ ("zwischengespeichertes Hochleistungsladen für E-Busse des ÖPNV") am Bahnhof in Bensheim in Hessen ist erreicht: Nach dem Bauabschluss und ersten erfolgreichen Tests wird das Speicher- und Ladesystem für elektrische Busse des ÖPNV nach 18 Monaten nun am 15. November am Busbahnhof Bensheim in Anwesenheit von Nicole Rauber-Jung, Erste Stadträtin der Stadt Bensheim, offiziell in Betrieb genommen. Im Regelbetrieb soll dann erstmals in Deutschland ein elektrischer Bus des regionalen ÖPNV an einer Hochleistungsladestation (High Power Charger) mit einem Schwungrad-Pufferspeicher zwischengeladen werden. Dieser ist wassergekühlt, läuft sehr leise und ist auf eine Lebensdauer von 25 Jahren oder 1 Mio. Ladevorgänge ausgelegt. Zudem sei seine Produktion sehr einfach mit „den in Deutschland vorhandenen Herstellketten“ sehr einfach produziert werden, so erläutert Hendrik Schaede-Bodenschatz, Geschäftsführer der Adaptive Balancing Power GmbH.
Eine Schlüsseltechnologie für das ultraschnelle Laden kommt von Adaptive Balancing Power (ABP), einem der technologisch führenden Unternehmen für puffergespeicherte Speicher- und Ladelösungen mit Sitz in Pfungstadt. Es wurde 2016 als universitäres Startup gegründet. Das Besondere an dem Konzept: Durch die neue Ladetechnologie können E-Busse schneller, flexibler und bedarfsgerechter unterwegs geladen werden. Das System für Busse besteht aus einem nachhaltigen Pufferspeicher, der kinetische Energie in einer Schwungmasse („Flywheel“) speichert und sehr schnell wieder abgeben kann, und einem Pantografen. Vorteil dieser Lösung: auf große und schwere Lithium-Ionen-Batterien kann verzichtet werden, was der Kapazität der Busse zugute kommt.
Hendrik Schaede-Bodenschatz fasst das so zusammen: „Die Mobilität der Zukunft muss klimaneutral, zuverlässig, bezahlbar und alltagstauglich sein. Genau dafür entwickeln und produzieren wir die richtigen Lade- und Speichertechnologien.“
150 Sekunden laden für eine komplette Tour
Das eingesetzte Fahrzeug ist ein sehr leichter VDL Citea LLE 99 electric. Aktuell wird der Bus vorrangig auf den Stadtbuslinien in Bensheim eingesetzt (671, 672, 673). Dabei kommt das Fahrzeug rund alle 30 Minuten am Bensheimer Bahnhof vorbei, was die rund 10 Kilometer lange Linie ideal für den Einsatz macht. Ein Ladehalt beim Ein- und Aussteigen von rund 150 Sekunden reicht dabei für eine komplette Tour. Nach einem erfolgreichen Projektabschluss im Laufe des kommenden Jahres soll das Infrastrukturmodell auch in andere Regionen „übertragen“ werden. Interesse gebe es bereits von einigen ÖPNV Betreibern, so Adaptive.
Mit einer kurzzeitigen Leistung von bis zu 300 kW sind die skalierbaren Pufferspeicher mit einem Speicherkapazität von rund 20 kWh insbesondere auch an Standorten installierbar, die nicht an für Schnellladevorgänge ausgelegte Stromleitungen (Mittelspannungs- oder Hochspannungsnetze) angeschlossen sind. Damit agiere das Unternehmen in einem stark wachsenden Markt und bedient die drängende Nachfrage nach Schnellladepunkten weitgehend unabhängig vom langwierigen Ausbau des Stromnetzes. Auch für Lkw und Pkw gibt es diese Technologie, perspektivisch denke man sogar an Megawattlader für Lkw.
Karl-Reinhard Wissmüller, Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Gersprenztal mbH und Vorsitzender des hessischen Busunternehmerverbands (LHO): „Mittelständische Busunternehmen sind das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs jenseits von Ballungsräumen. Die Umstellung des Fuhrparks von Diesel auf E-Mobilität oder Wasserstoff ist eine Herausforderung. Umso wichtiger ist es, dass wir praktikable Verkehrslösungen mit Blick auf Fahrzeugkosten und Reichweiten testen und etablieren.“ Sein Unternehmen betreibt den Bus für die VGG, das Projekt leitet sein Sohn Martin Wissmüller intern.
Lösung für die Mobilitätswende in der Fläche und in der Stadt
Die Elektrifizierung des ÖPNV ist eine wichtige Säule der Mobilitätswende und zur CO2-Reduktion im Verkehrssektor. In der Fläche wird der ÖPNV oft über mittelständische, gewerbliche Busunternehmen abgebildet, wie das von Wissmüller. Sie profitieren besonders von der neuen Ladelösung. Denn dank des neuen Systems von Adaptive Balancing Power können Busse deutlich flexibler eingesetzt werden. Stand- und Ladezeiten von nur wenigen Minuten reichen aus, um den Bus für die nächste Strecke erfolgreich nachzuladen. Damit kann auf große Bus-Batterien mit bis zu 700 Kilowattstunden Energiegehalt verzichtet werden. Das macht die Anschaffung und den Betrieb der Busse rentabler. Der VDL Citea LLE, der in Bensheim eingesetzt wird, hat zum Beispiel nur 180 kWh Batteriekapazität, von der wiederum 140 kWh genutzt werden im Einsatz. Geladen wird mit einem Fahrzeugfesten Schunk-Pantografen mit rund 180 Kilowatt. Als Besonderheit hat der Projekt-Konsortialführer Isabellenhütte Heusler GmbH und Co. KG eine eichnormgerechte Erfassung der Ladeenergie entwickelt, die es auch erlaubt, die Ladeenergie für verschiedene Betreiber separat und eichrechtskonform zu erfassen – eine weitere Neuheit für das Feld der Elektromobilität.
Schnellladestation mit Schwungradspeicher spart Planungsaufwände und Kosten
Für das Projekt haben Wissenschaftler des Reiner Lemoine Instituts (RLI) in Berlin die vollständige Umstellung des Betriebs von circa 100 Bussen der VGG auf batterieelektrische Antriebe untersucht. Aus betrieblicher Sicht sei eine Umstellung auf geeignete Elektrofahrzeuge mit Depotladung erstrebenswert, so die ersten Ergebnisse. Wie Simulationen zeigen, ist dies aber mit der aktuellen Bustechnologie bei etwa 30 Prozent der Umläufe – Strecken, die ein Bus täglich insgesamt zurücklegt – nicht möglich. Deshalb müsste die VGG an 21 Endhaltestellen Ladeinfrastruktur für eine Zwischenladung aufbauen. „Für bis zu 16 dieser Haltestellen ist eine Zwischenladung an einer Schnellladestation mit Schwungrad-Pufferspeicher möglich. Dort wird dann nur ein Niederspannungsanschluss anstelle eines Mittelspannungsanschlusses benötigt. So muss kein Transformator installiert werden, das System ist platzsparender und die Planung wird vereinfacht. Für diesen Fall reduzieren sich die Investitionskosten um knapp 2 Mio. Euro“, sagt RLI-Projektleiter Julian Brendel aus dem Bereich Mobilität mit Erneuerbaren Energien. Bei den Einsparungen sind noch nicht die kleineren Batterien auf den Bussen berücksichtigt, die aufgrund der flexiblen Schnellladung verbaut werden können.