Busunternehmer Siggi Seeadler war mit einer Reisegruppe im Kleinbus auf der A9 in Richtung Süden unterwegs. Durch das Telefonieren der Reisenden im Bus wurde er   deutlich abgelenkt und bemerkte einen Stau erst sehr spät. Er machte eine Vollbremsung und zog den Bus auf die Standspur, so dass letztlich alle mit dem Schrecken davon kamen. Wegen des Vorfalles will jetzt aber ein Kunde 4.000 EUR Schmerzensgeld. Der Kunde meint, er habe um sein Leben gefürchtet und einen Schock erlitten. Wie ist in solchen Situationen die Rechtslage?

Denkbar ist es schon, dass Siggi Seeadler etwas zahlen muss. In der Vergangenheit haben immer wieder verschiedene Gerichte Schmerzensgelder auch schon aufgrund von so genannten Beinaheunfällen zugesprochen. Eine echte Definition, was unter einem Beinaheunfall zu verstehen ist, gibt es allerdings nicht. Im Bereich der Gefährdungsbewertung von Arbeitsplätzen wird hin und wieder versucht, eine passende Definition zu entwickeln, um die Gefahr von Beinaheunfällen bewerten zu können.


Die Gerichte bewerten hingegen – häufig losgelöst von irgendwelchen Definitions-versuchen – jeweils den konkreten Einzelfall und entscheiden dann, ob aus ihrer Sicht ein Unfall beinahe passiert wäre oder ob es sich lediglich um eine kritische und gefährliche Situation handelte. Die Grenze zwischen beiden verläuft absolut fließend. Nachdem was hier geschildert wurde, kann man einen Beinaheunfall durchaus annehmen. Nicht das besondere, fahrerische Können, sondern eher das Glück in letzter Sekunde hat letztlich den Unfall verhindert. 
Nun bedingt nicht jeder Beinaheunfall sofort Schmerzensgeldansprüche. Da bei dem Beinaheunfall kein körperlicher Schaden entstanden war, kommt es auf die Zurechnung der psychischen Schäden an. Der Kunde gibt an, er habe einen Schock erlitten. Das allein reicht für ein Schmerzensgeld noch nicht aus.

Erst wenn der Schock einen gewissen Krankheitswert erreicht haben sollte – die Mediziner sprechen dann von einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS) – kommt man in den relevanten Bereich. Das Vorliegen einer PTBS sollte nach meiner Auffassung fachärztlich bzw. gutachterlich nachgewiesen werden. Die Diagnose des Hausarztes reicht nicht aus, da eventuelle Vorerkrankungen und Vorbelastungen des Betroffenen nicht ausreichend abgebildet werden. Sollte die PTBS nachgewiesen werden können, wäre ein Zahlungsanspruch dem Grunde nach gegeben. Ein Schmerzensgeld von 4.000 EUR liegt dabei im üblichen und vertretbaren Rahmen.