„Ich bin in Bremen geboren und aufgewachsen, das hilft mir sehr. Die Stadt und das Land für das man arbeitet, das sollte man mögen und darüber vertieftes Wissen haben. Das ist nicht beliebig transportierbar und erlernbar, das ist ein Stück Lebensgefühl – eben Herz und Seele.“ Wenn man sich die Personifizierung eines Bremer Urgesteins vorstellen sollte und die Bremer Stadtmusikanten wegen Abnutzung wegfielen – Oliver Rau wäre ein guter Kandidat dafür. „Ich bin in Bremen auch beruflich groß geworden und habe eine kaufmännische Ausbildung und danach noch ein Traineeprogramm im Vertrieb bei „Beck‘s“ gemacht, also der erste große Leuchtturm, den man auch weltweit auf Anhieb erkennt“, erläutert er uns im angeregten Gespräch auf dem beeindruckenden RDA-Stand in Köln von Bremen und der Schwesterstadt Bremerhaven, die heute kaum noch auseinanderzudividieren sind.
Und nicht mehr zu übersehen! Nicht nur haben die Touristiker aus dem früher eher randständigen Nordwesten das Plattdeutsche Wort „Klönsnack“ bundesweit bekannt gemacht, an den neuen Kampagnen und touristischen Angeboten kommt man in der Branche kaum noch vorbei. Das geht soweit, dass man ganz „wilde Sachen“ (O-Ton Rau) wie eine Tinder-Kampagne lostritt, auch sei Bremen die erste Destination, die bei der jugendlichen Online-Plattform TikTok präsent sei: „Wir hatten bei Tinder so gute Zugriffszahlen, dass wir in die Verlängerung gegangen sind.

Mit Klönsnack und Tinder-Kampagne zum Erfolg

Das hat auch medial Wogen geschlagen. Viele wollten wissen, wie man sowas verkaufen kann“, freut sich Rau, der sich nicht zuletzt als Verkäufer versteht, dessen edelste Aufgabe es ist, seine eigene Marke zu pflegen. Das hat er nicht zuletzt bei Werder Bremen gelernt, wohin ihn der legendäre Werder-Manager Willy Lemke, der später Bremer Senator für Sport und Inneres wurde, 1996 direkt nach Raus Olympiade gelockt hatte. Analogien zwischen Fußball und Tourismus gefallen Rau nicht zuletzt deshalb sehr gut: „Es ist genauso wie beim Fußball: wir sind ein regionaler Anbieter, wir wollen national aber auch international spielen. Wir können zwar nicht immer Champions League sein, aber Europa League auf jeden Fall. Das Wesen der Menschen im Tourismus ist dem Sport sehr ähnlich – man ist sehr offen und geht sehr fair miteinander um, aber man braucht Stürmer und muss am Ende Erfolge liefern.“


Erfolge gab es beim Verein denn auch einige zu feiern, erinnert sich Rau gerne: „Ich hatte das Privileg, die erfolgreichste Dekade des Vereins zwischen 2003 und 2012 mitzugestalten (sieben Mal Champions League-Teilnahme, sechs Mal Pokalfinale in Berlin, davon drei Pokalsiege).“ Aber getreu dem Motto, zu gehen, wenn es am schönsten ist, lockten Rau neue Horizonte, er wechselte zur Stiftung Deutsche Sporthilfe in Frankfurt, der auch er und seine Frau Vieles zu verdanken hatten in ihrer Profisportzeit. „Für mich war der Zeitpunkt gekommen, mich zu verändern. Ich hätte dasselbe nie für einen anderen Fußballverein machen können, dafür bin ich zu sehr Überzeugungstäter. Man muss sich mit dem Produkt sehr stark identifizieren.“ Und das prägt den Bremer zeit seines Berufslebens, das vor einem Jahr die vorerst letzte Wendung nahm, als händeringend eine neue Leitung für die Bremer Touristik- und Stadtmarketinggesellschaft WFB gesucht wurde. Ein langjähriger Weggefährte habe ihn auf die Vakanz aufmerksam gemacht mit dem Satz: „Das ist dein Job, das bist genau DU!“ Etwas ungläubig nahm er den Rat an und informierte sich ausgiebig. Im abendlich anberaumten Kennenlerngespräch eröffnete er frank und frei: „Wenn Sie einen Touristiker suchen, dann können wir das Gespräch an dieser Stelle beenden, das bin ich nämlich nicht.“ Und als nächstes wieder kämpferisch: „Zu solch außergewöhnlichen Uhrzeiten haben wir auch immer in der Champions League gespielt und da will ich auch wieder hin.“ Die Kommission zeigte sich beeindruckt von so viel Chuzpe ­– er bekam den Job.

„Das ist Dein Job, das bist genau DU!“

Sein erstes Jahr nutzte er, um sich zu orientieren, weniger um Grundlegendes zu verändern: „Viele hatten sich am Anfang vielleicht gedacht, was will der denn jetzt der „Sport-Heini“, kann der das überhaupt?“ Aber das Privileg ist ja als Quereinsteiger, dass man neue Gedanken mitbringen kann, und viele dann sagen, „da hat er ja eigentlich recht, daran haben wir noch gar nicht gedacht. Ich habe mir ein Jahr lang erst mal alles in Ruhe angeschaut und alle machen lassen. Dann hatte ich das Privileg der Corona-Nachwehen, dass wir mit Mitteln ausgestattet wurden, so dass wir uns auch einen Auftritt wie den auf dem RDA leisten konnten, um zu zeigen, wir sind auf der Landkarte und Bremen ist ein attraktives Reiseziel.“ Und schließlich aus ganzem Herzen: „Ich habe es nicht eine Sekunde bereut.“ Das hieß aber auch an vielen Stellen anpacken und Dinge neu aufzustellen. Und genau das hat Rau dann auch mit Volldampf getan.

Das Privileg des Quereinsteigers, neu zu Denken

Seine Learnings nach dem ersten Jahr des touristischen Umbaus fasst er so zusammen: „Es ist deutlich geworden, dass wir digitaler und nachhaltiger werden müssen, und an vielen Stellen noch zu analog gedacht haben. Wir haben also gehandelt und sogar eine Nachhaltigkeitsmanagerin eingestellt. Wir mussten auch in der Zielgruppenansprache optimaler segmentieren und gezielter Gruppen ansprechen. Wir haben als eine meiner ersten Aufgaben unsere Tourismus-Strategie nachgeschärft. Daraus ist dann der Gedanke entstanden „Lasst uns mal in Kampagnen denken“ - das war vorher nicht an der Tagesordnung in Bremen, auch weil die Mittel beschränkt waren. Wir können jetzt viel besser Grenzen testen.“ So kamen innovative Projekte wie Tinder-Kampagne, TikTok-Channel oder die neuen Infostelen mit NFC Codes für Bremen auf‘s Trapez. Rau nennt das auch gerne „Krach machen und laut bleiben“. Man nimmt es ihm sofort ab und denkt unweigerlich an den Krawall im Fußballstadion.

Das Motto lautet „Krach machen und laut bleiben“

Dem Bus- und Gruppentourismus räumt Rau auch für die Zukunft große Chancen ein – wenn dieser denn die richtige Bedeutung beigemessen bekomme: „Der Bus ist das nachhaltigste Verkehrsmittel, das verstehen viele Menschen, mit denen ich spreche, noch nicht wirklich. Das muss man einfach viel besser erklären. Die nächste Generation der Busunternehmer wird hier schon sehr viel rühriger, da gibt es viele gute Beispiele. Diese Geschichte des nachhaltigen Bustourismus wird viel zu wenig und vor allem viel zu leise erzählt. Wenn man das ernst meint in der Branche, dann muss man das auch personell und marketingseitig hinterlegen.“ Bremen hat die Weichen hier schon optimal gestellt: wohl Ende des Sommers wird ein neuer, groß angelegter Fernbusbahnhof mit angeschlossenem Parkhaus nebst Hotel eröffnet. Und die neue Tourist Info, die „Bremen-Info“ heißen wird, geht auch zeitnah an den Start. „Damit auch in Zukunft niemand mehr an Bremen vorbeikommt und vor allen Dingen vorbei fährt.“ Sportliches Etappen-Ziel für Bremen: Champions League!v