Nach seiner Rückkehr nach Deutschland haben wir ihn gefragt, was den Unterschied zwischen europäischer und chinesischer Art des Busbaus ausmacht. „Dass du als Designer im Busbereich ein Showcar machen darfst, das sogar auf die Straße kommt – mehr geht einfach nicht. Unser Future Bus für Amsterdam war einfach der Knaller,“ zeigt sich Lenz deutlich emotionalisiert, wenn es um sein „Grand Oeuvre“ geht, das 2016 und noch lange darüber hinaus für Furore gesorgt hat – und das nicht nur wegen seiner Level 3-Automatisierung, sondern ganz besonders wegen seines spektakulären Designs, das noch über Jahre hinaus als gelungenes Beispiel für DEN Bus der
Zukunft galt. „Wir wollten einfach die Intension des automatisierten Fahrens durch das ungewöhnliche Innendesign aufwerten, und es war sehr gut, dass die Geschäftsführung es damals zugelassen hat, eine solche Diskussion loszutreten. Natürlich war nie geplant, es in dieser Weise in die Serie zu bringen, aber wir haben wertvolles Feedback von Kunden und anderen Experten sammeln können.“ Den Vorwurf, die meisten Ansätze aus dem Design- und Technikträger seien doch wirkungslos verpufft, will Lenz nicht gelten lassen: „Es ist doch einiges in der Serie angekommen vom Design und Konzept. Außerdem konnte man als Team einfach mal deutlich zeigen, dass man sein Metier als Designer beherrscht. Und gleichzeitig kann man dadurch alte Denkweisen im Unternehmen aufbrechen.“ Nicht alles von seinen Ideen konnte er
damals durchsetzen, vor allem weil er sich zur IAA 2016 in eine Gesamtkampagne mit den Truck- und Vankollegen einreihen musste.

 

Nur der Future Bus hatte 2016 eine Straßenzulassung

„Aber nur der Bus hatte eine Straßenzulassung und wurde demonstriert mit seinen teilautonomen Funktionen,“ zeigt sich Lenz stolz. „Die Zeit ist ja nicht stehen geblieben, heute würde ich etwas forscher reingehen ins Thema Gerippeänderungen zum Beispiel. Am Ende kam aber ein ansehnlicher Kompromiss aller Beteiligten heraus. Auf jeden Fall ein echter Mercedes.“ So wie der legendäre Mercedes W116, den der Chef seines Vaters, eines Konditors, der bei dem jungen Lenz anno 1972 für eine Art automobiltechnische Initialzündung durch Direktkontakt sorgte und eine Faszination auslöste, die ihn nicht mehr loslassen sollte. Er lebte damals in Waldkraiburg bei München in der Nähe von Penzberg. Die weiteren Stationen seiner Designerkarriere sind schulbuchartig: Kunst-Leistungskurs im Gymnasium „zum Leidwesen der Eltern“, irgendwann hat er dann eine Mappe nach der „Methode Trial & Error“ für die Hochschule in Pforzheim eingereicht, „als Landei war das schon so eine Sache damals.“ Anno 1986 hat er es dann sofort geschafft – „relativ ungewöhnlich damals.“ Bei einem Praktikum in Ottobrunn durfte er an Ur- und Strakmodellen für BMW mitarbeiten, „da wusste ich dann – das isses für mich!“.
In den ersten vier Semestern des Studiums widmete er sich allgemeinen Themen , danach spezialisierte er sich dann auf Industrial Design, was ihn nicht von anderen Projekten in den Dimensionen wie der Mercedes A-Klasse abgehalten hat: „Wer Nutzfahrzeuge gestalten kann, der kann auch Kompaktfahrzeuge machen,“ ist Lenz überzeugt. Nach seiner Diplomarbeit zum Thema Lkw-Arbeitsplatz („damals noch ohne CAD-Tools“) stieg Lenz 1992 dann direkt „beim Daimler“ ein, wo damals unter Abteilungsleiter Gerhard Honer das Design neu strukturiert wurde. Seine ersten Busprojekte waren sodann der O350 Tourismo und Teile des Interiors für den Mercedes-Benz Citaro C1. Höhen und Tiefen folgten: dem nicht durchschlagenden Projekt „S3“ alias „Cito“ folgte der Mercedes Travego, für dessen Gestaltung „keine Kosten und Mühen gescheut wurden.“ Im Jahr 2000 folgte die Teamleitung im Vanbereich, 2010 dann übernimmt Lenz planmässig das Bus-Design vom bekannten Vorgänger Wolfgang Papke („der letzte Nagel für meine Buskarriere“– im positiven Sinne).
Irgendwann stellte sich aber dann die Frage für Lenz, ob er nochmal eine neue Generation eines Fahrzeuges machen will im gleichen Unternehmen. „Das hat schon so etwas von ‚täglich grüßt das Murmeltier‘, und das war einfach eine relativ beunruhigende Aussicht.“ Just in dieser Zeit flatterte dann das Angebot des weltgrößten Busbauers Yutong aus China auf den Tisch, nachdem der bis dahin erträumte Wechsel zur Lkw-Tochter Freightliner in die USA nicht funktioniert hatte. „Letztlich war das auch besser, weil es vom kulturellen Lerneffekt noch deutlich größer war als die USA,“ so Lenz, der ganz bewusst nur einen auf fünf Jahre befristeten Vertrag annahm, um seine Lebensplanung mit der Familie offen gestalten zu können, um danach noch andere Dinge tun zu können – wie sich mit der Kunst zu befassen.

 

Der kulturelle Lerneffekt war in China größer

„Die Aufgabe bei Yutong war spannend, es ging ja vor allem darum, die stark zerfaserte Produktrange völlig neu zu ordnen und auch eine neue Designphilosophie umzusetzen.“ Der Traum eines jeden Designers mit Ambitionen. Dazu baute Lenz in einer ersten „Transformationsphase“ ein komplettes Designstudio in Zhengzhou im Headquarter auf mit dem dazugehörigen, vergrößerten Team, einem Modellbau samt CAD, Virtual Reality-Tools und Fräsen für Modelle. Alles, was das moderne Design eben so braucht heute. „Aus der kleinen Design-Einheit sollte also ein international wettbewerbsfähiges Team werden – das war das erklärte Ziel. Nicht zuletzt wollte das Unternehmen auch stärker auf den europäischen Markt drängen mit einem entsprechenden Design.“ Das gestaltete sich dann zwar aufgrund vieler Wechsel in der Chefetage als schwierig, aber trotzdem stellte sich mit Modellen wie dem spektakulären Stadtbus U12, der 2019 in Brüssel erstmals gezeigt wurde und dort einen Designpreis bekam, und dem People Mover „Xiaoyu 2.0“, der 2021 den „red dot“-Award erhielt, schnell der internationale Erfolg ein. „Das war schon ein Beweis für uns, dass das Team in der richtigen Richtung unterwegs gewesen ist“. Gibt es große Unterschiede der Designphilosophie Chinas? „Die große Herausforderung ist dabei natürlich, dass der chinesische Kunde sehr oft nach neuem Design verlangt. Die Produktzyklen und die Erwartungshaltung des Kunden nach neuem Design sind also deutlich kürzer als in Europa. Das macht die Entwicklung einer einheitlichen Designsprache sehr schwer.“ Ein anderes „Mentalitätsthema“ war für Lenz weniger herausfordernd als zuerst erwartet. „Der chinesische Hang zum üppigen Dekor schlug bei Yutong zum Glück nicht so stark durch, hier kam dann schnell die Kostenkeule zum Zug, wie bei allen Herstellern.“ Dazu komme, dass die chinesische Art, Probleme nie offen anzusprechen, die Arbeit nicht vereinfache. 
Chinesische Kunden wollen sehr oft ein neues Design Diese Tendenz mache auch das private Leben herausfordernd: „Chinesen sind eher zurückhaltend aber auch sehr freundlich. Es gibt menschliche Grenzen, über die sie nicht hinausgehen. Ich habe in den 3,5 Jahren vor Ort nur sehr wenige Chinesen als echte Freunde gefunden,“ so Lenz. Die Familie gehe ihnen über alles, auch deswegen seien viele seiner Mitarbeiter in der beginnenden Corona-Pandemie zurück aufs Land zu den Eltern gegangen. Und fühlte sich Lenz in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt? „Nein, das nicht, aber politische Themen konnte man im Büro natürlich nicht ansprechen, das habe ich aber auch nur sehr eingeschränkt in Deutschland erlaubt.“ Gewerkschaften und Apps spielen ebenfalls eine gänzlich andere Rolle in der Arbeitswelt: „Alles ist miteinander verwoben, auch mit der Partei. Wenn die Leistung der Mitarbeiter unzureichend war, konnte das Gehalt schon mal um bis zu 50 Prozent gekürzt werden. Auf der anderen Seite kümmern sich Gewerkschaften bei persönlichen Problemen sehr intensiv um die Mitarbeiter.“

 

Das ÖPNV-System in China ist viel günstiger

Was können wir von China für die gesellschaftliche Bedeutung des Busses lernen? „Vor allem ist das ÖPNV-System viel besser ausgebaut und deutlich billiger, in Shanghai zahle ich 80 Cent für eine Strecke die in Deutschland sechs Euro kostet. Und dann ist da natürlich der Trend zu kleinen Fahrzeugen und die massive Elektrifizierung. Hier kann man schon deutlich sehen, wie man die Menschen in den Bus bringen kann.“ Sein persönliches Fazit aus der verkürzten Kulturschulung? Er würde den Sprung jederzeit wieder machen und die Erfahrung nicht missen wollen, so Lenz. Jetzt aber sei er froh sich seinem neu aufgenommenen Kunststudium zu widmen, „das wollte ich schon immer machen“. Dem Design bleibe er natürlich stark verbunden, er kann sich sogar vorstellen, noch einmal einem Ruf ins Arbeitsleben zu folgen, das er vor allem aus privaten Gründen nach seiner Rückkehr vorerst pausieren lässt. Designer sei ein Beruf, den habe man ein Leben lang, und der darüber hinaus eine persönliche Einstellung darstelle. Eben eine Profession, der man aus echter Freude anhänge.