Eigentlich sollten Fahrgäste längst mit dem «Deutschlandticket» unterwegs sein - doch der Pauschaltarif für Busse und Bahnen lässt wohl noch weitere Monate auf sich warten, nachdem es im vergangenen Jahr mehrfach viel Zoff aber auch vorläufige „Einigungen“ zwischen den Ländern und dem Bund gegeben hatte. Nach mehrmonatiger Verzögerung gegenüber dem ursprünglichen Starttermin 1. Januar hält Bremens Mobilitätssenatorin und derzeit Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz Maike Schaefer (B90/Grüne) auch die derzeit angestrebte Einführung des Tickets spätestens zum 1. Mai für durchaus nicht mehr gesichert. Viele technischen Detailfragen sind demnach noch ungeklärt.  „Für den termingerechten Start zum 1. Mai 2023 brauchen wir aber mehr Kompromisse und Solidarität - und einen Bundesminister, der nicht die Umsetzung blockiert», sagte die Bremer Senatorin Schaefer nach einem Arbeitstreffen der Arbeitsgruppe zur Ticketumsetzung am vergangenen Freitag. Noch im Herbst hatten die Verkehrsminister unter ihrem Vorsitz eine Einführung im Januar angestrebt, doch die Vorbereitungen ziehen sich hin. Auch der bdo in Berlin sieht "noch immer wesentliche und für die Unternehmen existenzielle Fragen offen," wie eine Mitteilung am Montag Mittag sagt.

Dass es bei den andauernden und scheinbar zähen Verhandlungen zwischen Ländern, Verkehrsverbünden und Unternehmen eher zäh als dynamisch vorangeht, sieht Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) offenbar zunehmend kritisch. „Wir brauchen eine zügige Umsetzung. Ich appelliere an alle: Denken sie an die Menschen, die ungeduldig auf den Start des Deutschlandtickets warten“, sagte Wissing dem Hamburger Abendblatt.

Die SPD-Fraktion mahnte derweil am Wochenende: „Das Deutschlandticket muss schnellstmöglich und ohne Umschweife kommen.“ Fraktionsvize Detlef Müller sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Das Verkehrsministerium, die Länder und Verbünde müssen mit Hochdruck an der Umsetzung arbeiten statt sich weiter in Detailfragen zu verkämpfen. Die Menschen erwarten eine günstige und einfache Lösung.“

"An uns Ländern liegt es nicht, dass sich das 49-Euro-Ticket verzögert", sagt Baden-Württembergs grüner Verkehrsminister Winfried Hermann der Süddeutschen Zeitung. Man sei schon "verwundert, dass der Bundesverkehrsminister mit den Vorbereitungen nicht vorankommt". Schließlich habe er selbst das Ticket schon zum Jahreswechsel einführen wollen.

 

Zankapfel Nummer 1: Papierticket oder „Digital only“

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) dringt zwingend auf ein digitales Ticket. Aus den Ländern kommt aber die Forderung, zumindest übergangsweise für ein erstes Jahr auch konventionelle Papierfahrkarten anzubieten. «Wir können nicht diejenigen ausschließen, die digital noch nicht fit sind», sagte die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) dem «RedaktionsNetzwerk Deutschland» (Samstag). Schaefer wirft Wissing bei dem Thema eine Blockade vor. Mehrere Anbieter neben dem vom VDV vor mehr als fünf Jahren initiierten Service „Mobility Inside“, der auch den Verbünden RMV und MVV bereits die digitale Plattform liefert, bereiten sich auf die Vermarktung des digitalen Tickets vor, bei manchen kann man es bereits vorbestellen. Da das Ticket voraussichtlich auch außerhalb der bisherigen Ticketing-Routinen der Verbünde und der DB vermarktet werden soll, ist hier ein veritables Rennen um einen womöglich lukrativen Markt entfacht worden.

Es herrschte laut bdo auch Uneinigkeit zwischen den Ländern darüber, "ob der VDV den Zuschlag für die Entwicklung einer bundesweite Vertriebsplattform (White-label) bekommt", was vor allem auf "Mobility Inside" abzielt. Das BMDV sei dagegen gewesen, so der Verband. Nach langer Diskussion habe man sich nicht auf die Entwicklung einer Vertriebsplattform durch den VDV einigen können.

Sehr lange sei zudem über die notwendige Plattform als Sammelstelle für Vertriebsdaten gestritten worden, so der bdo. "Diese Plattform soll erstens Daten für die Evaluation und zweitens Daten für die zukünftige Einnahmeaufteilung sammeln und diese ggf. auch vornehmen". Es habe an diesem Punkt keine Einigung erzielt werden können. "Während einige Länder diese Aufgabe beim VDV ansiedeln, haben Bayern und Baden-Württemberg den Deutschlandtarifverbund (DTV) ins Spiel gebracht". Der bdo habe darauf hingewiesen, dass eine zukünftige Datensammelplattform, die auch ggf. die Einnahmeaufteilung vornehmen wird, absolut neutral sein muss und nicht durch Marktteilnehmer getragen sein darf. Da keine Einigung erzielt werden konnte, sei das Thema zurück in die Arbeitsgruppe Einnahmeaufteilung verwiesen worden.

 

Zankapfel Nummer 2: Rechtliche Rahmenbedingungen

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) weist zum wiederholten Male darauf hin, dass noch wesentliche politische Entscheidungen zur Klärung ausstünden. „Hier muss der Bund liefern,“ heißt es vom Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff gebetsmühlenhaft seit Monaten. Notwendig sei etwa eine bundesweite Tarifgenehmigung für das Ticket sowie eine Änderung des Regionalisierungsgesetzes, in dem es vor allem um die zusätzlichen finanziellen Mittel geht, die zwischen Bund und Ländern nach langem Gerangel wohl hälftig aufgeteilt werden sollen.

"Im ÖPNV können wir nur mit genehmigten Tarifen fahren", erläuterte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff auf der Jahrespressekonferenz am 24. Januar. "Die erfolgt in aller Regel regional durch die Regierungspräsidien." Der Verband fordert eine bundesweit einheitliche Genehmigung. Sonst drohe ein Flickenteppich, wie er laut dpa sagte. "Wir wollen auf gar keinen Fall, dass es irgendwelche Räume gibt, in denen das Ticket gar nicht gilt, oder auch nicht verkauft werden kann, weil es an der Tarifgenehmigung scheitert", betonte wiederum Verbandspräsident Ingo Wortmann.

Diese Gesetzesänderung soll der Bundesrat nach Maike Schaefers Angaben am 31. März beschließen. Am 3. April sollen Fahrgäste den Fahrschein dann kaufen können, vom 1. Mai an damit fahren - so der Plan. Auch eine Genehmigung der EU ist noch notwendig. Ebenso fehle noch eine Regelung zur Einnahmeaufteilung – sicher nicht der geringste Punkt bei der Gemengelage.

Der bdo habe sich laut einer aktuellen Analyse "intensiv für eine ausdrückliche und bundesweit geltende Tarifvorgabe, sowie eine Tarifgenehmigungsfiktion im Rahmen des RegG  - wie beim 9-Euro-Ticket - eingesetzt". Entgegen noch anders lautender Aussagen aus dem BMDV vor Weihnachten "beabsichtige das BMDV offensichtlich aktuell keine (!) bundesweite Regelung sowie Tarifgenehmigungsfiktion aufzunehmen", so der bdo weiter. Die Länder hätten sich am vergangenen Freitag einheitlich dafür ausgesprochen, eine "Tarifgenehmigungsfiktion aufzunehmen", damit ein Flickenteppich verhindert würde. "Denn es ist nahezu ausgeschlossen, dass der Tarif bis zum 1. Mai durch alle Aufgabenträger im Rahmen einer allgemeinen Vorschrift vorgegeben, durch die Verkehrsunternehmen beantragt und durch die Genehmigungsbehörden genehmigt wird". 

 

 

Zankapfel Nummer 3: Technische Umsetzung und Sonderregelungen

Die Umsetzung liegt bei den Bundesländern und den Verkehrsbetrieben. Nachdem die Skepsis beim zuletzt angepeilten Starttermin 1. April wuchs, stellt Minister Wissing kürzlich klar: «Für mich steht fest, nicht später als der 1. Mai.» Dass das für Bus- und Bahnbetreiber ein Kraftakt ist, macht Schaefer und Müller mit ihrem Hinweis deutlich, ein Papier-Ticket werde kleineren Verkehrsunternehmen helfen, die nicht schnell auf Digitaltickets umstellen könnten. Der VDV betont jedoch: «Die Branche wäre bis 1. Mai startklar.» .

Das 49-Euro-Ticket ist als Abo gedacht, und je nach Region können Abonnenten Kinder, Hunde oder Fahrräder mitnehmen. SPD-Mann Müller fordert hier während der Einführungsphase des Deutschlandtickets eine weitgehende Flexibilität. „Bis eine bundeseinheitliche Regelung gefunden ist, sollte geprüft werden, ob die bisherigen lokalen Regelungen der Nahverkehrsabonnements übergangsweise gelten können.“ Auch angedachte Erweiterungen des bayerischen Semestertickets und andere Alleingänge der Länder wie gesonderte Sozialtarife des D-Tickets sorgen weiterhin für Unmut unter den Verkehrspolitikern.

Hessen plant zum Beispiel ein eigenes landesweites Nahverkehrsticket für Geringverdienende. Das Angebot von 31 Euro im Monat solle für alle Menschen gelten, die Anspruch auf Bürgergeld, Wohngeld Plus oder Sozialhilfe haben, teilten Verkehrsminister Tarek Al-Wazir und Sozialminister Kai Klose (beide B90/Grüne) mit. Der Kreis der Berechtigten würde etwa 520 000 Menschen umfassen. Für Schüler, Auszubildende, Senioren und Landesbedienstete gibt es in Hessen bereits ein Flatrate-Ticket. „Ebenfalls müssen Abstimmungsgespräche mit den Kommunen geführt werden, die teilweise bereits lokale vergünstigte Fahrkarten anbieten“, sagte Al-Wazir bei der Vorstellung. Sozialminister Klose betonte, dass bezahlbare Mobilität eine zentrale Voraussetzung sei, damit alle Menschen am sozialen und kulturellen Leben teilhaben könnten. Für viele Menschen sei auch der Preis von 49 Euro für das geplante Deutschlandticket sehr viel Geld.

 

Zankapfel Nummer 4: Finanzierung

Damit die Länder bei dem Pauschaltarif mitmachen, will der Bund nach langen Verhandlungen im Jahr 2022 im ersten Jahr die Mehrkosten des Tickets zur Hälfte übernehmen; für die Folgejahre steht eine gemeinsame Regelung aber immer noch aus. Und der Bund hat den jährlichen Zuschuss, die Regionalisierungsmittel, um eine Milliarde erhöht. Landesverkehrsministerin Maike Schaefer erneuerte aber bei ihrer Generalkritik am Wochenende die sattsam bekannte Länderforderung von zusätzlich 1,5 Milliarden Euro, damit Klimaziele im Verkehr nicht verfehlt werden. Bussen und Bahnen in Deutschland fehlt chronisch Geld. Der Fahrkartenverkauf decke nach Branchenangaben nur etwa die Hälfte der Kosten, den Rest schießt die öffentliche Hand zu. Nach Corona setzen hohe Energiepreise und voraussichtlich auch das 49-Euro-Ticket vor allem kleine und eigenwirtschaftlich arbeitende Betriebe weiter unter wirtschaftlichen Druck.

 

Fahrgastverband macht ebenfalls Druck

Der Fahrgastverband Pro Bahn dringt auf eine zügige Einführung des 49-Euro-Tickets. „Wir wollen, dass es endlich kommt“, sagte Malte Diehl, Landesvorsitzender von Pro Bahn für Niedersachsen und Bremen, der Deutschen Presse-Agentur. Wichtig sei, dass das Ticket auch ohne Abonnement und am Automaten erhältlich sei. „Unnötige Bürokratie schreckt die Menschen ab“, betonte Diehl. Die Finanzierung des 49-Euro-Tickets dürfe nicht zu Lasten des bestehenden Betriebes gehen und dürfe auch nicht den Ausbau des Bus- und Schienennetzes gefährden, betonte der Pro-Bahn-Landeschef.

Es sei schwer zu sagen, für wie viele Menschen das günstige Ticket ein Anreiz sein könnte, vom Auto auf Bus und Bahn umzusteigen. „Für viele Pendler wird es deutlich günstiger“, sagte Diehl. So koste etwa ein Monatsticket für die Strecke zwischen Oldenburg und Bremen derzeit deutlich über 100 Euro im Monat. „Ich kann mir vorstellen, dass wir eine Steigerung der Fahrgastzahlen von 15 bis 20 Prozent erleben werden“, meinte Diehl. Das 49-Euro-Ticket könne auch attraktiv für Pendler sein, die im Homeoffice arbeiteten und nur zwei oder drei Mal pro Woche ins Büro fahren müssten.

Auch der Landesverband Hessen von Pro Bahn forderte ein bundesweites Sozialticket für 19 Euro im Monat. "Insellösungen auf Landesebene lehnen wir ab", teilte die Interessensvertretung für Fahrgäste mit. Das Sozial-Deutschlandticket solle allen Menschen zustehen, die staatliche Transferleistungen wie etwa Bürgergeld bekämen.

 

Dieser Artikel wurde am 24. Januar um 15 Uhr aktualisiert.