„Wir müssen es hinbekommen, dass autonomes Fahren tatsächlich im ÖPNV wirksam wird“, sagte Robert Henrich, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Hochbahn, zum Auftakt der Jahrestagung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) am Dienstag, 17. Juni, in Hamburg. VDV und Hochbahn haben Positions- und Umsetzungspapiere zum autonomen Fahren im ÖPNV vorgelegt und beide machten im Rahmen einer Pressekonferenz deutlich, dass Deutschland hier tatsächlich zu einem Leitmarkt werden kann.

Speziell Henrich wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er beim autonomen Fahren nicht nur die oft diskutierten Robo-Taxis im Blick hat, sondern vor allem auch den zwölf Meter langen Standardbus. Beim automatisierten Fahren sei es wichtig, im Kopf zu behalten, wo die die große Menge an Fahrgästen befördert wird und das seien nicht kleine Robo-Taxis, wie sie etwa in den USA Marktführer Waymo anbietet, sondern „das ist der ÖPNV“, so der Hochbahn-Chef.

 

Autonomes Fahren in den Regelbetrieb bringen

In Hamburg gibt es das Ziel, bis zum Jahr 2035 ein Fahrgastplus von 30 Prozent zu erreichen. Um das zu schaffen, bräuchte die Hochbahn rund 350 zusätzliche Busse sowie tausend zusätzliche Busfahrer und man käme auf rund 100 Millionen Euro mehr Kosten pro Jahr, rechnete Henrich vor, der gleich hinzufügte: „Wirtschaftlich ist das nicht darstellbar.“ Autonomes Fahren biete jedoch einen Kostenvorteil, daher müsse man das autonome Fahren zur Reife bringen, um Unternehmen wie der Hochbahn die Chance zu geben weiter wachsen zu können. „Wir wollen vom Pilotprojekt zum Regelbetrieb kommen“, bekräftigte Henrich denn auch mehrfach.

„Die Hochbahn hat ein Zukunftsbild entworfen, wie das fahrerlose Fahren optimal eingesetzt werden kann, um Angebotsqualität und Fahrgastzahlen des ÖPNV weiter zu steigern“, sagte Henrich. Man wolle den nächsten Schritt in Richtung einer praktischen Umsetzung gehen und „in den kommenden Jahren ‚Robo-Shuttles‘ und ‚Robo-Midibusse‘ im öffentlichen Linienbetrieb erproben“, so Henrich, denn: „Gerade im Linienverkehr kann fahrerloses Fahren perspektivisch einen großen Beitrag zur Mobilitätswende leisten.“

VDV-Präsident Ingo Wortmann ergänzte, Deutschland sei „zu zögerlich bei der Markteinführung“ beim autonomen Fahren. „Jetzt brauchen wir entschlossene Schritte: Die Zulassung von Level-4-Fahrzeugen ohne Sicherheitspersonal muss kommen. Wir benötigen im Rahmen des bundesweiten Projekts fünf bis maximal sieben Modellregionen, in denen autonome Systeme unter realen Bedingungen in verschiedenen Verkehrsräumen erprobt und hochskaliert werden können. Und wir brauchen eine gemeinsame Roadmap – getragen von Bund, Ländern, Branche und Industrie –, die den Weg in den Regelbetrieb strukturiert vorgibt.“

 

Fahrerloses Fahren als neues normal

Die Branche müsse „jetzt den Schritt von vielen Projekten mit wenigen Fahrzeugen zu wenigen Projekten mit vielen Fahrzeugen gehen“, sagte denn auch Henrich. Geht es nach dem VDV sollte man sich auf ein bundesweites Modellprojekt konzentrieren, zum einen, um eine große Zahl an Fahrzeugen auf die Straße zu bekommen, damit es für die Industrie interessant wird, zum anderen aber auch, um die in diesem Projekt gemachten Erfahrungen anderen Unternehmen zur Verfügung stellen zu können.

„Wir wollen uns auf ein bundesweites Projekt konzentrieren. Wir brauchen keine Fördervielfalt, sondern eine gemeinsame Kraftanstrengung der Branche mit Unterstützung der Politik“, sagte Wortmann in Hamburg und der VDV-Präsident machte dafür auch eine Rechnung auf: „Dafür benötigen wir zunächst eine Milliarde Euro als Anschubfinanzierung, um die Mehrkosten der Projektphase aufzufangen. Das umfasst Leasingraten für die neuen Fahrzeuge, die Finanzierung von Projektpersonal, den Aufbau der Ladeinfrastruktur und Investitionen in Forschung und Entwicklung. Hinzu kommen im weiteren Verlauf zwei Milliarden Euro, die wir für den realen Linien- und Linienbedarfs-Betrieb benötigen: für die Integration in gemischte Flotten, den Ausbau von Betriebshöfen und die Einrichtung von Leitstellen. Mit dieser Anschubfinanzierung von drei Milliarden Euro kann die Transformation vom Pilotprojekt zum Regelbetrieb gelingen.“

 

Hochbahn fordert Fahrzeuge mit Volumen

Dass es dabei keineswegs um kleine Fahrzeuge gehen soll, machte abschließend Henrich noch einmal deutlich, der betonte: „Die Wirtschaftlichkeit fahrerloser Fahrzeuge wird immer besser sein, je größer das Fahrzeug ist.“ Grundlegend für die Branche sei daher, dass „große Fahrzeuge auf den Markt kommen, die jene Volumen und Wirtschaftlichkeit bieten, die Verkehrsunternehmen brauchen.“ Der Hochbahn-Chef zeigte sich überzeugt, das auf lange Sicht das fahrerlose Fahren das „neue normal“ sein wird.

Das es mit den automatisiert fahrenden Zwölf-Meter-Bussen vielleicht gar nicht mehr so lange dauern wird, zeigte der parallel zur VDV-Jahrestagung stattfindende UITP Summit in Hamburg. Dort kündigte der Bushersteller MAN Truck & Bus an, dass man ab 2030 einen vollautomatisierten Stadtbus zur Verfügung stellen will. Das Interesse von Verkehrsunternehmen an autonomen Bussen ist laut MAN „groß“. Deshalb wolle man Fahrzeuge in verschiedenen Märkten und Einsatzszenarien testen.

 

Thomas Burgert