Im Busunternehmen von Rudi Rabe arbeitet Werner Weberknecht. Werner Weberknecht ist total sportbegeistert. Besonders angetan ist er vom Bergwandern. Bei seiner letzten Tour in der Sächsischen Schweiz kam Werner Weberknecht auf nasser Stelle zu Fall und brach sich ein Bein. Er war 8 Wochen krank. Nachdem Rudi Rabe von dem Malheur hörte, bekundete er zwar sein großes Mitgefühl; Lohnfortzahlung lehnte er jedoch ab, da die Gefährlichkeit des Bergswanderns allgemein bekannt und Werner Weberknecht am Unfall selbst schuld sei. Wird Rudi Rabe mit seiner Ansicht durchkommen?

Nach meiner Auffassung nicht. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Anspruch besteht für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, längstens aber für 6 Wochen. Wie das Gesetz vorgibt, setzt der Anspruch voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet eingetreten ist. Umgekehrt bedeutet das, dass kein Anspruch besteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet wurde. Die krasseste Form des Verschuldens stellt die Absicht dar. Typischer Fall: Selbstverstümmelung. Derartige Konstellationen kommen in unserer Beratungspraxis selten vor.

Bei den Fällen, die sich in ähnlicher Weise wie der oben beschriebene Sachverhalt ereignet haben, kommt es schon häufiger zum Streit. Die Gemeinsamkeit der Fälle liegt darin, dass die Arbeitnehmer die eigene Arbeitsunfähigkeit zwar verschuldet haben, dies aber ungewollt geschah. Zwar würde nach dem Wortlaut des Gesetzes der Anspruch auf Entgeltfortzahlung schon dann ausscheiden, wenn die Arbeitsunfähigkeit fahrlässig verursacht wurde. Der Verschuldensbegriff im Entgeltfortzah-lungsgesetz ist nach (einem Teil) der Rechtsprechung aber nicht mit dem allgemeinen, zivilrechtlichen Verschuldensbegriff gleichzusetzen.

Während allgemein bereits leichte Fahrlässigkeit ausreicht, setzt das Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes ein ganz besonders großes Maß an Fahrlässigkeit voraus. Übt der Arbeitnehmer in seiner Freizeit eine Extremsportart aus, so wird im Schadensfall der Entgeltfortzahlungsanspruch häufig abgelehnt, weil die Gefährlichkeit der Extremsportart in den Vordergrund gestellt wird. Bergwandern zählt in dem Sinne keinesfalls zu den Extremsportarten. Es mag sein, dass Werner aus Unachtsamkeit auf die nasse Stelle getreten war und deshalb zu Fall kam. Ein besonders grobes Verschulden, welches seinen Anspruch ausschließen könnte, ist hierin aber nicht zu sehen.