Planen, absagen, Notlösungen finden – Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses Baden-Baden, hat schon in normalen Zeiten einen herausfordernden Job. Unter Corona-Bedingungen ein Opernfestival zu organisieren, toppt aber alles: „Es geht nur mit sehr viel Flexibilität, Mut zur Lücke und Mut zum Improvisieren“, sagt der Chef des mit 2.500 Plätzen größten deutschen Opernhauses.
Was geht, was nicht? Das testen Festspielmacher überall. Trotz unterschiedlicher Konzepte eint die von Corona gebeutelten Intendanten die Hoffnung auf ein bisschen mehr Normalität im Herbst. Dafür lässt Baden-Badens Intendant Stampa seinen Betrieb gerne unter die Lupe nehmen. Als Teil eines Modellprojekts von 18 Kultur- und Freizeiteinrichtungen in Baden-Württemberg testet das Festspielhaus die optimale Lenkung von Besucherströmen in Pandemiezeiten. Keine Abendkasse, kein Sekt im Foyer, dafür Zelte vor dem Opernhaus, zusätzliche Schalter, mehr Einlässe und eine frühere Saalöffnung.
Ob Salzburg, Bayreuth oder Baden-Baden: Rein dürfen nur Geimpfte, Getestete oder Genesene. Das Publikum nimmt es überwiegend gelassen. Nur die Maskenpflicht während der Aufführung stößt zuweilen auf Unverständnis. Im Festspielhaus Bayreuth gilt die auch, bei den Salzburger Festspielen wieder: Dort wurde einen Tag nach der maskenfreien Premiere des „Jedermann“ ein geimpfter Besucher positiv auf Corona getestet.
Während man in Bayreuth und Baden-Baden nur vor halbleeren Rängen spielen darf, fahren die Österreicher volles Programm vor vollem Haus. Die Salzburger Festspiele gelten als Versuchslabor für die europäische Kulturszene: Während 2020 Festivals in Bayreuth, Aix-en-Provence oder Glyndebourne abgesagt wurden, hatten sie trotz Pandemie ein abgespecktes Programm auf die Bühne gestellt – mit weniger Publikum, Masken, personalisierten Karten, Vorstellungen ohne Pausen und regelmäßigen Künstler-Tests.
Für Bayreuths Intendantin Katharina Wagner war es die größte Herausforderung, „den Mut nicht zu verlieren und alles dafür zu tun, damit Festspiele in diesem Jahr wieder möglich sind“. Das sieht Stampa ähnlich. Nach mehreren abgesagten Festspielen seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 startete sein Haus Anfang Juli im Rahmen des Modellversuchs. Kurz davor gab es eine bittere Absage: Das Mariinski-Theater aus St. Petersburg konnte nicht kommen, weil Russland zum Hochinzidenzgebiet wurde. Das Highlight „Tosca“ fiel aus. „Das war schon deprimierend“, sagt Stampa auch mit Blick auf fast leere Ränge. Statt 2500 Gästen durften anfangs nur 500 kommen.
Die Reaktion des Publikums hat ihn entschädigt: „Ich habe noch nie so viel positive Rückmeldungen erhalten wie beim Beethoven-Zyklus. Musiker wie Gäste waren total dankbar, dass wir den Mut hatten zur Aufführung.“ Schon die Einreise für die Künstler vom Chamber Orchestra of Europe war ein Kraftakt. Er hat sich gelohnt. Der Applaus, schwärmt Stampa, war frenetisch, die Stimmung bombastisch, die „Ode an die Freude“ ein euphorisches Ausrufezeichen. «Das war emotional eine der bedeutendsten Wochen meines Lebens.“
160 000 Besucher im Jahr zählt das Festspielhaus sonst. Seit Corona „90 Prozent weniger“. Die Pandemie-Einbußen bei dem privat betriebenen Opernhaus mit einem Jahresetat von 25 Millionen Euro gehen in die Millionen. Trotz schneller Hilfen vom Land und sechs Millionen Euro von privater Seite – darunter 500 000 Euro Spenden durch Eintrittskarten – sagt Stampa: „Nochmal so ein Jahr kriegen wir nicht hin.“
Anderen dürfte es ähnlich gehen. Denn große Klassik-Festivals bestreiten nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins einen Großteil ihrer Einnahmen aus Ticketverkäufen. „Die fast vollständig ausgefallene Festspielsaison 2020 wird noch lange zu spüren sein“, sagt der geschäftsführende Direktor Marc Grandmontagne. Es müsse mehr Spielraum für vernünftige Lösungen jenseits des Lockdowns geben. Er warnt: „Der Schaden für die Gesellschaft ist doch viel größer, wenn Theater und Konzerthäuser als öffentliche Orte in einer Stadt fehlen.“
Auch der Heidelberger Virologe Hans-Georg Kräusslich, der den Baden-Badener Modellversuch begleitet, plädiert angesichts immer mehr Geimpfter und bei guten Hygienekonzepten dafür, Kultur zu ermöglichen; je nach Corona-Zahlen „mit mehr oder weniger Restriktionen“. Stampa will jedenfalls mutig in den Herbst gehen: „Absagen kann man immer noch.“
Susanne Kupke