Zumindest Reisen innerhalb Deutschlands waren wieder möglich. Doch mit dem „Lockdown light“ im November und der Absage von Weihnachtsmärkten und ähnlichen Veranstaltungen wurde ihnen erneut der Boden unter den Rädern weggerissen. Diese für die Busunternehmen dramatische Entwicklung hat auch spürbare Auswirkungen auf Bushersteller. Also klopfte Bus Blickpunkt beim Platzhirsch Daimler Buses an und sprach mit Gustav Tuschen, Entwicklungschef von Daimler Buses, über die aktuelle Situation auf dem Busmarkt und über das Thema Sicherheit u.a. in Zusammenhang mit der aktuellen wissenschaftlichen Studie, die Daimler Buses bei der TU Berlin zur Luftqualität in Reisebussen in Auftrag gegeben hat.

Herr Tuschen, die Corona-Pandemie und die dadurch ausgelöste Krise hat nach wie vor enorme Auswirkungen auf die gesamte Busbranche. Doch am stärksten betroffen sind die Reisebusunternehmen und damit das Reisebussegment. Zeitweise stand der Reisebusverkehr komplett still. Von einer Entspannung der Situation auf diesem Markt kann aktuell nicht die Rede sein. Wie macht sich diese dramatische Entwicklung in der gesamten Busbranche (auch weltweit) bei Daimler Buses bemerkbar? Und was bedeutet die angespannte Situation im Reisebusverkehr für die Reisebusproduktion von Evobus?

Nach wie vor hat die Covid- 19-Pandemie Auswirkungen auf den gesamten Busbereich. Covid-19 betrifft die ganze Branche, den ganzen Markt und damit auch Daimler Buses als einzigen Bushersteller mit Fertigung in Deutschland. Nach einem erfolgreichen Jahr 2019 sind im ersten Halbjahr 2020 alle unsere Kernmärkte signifikant zurückgegangen und auch im zweiten Halbjahr 2020 ist der Einfluss von Covid-19 auf die Busmärkte groß. Das Reisebussegment ist dabei am stärksten betroffen. Denn der Reiseverkehr war für mehrere Wochen komplett zum Stillstand verurteilt. Das hat nahezu alle unsere Kernmärkte wie z. B. Europa, Brasilien oder Mexiko getroffen. Die Corona-bedingte, schwierige Marktsituation in der Reisebusbranche hat aktuell auch Auswirkungen auf die Auslastung im Werk Neu-Ulm. Das Produktionsvolumen für Reisebusse liegt aufgrund der angespannten Situation im Reisebussegment deutlich unter dem Vorjahresniveau. Das heißt konkret, wir fahren auf Sicht. Deshalb werden wir eine weitere Kurzarbeitsphase an unserem Standort Neu-Ulm in der Produktion und in produktionsnahen Bereichen ab Dezember 2020 einleiten.

Seit Beginn der Corona-Pandemie wächst die Unsicherheit und Angst bei Reisegästen, sich im Reisebus oder im Bus generell mit dem Coronavirus anzustecken. Diverse nicht fakten- und evidenzbasierte Medienberichte tun dabei ihr Übriges. Entsprechend sind die Verkehrsunternehmen mit rückläufigen Fahrgastzahlen konfrontiert und Reisebusunternehmen mit unzähligen Reisestornierungen, die zur Existenznot führen. Welche Maßnahmen hat Daimler Buses bisher ergriffen, um den Infektionsschutz und die Sicherheit im LinienÜberland- und Reisebus für Fahr-/Reisegäste und Busfahrer zu erhöhen?

Daimler Buses mit seinen Marken Mercedes-Benz und Setra steht für vorbildliche Sicherheit. Das gilt ebenfalls in Zeiten der Pandemie Covid-19. Bereits die serienmäßigen Klimaanlagen der Reisebusse verringern eine Ansteckungsgefahr durch einen raschen Luftaustausch an Bord. Daimler Buses bietet für Reisebusse und Überlandbusse auf Wunsch eine Anpassung dieser Temperaturkennlinie an, die die Bandbreite, in der maximale Frischluft gefahren wird, nach oben und unten je nach Modell um 33 bzw. 40 Prozent erweitert. Neu sind zudem serienmäßige Hochleistungs- Partikelfilter mit antiviraler Wirkung sowie Fahrerschutztüren für die Reisebusse und sensorgesteuerte Spender für Desinfektionsmittel. Niederflur-Stadtbusse und die Setra Low-Entry business- Modelle werden wir bis Ende des Jahres untersucht und entsprechende Maßnahmen abgeleitet haben. Darüber hinaus haben wir bei der TU Berlin eine Studie zur Luftqualität in Reisebussen in Auftrag gegeben.

Daimler Buses hat in Zusammenarbeit mit der Freudenberg Gruppe ein Aktivfilter als Schutz vor erhöhter Aerosolkonzentration im Reisebus entwickelt. Der Einbau/die Nutzung dieser Filtertechnologie ist auch für Fahrzeuge des Wettbewerbs möglich – was in der Regel unüblich ist. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

Uns ist es wichtig, dass der Bustourismus wieder in Gang kommt. Dazu gehört, dass die Fahrgäste mit gutem Gewissen in einen Reisebus einsteigen. Daimler Buses als Marktführer sieht sich in der Verantwortung gegenüber der gesamten Branche. Deshalb können die Hochleistungspartikel mit antiviraler Beschichtung auch für Klimaanlagen in Wettbewerbsfahrzeugen zur Nachrüstung erworben werden.

„Der Bus ist einer der sichersten Räume und das ist wissenschaftlich bewiesen“, erklärten Sie bei einer virtuellen Pressekonferenz Ende Oktober. Worauf konkret stützt sich Ihre Aussage?

Die neuen Aktivfilter mit antiviraler Beschichtung steigern die Wirkung in den Klimasystemen der Omnibusse von Mercedes-Benz und Setra erheblich. Diese mehrlagig progressiv aufgebauten Hochleistungspartikelfilter scheiden feinste Aerosole ab und verfügen zusätzlich über eine antivirale Funktionsschicht. Der Nachweis für die antiviralen Eigenschaften gemäß ISO 18184 konnte durch Laboruntersuchungen erbracht werden. Die neuen Aktivfilter werden sowohl für die Dachklimaanlage, für die Umluftfilter als auch für die Front-Klimabox verwendet. Auf diese Weise werden bis zu 99 Prozent der Aerosole herausgefiltert. Durch den Einsatz dieser Hochleistungspartikelfilter ist die Konzentration selbst im Umluftbetrieb sehr niedrig, so dass der angenommene kritische Wert von 3.000 mit Viren beladenen Aerosolen, die zu einer Infektion führen können, auch nach vier Stunden im Bus nicht erreicht wird.

Was hat es mit dieser wissenschaftlichen Studie auf sich? Was war Gegenstand der Untersuchung?

Die Studie hat untersucht, wie lange Fahrgäste sich in einem Reisebus mit vollautomatischer Klimaanlage, und Aktivfiltern aufhalten können, bis der kritische Wert von 3.000 mit Viren beladenen Aerosolen erreicht wird. Als Prämisse wurde angenommen, dass sich ein infizierter Fahrgast an Bord befindet. Hierbei wurden verschiedene Szenarien (Atmen, Sprechen etc.) berechnet.

Welchen Ansatz verfolgt Prof. Martin Kriegel von der TU Berlin, der bereits seit Jahren an der Ausbreitung von Aerosolen forscht, mit dieser aktuellen Analyse?

Prof. Kriegel, und sein Team haben den Bus-Innenraum ganzheitlich betrachtet und die Aerosol- Verteilung durch ein Berechnungsmodell unter bestimmten Prämissen ermittelt.

Welches Ziel verfolgen Sie mit der Studie?

Mit den Ergebnissen dieser Studie wollen wir zeigen, dass bei einer Reise in hochmodernen Reisebussen unter Einhaltung der AHA- Regeln das Infektionsrisiko aufgrund der Aktivfilter und der hohen Luftwechselrate extrem niedrig ist.

Wie geht es jetzt weiter? Was wird mit den Ergebnissen dieser Untersuchung geschehen?

Wir werden die Ergebnisse in Richtung Fahrgäste, unserer Kunden, der Vertriebsmannschaft und auch gegenüber den Omnibus-Verbänden kommunizieren.

Am Rande der virtuellen Pressekonferenz wurde u.a. von einer Art „Erklärvideo“ in Zusammenhang mit den Studienergebnissen berichtet, das zurzeit in Bearbeitung ist. Soll das Video Evobus-Kunden zur Verfügung gestellt werden? Wann und zu welchem Zweck?

Das Erklärvideo ist Teil unseres Schulungsprogrammes mit dem wir unsere Kunden und Service-Stützpunkte informieren. Damit können Busunternehmer die Fahrgäste über die Funktion der Klimatisierung im Bus informieren.

Die Studie der TU Berlin zur Luftströmung und Aerosolkonzentration bezieht sich bisher auf das Reise-und Überlandsegment von Evobus. Ist Ähnliches auch für den ÖPNV-Bereich geplant? Warum bedarf es hier einer separaten Analyse?

Es ist richtig, dass wir im ersten Schritt die Hochboden-Fahrzeuge betrachtet haben. Denn bei den Typen ist die Verweildauer der Fahrgäste im Fahrzeug am größten. In Niederflurfahrzeugen haben wir grundsätzlich andere Verhältnisse. Hier nur einige Beispiele: Durch den fehlenden Kofferraum, erfolgt die Entlüftung auf einem anderen Weg. Die häufigen Stopps mit Öffnen der Türen belüften den Fahrgastraum zusätzlich. Darüber hinaus arbeiten wir bereits an Lösungen für die Stadtbusse, die keine Klimaanlage verbaut haben.

Das Interview führte Askin Bulut