Nicht nur, dass keine Reisen durchgeführt werden konnten, Kunden erwarteten auch bereits getätigte Zahlungen zurück, was Reiseveranstalter weiter in finanzielle Bedrängnis brachte. Inzwischen wurden von der Bundesregierung verschiedene staatliche Hilfen in Aussicht gestellt und rechtliche Maßnahmen ergriffen. Wir haben Ende Juni Christine Lambrecht, Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, zum Thema „Gutscheinlösung im Pauschalreiserecht“, aber auch zur Neuregelung der Insolvenzsicherung im Reiserecht befragt.

Frau Lambrecht, Sie haben Ende Mai die Eckpunkte für die europarechtskonforme, staatlich abgesicherte, freiwillige Gutscheinregelung im Pauschalreiserecht vorgestellt, auf deren Grundlage ein entsprechender Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht wurde. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Die Bundesregierung hat am 27. Mai 2020 einen Gesetzentwurf für eine freiwillige Gutscheinlösung im Pauschalreiserecht beschlossen. Der Gesetzentwurf befindet sich nun im parlamentarischen Verfahren. (Anmerk. d. Red.: Am 02. Juli hat der Bundestag eine freiwillige Gutscheinlösung für den Pauschalreisebereich verabschiedet)

Was ist das Innovative an der vorgelegten Gutscheinregelung? Warum war hier eine Rechtsprechung nötig?

Reiseunternehmen haben bisher schon die Möglichkeit, Reisegutscheine auszugeben, wenn die Pauschalreisenden dem zustimmen. Das Neue ist, dass die Vorauszahlungen der Reisenden bei Annahme eines freiwilligen Gutscheins ergänzend zur bestehenden gesetzlichen Insolvenzsicherung auch durch eine staatliche Garantie abgesichert werden. Damit stellen die Gutscheine für die Pauschalreisenden eine sichere und attraktive Alternative zur Erstattung dar: sie stehen mit dem die Vorauszahlungen vollständig absichernden Gutschein regelmäßig besser da, als wenn sie auf sofortiger Erfüllung ihres Erstattungsanspruchs bestehen und damit ggf. eine Insolvenz auslösen würden, in der ihr Anspruch ggf. nur zum Teil gesichert ist.

Nachdem die EU gegen die ursprünglich von Ihnen geplante, verpflichtende Gutscheinlösung für Pauschalreisen intervenierte, wird es diese nur noch auf freiwilliger Basis geben. In der Reisebranche wird sie daher kontrovers diskutiert – auch weil sie hauptsächlich großen Reiseveranstaltern entgegenkomme. Inwiefern ist aus Ihrer Sicht mit dieser freiwilligen Gutscheinregelung auch kleinen und mittelständischen Busunternehmen geholfen?

Durch die ergänzende staatliche Absicherung soll die Annahme der Reisegutscheine für die Pauschalreisenden so attraktiv werden, dass sie auf eine Erstattung der Vorauszahlungen für die Gültigkeitsdauer der Gutscheine verzichten. Das hilft auch kleinen und mittelständischen Busunternehmen, die Pauschalreisen anbieten.

Warum sind in anderen Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden verpflichtende Gutscheinlösungen möglich?

Die EU-Kommission hat gegenüber der Bundesregierung eindeutig klargestellt, dass Reisegutscheine nur auf freiwilliger Basis ausgegeben werden dürfen. Zu den Lösungsansätzen anderer Mitgliedstaaten kann ich mich nicht äußern.

Während die Busunternehmen in den letzten Monaten geleistete Zahlungen ihrer Kunden zurückerstattet haben und damit in schwere Liquiditätsengpässe geraten sind, hat eine Umfrage des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmer ergeben, dass diese wiederum nur zu einem sehr geringen Teil ihre berechtigten Forderungen von Veranstaltern, Airlines, Reedereien und Hotels zurückerhalten haben. Inwiefern werden Busunternehmen und Gruppenreiseveranstalter hier geschützt?

In der aktuellen Ausnahmesituation müssen wir berücksichtigen, dass die Erstattung berechtigter Rückforderungsansprüche wegen der Vielzahl der geltend gemachten Forderungen und der krisenbedingten Einschränkungen mehr Zeit in Anspruch nehmen kann. Das betrifft Ansprüche der Kunden sowie der Unternehmen untereinander gleichermaßen.

Gibt es abseits der Gutscheinregelung auch Lösungen für den B2B-Bereich?

Neben der Gutscheinregelung, die speziell Reiseveranstaltern zur Verfügung stehen soll, hat die Bundesregierung Hilfen für Unternehmen zur allgemeinen Liquiditätssicherung auf den Weg gebracht. Dazu gehören etwa KfW-Kredite für den Mittelstand, Garantien des Bundes für Bankkredite und Steuerstundungen.

Die Verbände der Reise- und Tourismuswirtschaft sowie  Verbraucherschützer haben Sie gemeinsam mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Finanzminister Olaf Scholz aufgefordert, einen Kreditfonds für die Reisebranche aufzulegen, aus dem Reiseveranstalter vorübergehend Geld entnehmen können, um Kunden die Gelder für pandemiebedingt stornierte Reisen  zurückzuerstatten. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Durch die Möglichkeit, staatlich abgesicherte Reisegutscheine ausgeben zu können, werden weniger Kunden eine Erstattung ihrer Vorauszahlungen verlangen. Die Reise- und Tourismuswirtschaft wird dadurch unmittelbar entlastet. Ein zusätzlicher Kreditfonds ist aus meiner Sicht nicht erforderlich.

Ein weiteres Thema, das der Branche aktuell auf den Nägeln brennt, ist die Neuregelung der Insolvenzsicherung im Reiserecht. Am 10. Juni hat die Bundesregierung die Umsetzung der von Ihnen vorgelegten Eckpunkte beschlossen, die bereits zum neuen Touristikjahr gelten sollten. Ist das  realistisch und wie ist hier der weitere Fahrplan?

Unser Ziel ist, dass die neuen insolvenzrechtlichen Regeln möglichst bald in Kraft treten. Der genaue Zeitpunkt hängt von den weiteren Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung zu den Details der Neuregelung ab sowie vom sich anschließenden parlamentarischen Verfahren. Wir werden in jedem Fall Übergangsregelungen benötigen, da die Reiseanbieter jetzt schon die Versicherungsverträge für das Reisejahr 2021 abschließen und wir der Reisebranche, die durch die Corona-Pandemie ohnehin schwer getroffen ist, keinen zu harten Übergang in das neue System zumuten wollen.

Sie greifen darin bereits „bewährte“ Systematiken anderer EU-Staaten auf – welche sind das konkret und was wurde übernommen?

Das geht aus den Eckpunkten hervor. Wir wollen von der Versicherungslösung abrücken und stattdessen einen Pflichtfonds einrichten, in den alle absicherungspflichtigen Reiseveranstalter Beiträge einzahlen müssen. Absicherungspflichtig ist ein Veranstalter, wenn er – wie in den meisten Fällen – von den Reisenden Vorauszahlungen verlangt oder die Pauschalreise Beförderungsleistungen umfasst. Als Zugangsvoraussetzung für diesen Fonds müssen die Reiseveranstalter individuelle Sicherheiten stellen.

Die Neuregelung beinhaltet in zweiter Instanz einen Fonds, der durch Beiträge der Reiseveranstalter gefüllt werden soll und zunächst staatlich abgesichert ist. Wie setzen sich diese Beiträge der  Reiseveranstalter zusammen? Nach welchem konkreten Anteil/Prozentsatz am absicherungspflichtigen Umsatz und ab wann sollen diese erhoben werden?

Diese Details werden gerade geklärt. Wir werden sehr bald Vorschläge hierzu vorlegen.

Das Interview führte Anita Faltermann