Welche Meilensteine haben Sie in den vergangenen Jahren im Shuttle-Bereich erreicht?

Da wäre zum einen die Inbetriebnahme unseres autonomen Transportsystems in Rivium für und mit unserem Kunden Transdev. Rivium ist ein Gemeindebezirk der Stadt Rotterdam. Hier verbinden wir einen Businesspark mit einer S-Bahn-Station.

Auf einer gesonderten, 1,8 Kilometer langen Fahrspur transportieren dort täglich sechs autonome ZF-Shuttles der dritten Generation bis zu 2500 Fahrgäste. Dabei handelt es sich um das weltweit erste AD-zertifizierte Transportsystem im Echtbetrieb. Die Shuttles fahren ohne Sicherheitsfahrer auf einer definierten Route. Tickets gibt es an einem Schalter. Auf der Strecke können die Shuttles automatisch geladen werden. Wartung und Reinigung der Shuttles finden in einem Depot statt.

 

Gibt es aus Deutschland auch etwas Neues zu berichten?

Wir bringen mit unseren Partnern in dem vom Land Baden-Württemberg geförderten Projekt RABus bis Ende 2024 automatisierte Fahrzeuge mit attraktiven Fahrgeschwindigkeiten auf die Straße.

Wir haben uns hier zum Ziel gesetzt, in den Reallaboren in Mannheim und Friedrichshafen bis Ende des Projektzeitraums einen sicheren Betrieb mit unseren Shuttles zu erproben. Wir wollen erstmalig auf deutschen, öffentlichen Straßen ein Shuttle nach Level 4 autonom fahren lassen. Ein Technikträger als prototypischer Pilot in Vorbereitung auf das Shuttle wird ab Anfang 2024 im Testbetrieb fahren. Nach dessen erfolgreichem Abschluss startet im Laufe des Jahres 2024 sowohl in Mannheim als auch in Friedrichshafen der Forschungs- und Probandenbetrieb, bei dem dann auch zum ersten Mal ausgewählte Testpersonen mit an Bord sein dürfen. Ziel ist es, zum Projektende einen Betrieb ohne das aktive Eingreifen eines Sicherheitsfahrers gewährleisten zu können.

 

Den Zuschlag in Hamburg für die Hochbahn-Shuttleflotte haben Sie nicht bekommen, warum?

Oft ist es eine reine Frage der Zeitleiste und der Lieferfähigkeit. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass ZF-Shuttles vor Ort den öffentlichen Personennahverkehr verbessern. Aber wie ich bereits erwähnt habe, sind wir in anderen Regionen intensiv unterwegs.

 

Welche Rolle spielt denn das Startup 2getthere heute?

Es spielt eine wichtige Rolle. Ich habe eben das Projekt in Rivium angesprochen. Dort setzen wir auf das „Group Rapid Transit“ Shuttle (GRT) von unserer Tochtergesellschaft 2getthere. Mit mehr als 100 Millionen autonom gefahrenen Kilometern im Realverkehr, mehr als 14 Millionen transportierten Passagieren und einer Zuverlässigkeit von über 99 Prozent gilt es als das weltweit erfahrenste autonome Transportsystem. Das Unternehmen ist in unsere AD-Aktivitäten voll integriert. Wir arbeiten sehr eng mit den Kollegen und Ingenieuren in Utrecht zusammen.

 

Was unterscheidet das auf der CES in Las Vegas vorgestellte Shuttle von anderen Konzepten auf dem Markt?

Zur Erklärung: ZF hat in seinem Portfolie zwei Shuttletypen. Das neue Shuttle, dass wir auf der CES 2023 vorgestellt haben, ergänzt das bereits etabliertes autonomes Shuttle, sodass ZF künftig auf zwei Fahrzeugtypen zurückgreifen kann – eines primär für den Einsatz auf abgetrennten Fahrspuren und das neue Modell, das vor allem im urbanen Umfeld und im Mischverkehr eingesetzt wird.

Beim neuen Shuttle haben wir auf eine sehr moderne und kraftvolle Designlinie gesetzt. Zudem soll auch optisch das Gefühl von Sicherheit vermittelt werden, was wiederum das potenzielle Vertrauen und Zutrauen von Fahrgästen gegenüber dem Fahrzeug befördert. Sie müssen bedenken, dass in der weiteren Entwicklung unsere Shuttles mit einer Geschwindigkeit von bis zu 80 km/h unterwegs sein sollen. Mit wählbaren Batteriekapazitäten zwischen 50 und 100 kWh kann das Shuttle der nächsten Generation bis zu 130 Kilometer rein elektrisch zurücklegen.

Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass bisherige Konzepte weitgehend Kleinserien und Prototypen sind, die für eine ökonomische Skalierung unserer Meinung nach ungeeignet sind. Unsere neue Shuttle-Generation mit nutzfahrzeugartiger Auslegung ist die Grundlage für die kommende Skalierung für größere Stückzahlen. Kunden sind daran gewöhnt, ein Nutzfahrzeug zehn bis zwölf Jahre zu betreiben. Unser umfassendes Servicekonzept mit 20.000 Werkstattpartnern weltweit garantiert einen reibungslosen Betrieb und ermöglicht damit auch eine maximale Einsatzzeit der Shuttles.

 

Welche Ideen haben Sie im Innenraum verwirklicht, der ja schon sehr „ÖPNV like“ wirkt?

Das ist sicher eines der schönsten Komplimente, die man aus der Branche heraus bekommen kann. Ganz wichtig ist sicher die Möglichkeit der flexiblen Gestaltung des Innenraums, denn die Kundenwünsche sind sehr unterschiedlich. Das neue Level 4 Shuttle-Fahrzeug bietet Platz für insgesamt 22 Personen und bis zu 15 Sitzplätze. Kunden können über das Layout von Sitz- und Stehplätzen und das Interieur individuell entscheiden. Wir haben Abmessungen und Dimensionen angewendet, wie man sie vom Bus her schon ähnlich kennt. Damit treffen wir die Anforderungen der Kunden.

 

Ist das höchste Level 5 für Sie auch ein Mythos wie für andere Experten?

Diese These geht mir zu weit. Die größte Herausforderung liegt darin, dass wir im Level-5-Bereich jede beliebige Verkehrssituation bei jedem Wetter beherrschen müssen und das Fahrzeug dabei vollkommen autonom agieren soll, auch bei Schneetreiben und Blitzeis. Und solange wir kein Wildschwein 4.0 haben, müssen wir uns darüber hinaus auch mit unvorhergesehen Wildunfällen beschäftigen.

Aber autonomes Fahren hat ja diverse Abstufungen, weshalb auch wir uns zunächst im Shuttle-Bereich auf das autonome Fahren mit Level 4 konzentrieren. Vorerst beschränken wir uns dabei auf definierte Strecken. Im Level-4-Bereich grenzen wir das Nutzungsgebiet ein, sind aber trotzdem vollkommen autonom unterwegs – ohne Lenkrad und ohne Bremspedalerie. Level 5 bei Einhaltung unserer hohen Sicherheitsstandards technisch abzusichern, wird noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Da sprechen wir von einem Zielkorridor 2034 und später für diese Anwendungen.

 

Das Interview führte Thorsten Wagner