Nach dem schweren Busunglück in Venedig mit 21 Todesopfern hat die italienische Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Geschäftsführer des Busunternehmens eingeleitet. Ermittelt wird auch gegen zwei Beamte der Stadtverwaltung, die für die Instandhaltung von Brücken und Straßen zuständig sind, wie die Lokalzeitung «Il Gazzettino» am Donnerstag berichtete. Die Ermittlungen richten sich unter anderem gegen den Geschäftsführer des Busunternehmens La Linea, bei dem die Betreiber des
Campingplatzes das Fahrzeug gechartert hatten. In den ersten Tagen wurde vor allem spekuliert, dass der Fahrer einen Schwächeanfall erlitten haben könnte. Der 40 Jahre alte Italiener kam ebenfalls ums Leben. Alle anderen Todesopfer waren ausländische Touristen.
Bislang ist klar: Der Unfall hat sich im Festlandstadtteil Marghera/Mestre ereignet, als ein Bus, der allem Anschein nach Passagiere zu einem Campingplatz geshuttelt hat, die Brüstung einer Hochstraße durchbrach und 15 Meter in die Tiefe stürzte. Die Angaben zum Typ des Busses widersprechen sich – während in einigen Meldungen von einem Gasbus die Rede ist, heißt es in anderen, dass es sich um einen „modernen Elektrobus“ wahrscheinlich chinesischer Bauart (Yutong) gehandelt haben. Insgesamt sollen 40 Fahrgäste an Bord gewesen sein, vorwiegend Tagesurlauber, die aus der venezianischen Altstadt zurück aufs Festland wollten. Nach dem Aufprall war der Bus in Flammen aufgegangen, nicht zuletzt weil er die Oberleitungen der Bahn getroffen hatte. Die Löscharbeiten hätten sich auch wegen der sich ständig neu entzündenden Hochvoltbatterien als schwierig gestaltet, auch wenn es wahrscheinlich robustere LFP Batterien gewesen sein dürften.
Neben den drei Deutschen starben nach Angaben der zuständigen Präfektur neun Ukrainer, vier Rumänen, zwei Portugiesen, ein Kroate, ein Südafrikaner sowie ein Italiener, der den Bus gefahren hatte. Bis zum Abend konnten zudem 13 der 15 Verletzten identifiziert werden. Auch unter ihnen sollen Deutsche sein - vorläufigen Zahlen der Präfektur zufolge vier. Die anderen kommen aus der Ukraine, aus Spanien, Frankreich und Kroatien.
Unter den Toten ist auch der Fahrer des Busses, ein 40 Jahre alter Italiener. Weil unklar ist, warum der Bus kurz nach Einbruch der Dunkelheit gegen 19.45 Uhr so plötzlich von der Brücke stürzte, gilt ihm nun das besondere Interesse. Nach Angaben von Kollegen war er ein zuverlässiger Mann mit vielen Jahren Berufserfahrung. Außerdem hatte der Mann demnach erst 90 Minuten vor dem Unglück seinen Dienst angetreten. Der Bus gehört einem Unternehmen namens La Linea Spa und wurde er von einem Campingplatz in Marghera gechartert.
Dieser fast neue Yutong Bus soll der Unfallbus gewesen sein. Foto: VFL, Vigili di fuoco
Wohl keine Bremsspuren – womöglich war Fahrer bewusstlos
Die Zahl der Toten könne noch steigen, hieß es am Dienstag Abend. Die genauen Umstände des Unglücks sind bislang unklar. Der Fahrweg des Busses werde überprüft, eventuelle Hinweise könnten Bremsspuren oder die Beschaffenheit der Straßenoberfläche liefern, hieß es von Ermittlern vor Ort. Kameraaufnahmen von der Brücke hätten gezeigt, dass der Fahrer mit weniger als 50 km/h auf der Brücke unterwegs war und dann plötzlich bremste. Im Anschluss habe sich der Bus gegen die Leitplanke gelehnt, sei dann umgekippt und von der Brücke gestürzt. Italienische Medien berichteten jedoch mehrfach, es seien auf der Straße keinerlei relevante Bremsspuren zu sehen.
Der 40-jährige italienische Fahrer, der bei dem Unfall ebenfalls ums Leben kam, war als zuverlässig und erfahren bekannt. Ihm gilt nun das besondere Interesse der Ermittler. Sie mutmaßen, dass er einen Schwächeanfall erlitten haben könnte. Ein Sekundenschlaf wird ebenfalls nicht ausgeschlossen. Nach den vorläufigen Ergebnissen der Obduktion war der Fahrer jedoch gesund. Geprüft wird nun, ob der Bus einen technischen Defekt hatte, so berichtet am 16. Oktober die Nachrichtenagentur dpa.
Zwei Tage nach dem Unglück arbeiteten die Ermittler am Donnerstag mit Hochdruck daran, die Hintergründe des Unfalls zu verstehen, sagte der Staatsanwalt von Venedig, Bruno Cherchi, der Zeitung «La Repubblica». Der Bus sei vor dem Sturz etwa 50 Meter an der verrosteten Leitplanke offenbar steuerungslos entlanggerutscht. An einer knapp zwei Meter langen Lücke zwischen den Leitplanken soll der Bus abgedriftet und gegen den Beginn der neuen Leitplanke gestoßen und dann abgestürzt sein.
Laut «La Repubblica» wurden an dem Geländer seit den 1960er Jahren keine Wartungsarbeiten mehr durchgeführt. Neben der knapp zwei Meter langen Lücke kritisieren Experten zudem die Beschaffenheit der vorhandenen Leitplanke. Die Leitplanke sei zu dünn und niedrig gewesen. Auch hinter der Leitplanke und der Lücke sei nur ein
verrostetes Geländer gewesen, das dem Gewicht des Busses nicht standhalten konnte, wie auf Bildern zu sehen ist.
Der verunglückte Bus gehörte dem Unternehmen La Linea Spa. Nach der Kamera, über die der Bus verfügt haben soll, wird derzeit noch gesucht. Die Polizei hofft, darauf weitere Informationen zum Unfallhergang finden zu können.
Weiterer Unfall mit identischem chinesischen Elektrobus in Venedig
Bei einem weiteren Busunglück in Venedig sind am vergangenen Samstagabend wieder mindestens 13 Menschen verletzt worden. Der Elektrobus identischen Typs wie beim ersten Unfall (Yutong) kam nach Angaben der Polizei in einer Kurve von der Fahrbahn ab und prallte auf den Stützpfeiler eines Wohnhauses. Bis auf den Fahrer konnten am Sonntag alle Verletzten die Krankenhäuser verlassen. Zunächst hatte die Polizei von 15 Verletzten gesprochen.
Die Stadt kündigte unmittelbar nach dem neuen Unfall an, keine Busse des Unternehmens mehr einzusetzen. Der Fahrer des am Samstag verunglückten Linienbusses gab nach italienischen Medienberichten an, wegen eines gesundheitlichen Problems die Kontrolle verloren zu haben. Die Stadt hatte den Bus bei dem privaten Unternehmen La Linea gechartert. Die Firma hatte bei dem Unglück am 3. Oktober einen Shuttlebus für einen Campingplatz bereitgestellt.
Das furchtbare Unglück könnte den Blick erneut auf die fehlenden (automatischen) Notrufeinrichtungen im Bus lenken. Es gibt weder einen automatischen e-Call, wie er seit 2018 im Pkw vorgeschrieben ist, noch andere Notruffunktionen im Falle eines Fahrerversagens. Lediglich Daimler hat in seinem neuem Active Drive Assist 2 System einen automatischen "Emergency Stop" integriert, der bei Nichtreagieren des Fahrers nach rund 50 Sekunden automatisch die Spur hält und das Fahrzeug sicher zum Stehen bringt. Ob das System in diesem Falle geholfen hätte, ist jedoch reine Spekulation. (dpa)
Dieser Artikel wird laufend aktualisiert. Letzte Aktualisierung am 16. Oktober um 9:00 Uhr