Die imposanten 180 Jahre alten, kerzengerade gewachsenen Buchen beeindrucken auf den ersten Blick: Mit nahezu glatten Stämmen wirken sie wie mächtige Säulen einer großen Halle und lassen erahnen, warum der 670 Hektar große Buchenwald Grumsin im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin (Uckermark) seit 2011 zum Unesco-Weltnaturerbe gehört. „Die meisten Gäste stehen erst einmal Minuten lang da und staunen. So ein mächtiger alter Wald hat eine ganz besondere Wirkung“, sagt Roland Schulz.

Der 61-Jährige ist einer von vier zertifizierten Landschaftsführern, die mit Besuchern in die sogenannte Kernzone des Grumsin gehen dürfen: 590 Hektar Urwald, in denen die Natur machen darf, was sie will, ohne dass der Mensch eingreift. Zwischen den imposanten alten Buchen schießen junge Bäume in die Kronenlücken, liegen steile Schluchten, Moore, mit Wasser gefüllte Senken und umgefallene Bäume. „Der Begriff Totholz dafür ist eigentlich irreführend, denn die alten Stämme sind Lebensraum für Pilze und Insektenlarven“, sagt Schulz und greift anschließend in die dicke Laubschicht am Boden. Die untersten Blätter sind feucht und vermodert. „So riecht Leben“, schwärmt der Wahl-Uckermärker und schnuppert begeistert am Laub.

Seit 29 Jahren kennt er den Grumsin, sieht sich als Verbündeter für den von ihm so verehrten Wald, der laut diverser Forschungen positiv auf das Immunsystem des Menschen wirkt. Deshalb müssten Besucher die Schönheit des Grumsin auch erleben dürfen, sagt Schulz, der seine Gäste gern zur „Augenreise“ in die Buchen-Baumkronen einlädt. Seine Mission dabei: „Ich mache Besuchern die Verletzlichkeit des Lebensraumes Wald klar – auch vor dem Hintergrund des Klimawandels.“ Mindestens 500 Liter Regen brauche so ein mächtiger Buchenbestand pro Jahr. „In den vergangenen Jahren lagen wir da deutlich drunter“, sagt der studierte Forstwissenschaftler.

„Ursprünglich wollten wir für die Kernzone ein striktes Betretungsverbot“, sagt Evelyn Niemeier, Geschäftsführerin des Kulturlandschaft Uckermark e.V. Dem Förderverein des Biosphärenreservates gehört ein Großteil der Grumsin-Flächen. Aufgrund des großen Interesses werde inzwischen ein beschränkter Zugang mit den Naturführern gewährt. Seit der Ernennung zum Weltnaturerbe hat das Gebiet nahe Angermünde (Uckermark) an Popularität gewonnen, vor allem auch in den vergangenen zwei Corona-Jahren, in denen es viele Städter in die Natur zog. Allein 2021 sollen es laut Schulz rund 17.000 Besucher gewesen sein.

Doch der Bekanntheitsgrad hat auch seine Schattenseiten: Gäste halten sich nicht daran, Wege nicht zu verlassen, Hunde anzuleinen und keine Pflanzen mitzunehmen. Zudem fehlt es an Parkplätzen. Der Angermünder Ortsteil Altkünkendorf – mit seinem Infopunkt gleichsam das Tor zum Grumsin – wurde von einer Blechlawine überrollt und zugeparkt. Die Besucherlenkung sei schwierig, die Beschilderung reiche nicht aus, die Naturwacht zur Kontrolle sei unterbesetzt, fasst Niemeier zusammen. „Das Land Brandenburg hat sich nach der Ausweisung des Grumsin als Weltnaturerbe zwar damit geschmückt, ohne aber für Personal zu sorgen, das die Besucherströme im Auge behält“, kritisiert Naturschützerin Beate Blahy, die bis zu ihrem Ruhestand im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin gearbeitet hat.

Welterbe-Buslinie populär machen

Seit zwei Jahren gebe es nur zwei Naturranger, macht sie deutlich. Blahy, die im Grumsin für das Kranich-Monitoring der Arbeitsgemeinschaft „Kranichschutz“ unterwegs ist, ärgert sich über zurückgelassenen Müll, Camper inklusive nicht erlaubter Feuerstellen oder auch kunstvoll aufgeschichtete Steintürme, die davon zeugen, dass Besucher ohne Genehmigung in der sensiblen Kernzone des Weltnaturerbes unterwegs waren. „Aufklärung ist das einzige, was dagegen hilft“, ist Landschaftsführer Schulz überzeugt. Und um Natur und Anwohner nicht zu überlasten, müssten Ausflügler dazu gebracht werden, mit dem Zug, statt dem Auto anzureisen.

„Von einer Überlastung kann keine Rede sein, wir müssen die Besucherströme nur besser leiten“, sagt Johanna Hentschel, Geschäftsführerin des Angermünder Tourismusvereins. Natürlich sei es für Landwirte ärgerlich, wenn Feldwege am Rande des Grumsin zugeparkt, Sonnenblumen abgepflückt oder Wild durch nicht angeleinte Hunde aufgeschreckt würden. „Deswegen müssen wir noch besser aufklären, wollen noch mehr Hinweistafeln postieren, haben dazu einen Verhaltensknigge erstellt und die Welterbe-Buslinie für einen nachhaltigen Naturtourismus entwickelt“, sagt sie.

Die vom Land Brandenburg geförderte Buslinie verkehrt von April bis Oktober stündlich vom Bahnhof Angermünde aus und hält an den wichtigsten „Einstiegsstellen“ in den Grumsin. „Auch wir Naturführer starten am Angermünder Bahnhof. Wer mit der Bahn anreist bekommt Rabatt bei den Touren durch das Weltnaturerbe“, sagt Schulz. Gemeinsam gehe es dann im Bus weiter. Um weiteren Ärger zu vermeiden, müsse die Welterbe-Linie populär gemacht werden, ist er überzeugt. Niemeier hingegen bleibt skeptisch: „Öffentlichen Personennahverkehr müssen die Leute nach Corona erst wieder lernen.“

 

Jeanette Bederke