Weit mehr als drei Millionen Menschen haben schon für den Mai den neuen Fahrschein gelöst, der bundesweit im öffentlichen Personennahverkehr gilt. Das ergab eine Hochrechnung des Verbands deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Darunter sind dem Verband zufolge 750 000 Menschen, die bisher kein Nahverkehrs-Abo besaßen. Die allermeisten regionalen Verkehrsunternehmen und die Deutsche Bahn vertreiben das Ticket. Außerdem bieten verschiedene Unternehmen Apps an, über die das monatlich kündbare Abo abgeschlossen werden kann. Bei Kontrollen kann das Abo per Chipkarte oder per Handyticket vorgezeigt werden. Bis zum Jahresende werden auch Papiertickets mit QR-Code ausgegeben, um den Zugang zum Ticket so barrierefrei wie möglich darzustellen.

Die von einigen Fahrgästen beklagten Schwierigkeiten bei Bestellung und Versand des neuen Deutschlandtickets zeigen aus Sicht von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) immer noch Defizite bei der Digitalisierung. „Das sind Probleme, die damit zusammenhängen, dass wir keine ausreichende Digitalisierung im Vertrieb haben“, sagte der FDP-Politiker. Diese Schwierigkeiten seien aber keineswegs in der Breite aufgetreten. Man dürfe veraltete Strukturen nicht einfach fortschreiben und sich nach dem Motto schönreden: „Ja, das Papierticket hat sich doch so bewährt. Das ist doch wunderbar.“

Rolf Erfurt, Vorstand bei den Berliner Verkehrsbetrieben, räumte ein, dass es Probleme bei den Chipkarten-Herstellern gegeben habe. Das sei aber jetzt behoben, und alle Chipkarten würden jetzt auch wie bestellt versandt, erklärte er.

 

Mehr Nachfrage, aber nicht plötzlich

Der VDV und die Deutsche Bahn gehen davon aus, dass perspektivisch bis zu 17 Millionen Menschen das Deutschlandticket kaufen werden, allerdings können sie auch monatsweise wieder kündigen. Mit überfüllten Zügen gleich im Mai wird aufgrund des Tickets aber nicht gerechnet. „Wir gehen davon aus, dass wir mit dem Deutschlandticket einen spürbaren Nachfrageschub haben werden“, sagte Evelyn Palla, die im Vorstand der Deutschen Bahn für den Regionalverkehr zuständig ist, der Deutschen Presse-Agentur. „Der wird aber nicht schlagartig zum 1. Mai eintreten.“

Das 9-Euro-Ticket sei eine begrenzte Aktion für drei Monate gewesen, „wo jeder rasch in den Besitz des Tickets kommen wollte, um es auszukosten“, sagte Palla. Die Nachfrage beim Deutschlandticket werde sich über die kommenden Monate kontinuierlich aufbauen.

Im Kern ist das Ticket einfach: Für 49 Euro gibt es eine bundesweit gültige Fahrkarte, die zu jeder Uhrzeit gilt, nicht übertragbar ist und auch keine Mitnahme von anderen Personen ab sechs Jahren, Fahrrädern oder Haustieren erlaubt. Zudem gibt es eine Jobticket-Option: Wenn der Arbeitgeber mindestens 25 Prozent des Ticketpreises übernimmt, muss der Fahrgast nur noch 34,30 Euro oder weniger zahlen - je nach Arbeitgeberanteil.

 

Dienstag war der erste Werktag mit dem neuen Deutschlandticket. Als Straßenfeger hat es sich noch nicht erwiesen - auf den Autobahnen in NRW staute sich der Berufsverkehr wie immer. Ein Umstieg erfolge nur nach und nach, sagt ein Bahnsprecher.  Zwischen 6.00 und 9.00 Uhr morgens zählte der ADAC auf den Autobahnen in NRW knapp 700 Staumeldungen mit einer Gesamtlänge von rund 860 Kilometern. "Es war wieder sehr voll", sagte ein ADAC-Sprecher. "Einen Ad-hoc-Effekt des Tickets haben wir jedenfalls nicht gespürt."

"Das geht nur sukzessive", sagte ein Bahn-Sprecher. Die Leute kauften das Ticket für 49 Euro nach und nach - und würden es dann auch einsetzen. "Niemand hat am ersten Werktag nach Ticketstart staufreie Autobahnen erwartet. Das Deutschlandticket braucht logischerweise ein bisschen Anlaufzeit, hat aber Potenzial, sagte der Mobilitätsexperte des ADAC in NRW, Prof. Roman Suthold. Es könne mittelfristig dazu beitragen, dass zumindest ein Teil der Berufspendler auf Strecken mit gutem ÖPNV-Angebot vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen.

 

Weiterhin Kritik an der Umsetzung

Vor allem Umweltverbände zeigten sich zuletzt skeptisch, dass das Ticket tatsächlich viele Menschen zum dauerhaften Umstieg bewegen wird. Sie fordern den Ausbau des ÖPNV mit dichten Takten. Der niedrige Preis sei nur ein Faktor für den Umstieg auf Busse und Bahnen.

„Wir rechnen damit, dass die Nachfrage nach dem Deutschlandticket besonders in den Städten und in den Metropolregionen hoch sein wird. Dort haben wir auch das dichtere ÖPNV-Angebot“, sagte auch DB-Managerin Palla. „Wir haben beim 9-Euro-Ticket gesehen, dass wir mehr Tickets in den Regionen verkauft haben, wo wir ein gutes ÖPNV-Angebot haben. Deswegen ist es mir so wichtig, dass wir gerade dort Angebote für den umweltfreundlichen öffentlichen Personennahverkehr schaffen, wo es heute noch nicht ausreicht.“

Auch der neue Geschäftsführer Bus des VDV, Alexander Möller, wies in einer persönlichen Dankesbotschaft auf dem Verlinkunsporatl LinkedIN auf eines der weiter bestehenden Defizite des Tickets hin: "Ich kann es dem Bund und den Ländern nicht ersparen: Auf den Kundenerfolg folgt nicht die Auskömmlichkeit aus den Einnahmen. Wir müssen über die Finanzierung auch für 2023 sprechen." Denn auch für 2023 sehe er nicht wie die Mittel reichen sollen und "wir müssen schnell über Nachschuss und Finanzierung für 2024 sprechen," wie er uns auf persönliche Nachfrage auf LinkedIn mitteilte.