In dem Fall war ein Reisender wegen des Gesundheitsrisikos im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Covid-19 von seinem Vertrag mit dem Reiseveranstalter Kiwi Tours GmbH zurückgetreten. Im Anschluss verlangte er vom Reiseveranstalter die volle Erstattung sämtlicher Zahlungen, die er bereits geleistet hatte, einschließlich der ihm auferlegten Rücktrittsgebühr. Dem Erfolg eines solchen Begehrens schoben die EuGH-Richter einen Riegel vor.

Im vorliegenden Fall hatte ein Kunde von Kiwi Tours Anfang des Jahres 2020 eine Pauschalreise nach Japan gebucht und eine Anzahlung geleistet. Als die japanischen Behörden eine Reihe von Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 ergriffen, trat der Kunde drei Monate nach Reisebuchung vom Vertrag zurück. Kiwi Tours stellte eine Rücktrittsgebühr in Rechnung, die der Kunde bezahlte. Ende März verhängte Japan ein Einreiseverbot, woraufhin der Kunde die Erstattung der Rücktrittsgebühr verlangte. Kiwi Tours lehnte das ab.

 

Amtsgericht verurteilte Kiwi Tours zur Erstattung der Rücktrittsgebühr

Das deutsche Amtsgericht, das sich zunächst mit dem Fall befassen musste, verurteilte Kiwi Tours zur vollen Erstattung der Rücktrittsgebühr. Kiwi Tours zog daraufhin vors Landgericht, das die Erstattungsklage mit der Begründung abwies, dass man zum Zeitpunkt des Rücktritts von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Pauschalreisevertrag nicht vom Vorliegen „unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände“ habe ausgehen können. Der Kunde sei daher nicht berechtigt gewesen, von diesem Pauschalreisevertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr zurückzutreten.

Weil sich der Kunde damit nicht zufriedengab, befasste sich in nächster Instanz der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Sache und entschied, den Fall zur Klärung dem EuGH vorzulegen, weil womöglich Umstände zu berücksichtigen seien, die erst nach dem Rücktritt vom Reisevertrag aufgetreten seien: Es sei unstreitig, dass die Durchführung der Reise letztlich aufgrund des Einreisverbots nicht möglich gewesen wäre. Diesbezüglich entschied der EuGH, dass für die Feststellung, ob „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ aufgetreten sind, die „die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen“, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist.

 

EuGH schafft mit seinem Urteil Rechtssicherheit

„Das Urteil des EuGH entscheidet die Frage, ob unvermeidbare außergewöhnliche Umstände nur im Zeitpunkt des Rücktritts des Reisenden relevant sind (ex ante-Sicht) oder auch später hinzutretende Umstände (ex post) zu berücksichtigen sind“, erläutert die Hamburger Rechtsanwältin Stefanie Bergmann, die das Urteil für Kiwi Tours erstritten hat. Die durch den Fall aufgeworfene Frage habe während der Corona-Pandemie eine große Rolle gespielt, weil viele Kunden sehr frühzeitig von Reisen zurücktraten, ohne zu wissen, wie sich die Pandemie weiter entwickeln würde. „Diesem vorzeitigen Rücktritt, bei dem der Reisende dann, wenn die (bloßen) Befürchtungen in Bezug auf außergewöhnliche Umstände eintreten, sich im Nachhinein zum Nachteil des Reiseveranstalters auf diese berufen kann, schiebt das Urteil einen Riegel vor“, so Bergmann. „Der EuGH stellt nur auf den Zeitpunkt des Rücktritts des Reisenden ab. Für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorlagen, ist nur dieser Zeitpunkt zu berücksichtigen, also keine später hinzukommenden Umstände.“ Damit schaffe der EuGH große Rechtssicherheit für die Reisebranche, da der Reiseveranstalter sich darauf verlassen könne, dass alle späteren Umstände irrelevant sind. Er könne seine Stornierungsrechnung endgültig erstellen und müsse nur überschüssig anfallende Beträge innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt dem Reisenden rückerstatten.​

Am 24. April 2024 wird Stefanie Bergmann im Rahmen eines Vortrags im RDA Trend Forum die Entscheidung des EuGH und deren Auswirkungen auf die Reisebranche näher erläutern.