Studienleiter Ulf Sonntag, Geschäftsführer des NIT (Institute for Tourism Research in Northern Europe) in Kiel fügt hinzu: „Die Befragten sagen uns durch die Bank, dass sie wieder so reisen wollen, wie vor der Pandemie, und das so schnell wie es geht.“ Und weiter, eines der Ergebnisse der Studie vorwegnehmend: „Und vielleicht werden wir bis dahin auch ein bisschen nachhaltiger.“

Die Reisestudie zeigt für 2022 grundlegend diese Basisergebnisse: 2022 gab es 67 Mio. Urlaubsreisen (über fünf Tage), mithin 22 Prozent mehr als im Vorjahr und nur noch fünf Prozent weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019. Die Gesamtausgaben bei diesen Reisen stiegen sogar auf einen neuen Rekordwert von fast 79 Mrd. Euro. Bei den Reisezielen stellen sich nahezu gewohnte Verhältnisse ein: 27 Prozent der Reisen gingen ins Inland, 73 Prozent ins Ausland – die von einigen vorhergesagte Wende des Reiseverhaltens hat sich so nicht bestätigt. Im Ausland dominiert Spanien vor Italien, der Türkei, Österreich und Kroatien. Damit einher ging ein spürbares Wachstum von Flugreisen, Hotelübernachtungen und Pauschalreisen – alles deutlich über 2021, aber noch nicht ganz auf dem Niveau von 2019. Die Buchungswege folgen dem langfristigen Trend zum Digitalen: Erstmals wurden 2022 mehr als 50 Prozent der Reisen online gebucht. Nach den beiden Pandemiejahren zeigen die Eckdaten für das Jahr 2022 also ein Urlaubsverhalten, das dem vor der Pandemie stark ähnelt.

 

2023: Gute Aussichten trotz Krisen
Der erste Blick auf die nachfrageseitigen Voraussetzungen für 2023 zeigen sich laut Ulf Sonntag vergleichsweise trüb: Bezüglich der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung haben sich die Erwartungen gegenüber Januar 2022 deutlich eingetrübt. 50 Prozent der Bevölkerung erwarten eine Verschlechterung in den kommenden 12 Monaten. Noch wichtiger für die Urlaubsnachfrage ist der Blick auf die persönliche wirtschaftliche Situation: Die allermeisten, nämlich 59 Prozent (Vorjahr 69 Prozent), erwarten keine Veränderung. 12 Prozent (Vorjahr 14 Prozent) rechnen mit einer Verbesserung, 29 Prozent (Vorjahr 18 Prozent) befürchten eine Verschlechterung. „Dies ist zwar der mit Abstand schlechteste gemessene Wert der Studie auf die persönliche wirtschaftliche Lage im vergangen Jahrzehnt, dennoch haben 71 Prozent der Bevölkerung stabile oder sogar positive Aussichten“, so Ulf Sonntag.

Auf der anderen Seite bestätigt sich der sehr hohe Stellenwert der Urlaubsreise als Konsumgut, und je konkreter nach den Reiseplänen für 2023 gefragt wird, desto besser wird der Ausblick: 69 Prozent der Bevölkerung planen im Jahr 2023 sicher zu verreisen, 17 Prozent sind unsicher und nur 13 Prozent planen keine Reise. Diese Werte liegen auf dem gleichen Level wie vor der Pandemie. Eine starke Urlaubsreisenachfrage 2023 ist also durchaus möglich und nicht unwahrscheinlich – gleichzeitig sind die Marktrisiken klar sichtbar, aber in ihrer Wirkung schwer quantifizierbar, so Sonntag. „Hier spielen sicher auch die Preissteigerungen im Rahmen des Inflationsgeschehens eine gewisse Rolle. Wir haben uns aus dem Sumpf erholt und kommen jetzt in einen langfristig ansteigenden Trend. Gleichzeitig sehen wir einen sehr starken Rebound Effekt bei den zusätzlichen Reisen, nicht aber bei den Hauptreisen des Jahres.“

 

 

Marktanteile Inland/Ausland
Nach den kräftigen pandemiebedingten Marktanteilsverlusten der Auslandsdestinationen in den Jahren 2020 und 2021 zeigt das Jahr 2022 weitgehend ähnliche Verhältnisse wie vor der Pandemie: 73 Prozent aller Urlaubsreisen gingen 2022 ins Ausland (2019: 74 Prozent). Für Ziele im Ausland bedeutet dies ein Plus von 14 Mio. Urlaubsreisen gegenüber dem Vorjahr. Damit liegt das Volumen der Auslandsreisen nur noch leicht unter dem Niveau von 2019, Fernreisen schlagen mit sieben Prozent noch etwas schwächer zu Buche als 2019. Deutschland ist dabei mit einem Anteil von 27 Prozent (18,2 Mio. Reisen) mit Abstand das Reiseziel Nr. 1. Gegenüber 2021 ist jedoch ein Rückgang von zwei Mio. Reisen zu verzeichnen, was eine direkte Folge der zurückgehenden Pandemiemaßnahmen sein dürfte. Damit liegt der aktuelle Wert knapp unter dem von 2019.

Das Ranking der nachfragestärksten Bundesländer in Deutschland ist vertraut und weitgehend unverändert: Bayern liegt hier vor Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig- Holstein, Niedersachsen und Baden-Württemberg – die Marktanteile verteilen sich hier ähnlich wie vor der Pandemie. Berlin kann sich einen guten achten Platz sichern. Auch im Ausland ist die Reihenfolge der Ziele vergleichbar wie im Jahr 2019: Spanien (12,9 Prozent) liegt vor Italien (8,3 Prozent), der Türkei (8,0 Prozent), Österreich 4,2 Prozent) und Kroatien (4,0 Prozent). Dabei können die Türkei und Kroatien ihre Marktanteile steigern, während Spanien, Italien und Österreich auf ähnliche Werte wie vor der Pandemie kommen. Erstmals in die Top 10 schafft es Ägypten mit 1,8 Prozent hinter Polen (2,8 Prozent).

 

 

Wahl der Reise-Verkehrsmittel und Unterkunft

Zur Dynamik bei den Reisezielen passt die deutliche und erwartbare Erholung bei den Flugreisen (+9 Mio. Urlaubsreisen mehr als 2021) trotz eines immer wieder erlebten Chaos an den Flughäfen und einer gesellschaftlichen progagierten „Flugscham“. Damit wird das Niveau von 2019 noch nicht ganz erreicht. Busreisen verlieren mit 4,2 Prozent etwas an Boden auf einem grundlegend stabilen Niveau, allerdings kommt der Bus aus den 90er Jahren mit durchgehend zweistelligen Werten. Insgesamt liegt die gesamte Verkehrsleistung mit 106 Mrd. Kilometer noch nicht auf Vor-Corona Niveau (123 Mrd.) aber deutlich über 2020 mit lediglich 61 Mrd. Kilometern. Der modale Split gleicht sich mit 26 Mrd. Kilometern von den 106 Mrd. für bodengestützte Verkehrsmittel dem bisherigen an.

Entsprechend zeigt sich die Entwicklung bei der von den Befragten gewählte Unterkunft. Vor allem die Hotels holen auf und liegen nun auf dem Level von 2019, Ferienwohnungen/-häuser sogar etwas darüber. Die Reisedauer lag 2022 durchschnittlich bei 12,7 Tagen. Dies ist deutlich länger als in den beiden Corona-Jahren und auch länger als 2019 (12,4 Tage).

 

Urlaubsorganisation und Nachhaltigkeit
Im Zusammenhang mit der häufigeren Wahl von Reisezielen in der Mittelmeerregion hat
die Zahl der Pauschalreisen 2022 gegenüber dem Vorjahr deutlich zugenommen. Gegenüber 2019 gibt es etwas weniger Pauschalreisen und etwas mehr Direktbuchungen der Unterkunft. Erstmals werden 2022 mehr als 50 Prozent aller Urlaubsreisen online gebucht. Gut ein Drittel aller Urlaubsreisen werden im persönlichen Kontakt gebucht. Bei beiden Buchungswegen bestätigen die aktuellen Werte die langfristigen Trends: Online-Buchungen gewinnen kontinuierlich Marktanteile dazu, der persönliche Kontakt verliert dagegen weiter an Marktanteilen.

Bei der Frage der Nachhaltigkeit und deren Berücksichtigung antwortet Ulf Sonntag mit einem „klaren Jein“: „Insgesamt legen die Befragten etwas mehr Wert auf die soziale Nachhaltigkeit als auf die rein ökologische, die wir getrennt abgefragt haben. Auch ist es durchaus nicht so, dass nur die jüngeren Leute so denken, es sind eher die älteren.“ Im Vergleich zu 2019 wollten mit 64 Prozent satte 13 zusätzliche Prozent der Befragten die soziale Komponente der Reise berücksichtigen, während der Faktor der Ökologie bei 42 Prozent verharrte.

 

Stand der Urlaubspläne im Januar 2023

Trotz der vergleichsweise negativeren Aussichten auf die wirtschaftliche Lage und die Reisevoraussetzungen (Zeit, Geld, Lust) sind die Urlaubspläne der Deutschen positiv:
69 Prozent der Bevölkerung planen im Jahr 2023, ganz sicher zu verreisen: Bei 35 Prozent steht das Ziel schon fest, bei 34 Prozent ist das Ziel dagegen noch offen. Dies sind gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches Tourismusjahr 2023. Der Anteil der unsicheren Befragten liegt mit 17 Prozent auf dem gleichen Level wie vor der Pandemie, der Wert derjenigen, die 2023 sicher keine Urlaubsreise planen ist mit 13 Prozent nur geringfügig höher als Anfang 2020. Ulf Sonntag: „Nach unseren Erfahrungen kann man sich recht gut auf diese sehr guten Urlaubsplanungen verlassen.“

 

Die Studie und ihr Hintergrund

Die Reiseanalyse (RA) beschäftigt sich seit über 53 Jahren, erstmals 1971, mit dem Reiseverhalten der deutschen Bevölkerung. Dazu werden jährlich mehrere bevölkerungsrepräsentative Befragungen (persönlich im Dezember ´22 und Januar ´23 und online im Mai, September und November ´22) mit insgesamt mehr als 13.000 Befragten durchgeführt. Partner der Reiseanalyse sind u.a. nationale und internationale DMOs, Reiseveranstalter, Verkehrsbetriebe, aber auch öffentliche Institutionen, Verbände und Hochschulen. Am 15. Juni 2023 findet in Mannheim eine FUR-Veranstaltung zur weiteren Analyse der Ergebnisse und auch des weiteren Vorgehens für Interessierte statt. Alle Details zur Reiseanalyse und Ihren Beteiligungsoptionen unter www.reiseanalyse.de