Zu Jahresbeginn ließ eine Meldung die Branche aufhorchen: Am 06. Februar 2019 musste H&H Touristik, seit über 30 Jahren als Paketer und Gruppenreiseveranstalter spezialisiert auf Flugreisen, Insolvenz anmelden. Gut drei Monate später, am 14. Mai 2019, gaben die Insolvenzverwalter offiziell bekannt, dass der Geschäftsbetrieb der H&H Touristik GmbH im August 2019 endgültig eingestellt werden muss. Wie geht es nun weiter?

Herr Enüstün, Sie waren mit H&H Touristik über 30 Jahre erfolgreich auf dem Reisemarkt tätig und haben sich in der Touristikbranche einen Namen gemacht. Wie kam es dazu, dass Sie Anfang Februar Insolvenz anmelden mussten?

Es gab verschiedene Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Das anhaltend rückläufige Türkeigeschäft in den letzten Jahren hatte bei H&H Touristik seit geraumer Zeit zu einer wirtschaftlich angespannten Situation geführt. Von rund 40.000 Pax sind wir auf etwa 3.600 Buchungen runtergebrochen. Durch das verstärkte Anbieten anderer Destinationen konnten wir einiges kompensieren, aber nicht komplett. Zum Schluss jedoch lief das Türkeigeschäft dann wieder sehr gut an. Ein weiterer Grund: Vor gut zwei Jahren sind wir in die dynamische Paketierung eingestiegen.

Was ist darunter zu verstehen?

Dabei geht es um technische Prozesse, bei denen die einzelnen Bausteine für Pauschalreisen computergesteuert zusammengestellt werden. Wir konnten mit der dynamischen Paketierung täglich über zwölf Millionen Pauschalreisen generieren und anbieten. Allerdings ist das ein sehr komplexes Thema, auch finanziell. Wir haben für die Technik und das entsprechende Know-how sehr viel Geld investiert. Leider wurde bereits nach einem halben Jahr der für diese umfangreiche Technik zuständige Mitarbeiter abgeworben. Das hat uns sehr zurückgeworfen. Nach mehreren Monaten haben wir einen neuen Mitarbeiter gefunden, der mit der Technik vertraut war. Dennoch konnten wir trotz dynamischer Paketierung mit den Einkaufsvorteilen und Preisen der großen Veranstalter nicht mithalten und waren so letztlich nicht konkurrenzfähig. Die dynamische Paketierung hat H&H Touristik sehr hohe Verluste beschert. Das Gesamtinvestment war einfach zu groß für uns als mittelständisches Unternehmen. Ende Oktober letzten Jahres haben wir das alles gestoppt.

Wie ging es weiter?

Last but not least, Mitte 2018 kam auch noch eine Betriebsprüfung und damit das Problem der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung. Die Prüfer haben einen Prozentsatz als Berechnungsgrundlage angesetzt, der eklatant von unserer Berechnung, die auf einer realistischen Kaltmiete basierte, abwich. Wir hatten nur etwa zehn Prozent der Kosten veranschlagt, die sich die Prüfer vorstellten. Trotz eines sechsseitigen Verteidigungsschreibens, dem Anführen von Beispielen der Berechnung bei anderen Veranstaltern und weiteren Gesprächen kam man uns im Ergebnis am Schluss nicht entgegen. Argument: Ländersache! Und das obwohl die Thematik der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung absolut undurchsichtig ist und eben von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt wird.

Wenn man so will, hat das Ergebnis der Prüfung, die Dimension der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung, das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Gesetze werden in Deutschland leider seit Jahren für die Großveranstalter gemacht. Die Banken sind an dieser Stelle bei H&H Touristik ausgestiegen und die Insolvenz war nicht mehr zu vermeiden. Es ist aber nicht so, dass die Gewerbesteuer der alleinige Insolvenzgrund war, das wäre nicht richtig. Es ging H&H Touristik vor allem aus den beschriebenen Gründen schon länger nicht gut. Dennoch waren wir mit 68 Millionen Euro Umsatz in 2018 wieder auf einem sehr guten Weg.

Gab es keine Möglichkeit, H&H Touristik und damit auch die Arbeitsplätze der Mitarbeiter zu retten?

Naja, eigentlich schon. Es gab zahlreiche Interessenten, die an einem sogenannten Asset Deal interessiert waren. Beim Asset Deal werden auch die Mitarbeiter, bei uns über 120, zu den bestehenden Konditionen übernommen. Unsere Insolvenzverwalter waren sehr engagiert, es gab anfangs über 20 Interessenten, von denen sich am Ende fünf als ernsthaft interessiert herausstellten. Dann hat uns jedoch die neue Datenschutzgrundverordnung einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Wie das? Könnten Sie das etwas erläutern?

Früher reichte es bei einer Übernahme aus, ein Mailing auszusenden, in dem die Kunden über die Übernahme und ihr Widerspruchsrecht bezüglich der Datenweitergabe informiert wurden. Haben diese nicht innerhalb von vier Wochen widersprochen, gehörten die Adressen automatisch dem Käufer. Gemäß der neuen Datenschutzgrundverordnung müssen alle Kunden angeschrieben werden – wir reden da in unserem Fall von über 100.000 Adressen – und diese müssen proaktiv antworten, also ausdrücklich zustimmen, dass der neue Käufer weiterhin mit ihnen kommunizieren darf. Potenzielle Käufer gehen davon aus, dass das nicht einmal fünf Prozent der Kunden machen. Damit ist die Wertigkeit des Unternehmens fast auf null gesunken und die Interessenten haben sich zurückgezogen. Bei einer Mitarbeiterversammlung am 30. April hat der Insolvenzverwalter deutlich gemacht, dass die Übernahmegespräche letztlich gescheitert sind, weil die neue Datenschutzgrundverordnung im Wege stand. Damit ist die H&H Touristik GmbH leider Geschichte. Nur H&H Golf, eine Marke von H&H Touristik, wird sicher noch verkauft werden, ohne Adressen. Hier geht es vor allem um die Marke und die Web-Adresse. Die Adressen sind zweitrangig.

Nun haben Sie ein neues Unternehmen gegründet, die HE Travel Consulting GmbH. Ging das so einfach?

Ja, es ging tatsächlich sehr einfach. Ich war bei H&H Touristik ja auf jeden Fall raus und musste zwangsläufig darüber nachdenken wie es für mich weitergehen kann. Für diese Überlegung habe ich eine Weile gebraucht. Zunächst war ich so enttäuscht und verärgert, dass ich eine Zeit lang gar nichts mehr mit der Tourismusbranche zu tun haben wollte. Im Rahmen von Gesprächen hatten mir auch die Insolvenzverwalter jedoch geraten, meine Kontakte und Verbindungen nicht brachliegen zu lassen und auch nicht allzu lange mit neuen Projekten zu warten. Binnen drei, vier Monaten könne man in dieser schnelllebigen Zeit durchaus in Vergessenheit geraten. Sie haben mir regelrecht Mut zugesprochen, einen Neuanfang zu starten und möglichst schnell zu agieren. Daraufhin habe ich nun mit der HE Travel Consulting GmbH ein neues Unternehmen gegründet. Geschäftsführer und Gesellschafter bin ich. Allerdings wird das Unternehmen sehr schmal aufgestellt sein. Neben mir gibt es nur einen Mitarbeiter, ein ehemaliger Mitarbeiter von H&H Touristik.

Was wird das Kerngeschäft von HE Travel Consulting sein?

Gegenstand des Unternehmens ist die Beratung und die Vermittlung von ausgesuchten Flugreisen und Destinationen für den Direktvertrieb. Darunter verstehe ich, dass man zum Beispiel über Mailingaktionen direkt an den Kunden herantritt und jeweils nur ein konkretes Produkt bewirbt. Ich möchte den Abwicklungsaufwand für die HE Travel Consulting gering halten. Wir vermitteln den Kunden direkt an die jeweiligen Incoming-Agenturen, die dann alle Abwicklungsarbeiten übernehmen. Die HE Travel Consulting erhält jeweils eine Provision von den Incoming-Agenturen. Mit den Flugbuchungen läuft es mehr oder weniger genauso. Wir arbeiten mit einem Consolidator zusammen, der die Flüge bucht und alles abwickelt. Verhandlungen über Flugpreise werden wir mit den Fluggesellschaften weiterhin selbst führen, der Flugeinkauf erfolgt dann über den Consolidator. Hier erhalten wir allerdings keine Provision, sondern profitieren lediglich von Rückerstattungen der Airlines. Ich werde nicht mehr als Reiseveranstalter tätig sein, das ist sicher.

Paketer 2.0 – Was ist darunter zu verstehen und worin besteht der Nutzen?

Die Idee von HE Travel Consulting halte ich durchaus für zukunftsweisend. Auch wenn sie etwas aus der Not heraus geboren wurde. Es geht um ein sehr effizientes Konzept, das zu sehr guten Konditionen für den Reiseveranstalter führt. Und zwar um eine Beratung und Vermittlung, die den Reiseeinkauf zum Marktpreis für den Veranstalter ermöglicht. Neben dem Kostenvorteil können die Bus- und Gruppenveranstalter auch von einem großen Know-how Nutzen profitieren. Das ist neu und hier besteht Bedarf! Ich bezeichne das auch als Paketer 2.0, weil wir keine Gesamtpakete mehr anbieten, sondern nur noch Teilpakete. Auch ein Paketer 1.0 kann bei HE Travel Consulting einkaufen. Allerdings bieten wir nur wenige Destinationen an, die kaum ein Paketer im Programm hat.

Welche Destinationen wird die HE Travel Consulting anbieten?

Aktuell haben wir sechs Destinationen im Angebot: Die Vereinigten Arabischen Emirate, eine Kombireise Dubai/China in die Weltmetropolen Dubai, Peking und Shanghai, Israel, die Türkei, Ägypten und das Baltikum. Für den Kunden hat das natürlich immer den Vorteil, dass wir über größere Kontingente mit den Fluggesellschaften verhandeln und die günstigeren Preise an ihn weitergeben können, weil wir selbst nur geringe Overhead-Kosten haben.

Um welche Fluggesellschaften handelt es sich dabei?

Entsprechend der Destinationen arbeiten wir mit Air Baltic, Turkish Airlines, Sunexpress, EL AL und Emirates zusammen. Bei der Kombireise fliegen die Reisegäste direkt mit Emirates via Dubai nach Peking. Sie bleiben dann drei Nächte in Peking, fahren mit dem Schnellzug nach Shanghai, wo wieder drei Übernachtungen eingeplant sind und fliegen mit Emirates zurück nach Dubai. Dort sind zwei weitere Übernachtungen im Programm, bevor der Rückflug angetreten wird.

Wie wird die HE Travel Consulting sicherstellen, dass sie nach einer ersten erfolgreichen Vermittlung bei weiteren Buchungen berücksichtigt wird? 

Darüber habe ich selbstverständlich nachgedacht. Das Modell basiert auch auf Vertrauen. In Israel zum Beispiel ist der Incomer seit 30 Jahren ein sehr guter Freund von mir, da habe ich keine Bedenken. In der Türkei, in Ägypten und in Dubai bin ich als Gesellschafter an den Agenturen beteiligt. Die generelle Idee ist: Ich schließe Fünf-Jahres-Verträge, danach gehört der Kunde der Agentur.

Mit dem Reiseeinkauf bei einem Paketer wird üblicherweise ein Rechtsgeschäft zwischen zwei deutschen Unternehmen geschlossen. Was sieht das Businessmodell Paketer 2.0 hier vor?

Alle Incoming-Agenturen, die als Geschäftspartner von HE Travel Consulting an Kunden vermittelt werden, müssen mit dem Gerichtsstand Deutschland für den Fall einer rechtlichen Auseinandersetzung einverstanden sein. Das gehört zur Basis einer Zusammenarbeit.

Wird die HE Travel Consulting GmbH bei der RDA-Expo in Köln vertreten sein?

Ja, wir werden mit einem Tisch am Gemeinschaftsstand F50 in Halle 6 in Köln vertreten sein. Allerdings möchten wir zunächst vor allem vorab vereinbarte Termine wahrnehmen, um zu sehen, wie unser Angebot angenommen wird. Und ob wir hier und da noch etwas nachjustieren müssen.

Das Gespräch führten Michaela Rothe und Anita Faltermann