Die sogenannte „allgemeine Ausrichtung“ dient jedoch lediglich als Mandat für Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament über die endgültige Ausgestaltung des Rechtsakts (der sogenannte „Trilog“). Das EU-Parlament hat noch keine Position zur CO2-Regulierung bei Bussen beschlossen, es ist allerdings traditionell von schärferen Standpunkten auszugehen. Wenn dies erfolgt ist, werden Rat und Parlament über eine gemeinsame Position verhandeln. Es ist also noch offen, wie die finale Gesetzgebung aussehen wird. Nichtsdestotrotz ist die aktuelle Positionierung des Rates ein wesentlicher Meilenstein im laufenden Verfahren.
Im neuen Vorschlag heisst es unter anderem einleitend: „Der europäische ‚Grüne Deal‘ kombiniert eine umfassende Auswahl einander verstärkender Maßnahmen und Initiativen zur Verwirklichung der Klimaneutralität in der Union bis 2050 und enthält eine neue Wachstumsstrategie, die darauf abzielt, den Übergang der Union zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu vollziehen, in der das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist.
Ziel des Kommissions-Vorschlags ist es, die CO2-Emissionen im Straßenverkehrssektor weiter zu verringern und neue Klimaschutz-Ziele für 2030, 2035 und 2040 einzuführen. Mit dem Vorschlag wird der Anwendungsbereich der Verordnung dahingehend ausgeweitet, dass beinahe alle neuen schweren Nutzfahrzeuge mit zertifizierten CO2-Emissionen – kleinere Lastkraftwagen, Stadtbusse, Reisebusse und Anhänger – Emissionsreduktionszielvorgaben unterliegen.
Für Reise- und Überlandbusse gelten neu die folgenden Zielvorgaben (die so auch für Lkw gelten):
- 45 % Emissionsreduktion ab 2030
- 65 % Emissionsreduktion ab 2035
- 90 % Emissionsreduktion ab 2040
Für „Überlandbusse“ gelten nun die gleichen Emissionsminderungsziele wie für Reisebusse, nicht diejenigen für Stadtbusse, was den Verbänden ein Dorn im Auge war, da beide Bereiche bisher noch kaum elektrifiziert sind und man gerade beim Reisebus nicht vor Ende des Jahrzehnts mit serienreifen Modellen aus europäischer Produktion rechnet.
Für „Stadtbusse“ gilt nun für 2030 ein 85prozentiges Emissionsreduktionsziel. Ab 2035 dürfen nur noch emissionsfreie Stadtbusse zugelassen werden. Nach den bisherigen Vorschlägen sollte dies bereits 2030 der Fall sein, womit die Industrie auch gut leben konnte – kurbelt es doch ihren teilweise schleppenden E-Bus-Verkauf an.
Allen Zielen ist gemein, dass sie ausschließlich die Fahrzeughersteller betreffen (durchschnittliche Emissionen der Flotte eines Herstellers). Die Grenzwerte bedeuten nicht, dass Busunternehmen ab 2030 zu 85 Prozent emissionsfreie Stadtbusse oder zu 45 Prozent emissionsfreie Überland- oder Reisebusse beschaffen müssen. Busunternehmen können sich weiterhin, solange nicht ausschließlich emissionsfreie Neufahrzeuge zugelassen werden dürfen, jederzeit für einen „klassischen“ Dieselbus entscheiden. Ausgenommen sind hier natürlich die Vorgaben der „Clean Vehicles Directive“ (CvD) für öffentlich geförderte Fahrzeuge.
Verbände zeigen sich zufrieden
Die neue Einigung stößt bei den einschlägigen Verbänden auf positive Reaktionen: „Mit der Positionierung des Rats ist es bdo und den Landesverbänden zusammen mit der IRU und den europäischen Schwesterverbänden gelungen, den Kommissionsvorschlag erheblich zu entschärfen,“ so äußert sich der bdo. Dieser Vorschlag sah vor, dass bereits ab 2030 nur noch emissionsfreie Stadtbusse zugelassen hätten werden dürfen. Für Überlandbusse hätte das gleiche Ziel gegolten.
Der bdo weiter: „Durch eine Verschiebung des 100-Prozent-Ziels in die Mitte der 30er Jahre wurde verhindert, dass KMU von einer zu ambitionierten Antriebswende überfordert werden. Ein späterer Zeitpunkt, ab wann nur noch emissionsfreie Stadtbusse zugelassen werden, hat darüber hinaus quasi keine Relevanz für das Erreichen der Emissionsminderungsziele.“ Das Gegenteil sei der Fall: Wenn es durch einen Ausbau des Busangebots gelänge, mehr Menschen aus den Pkw zu bekommen, trage dies mindestens im gleichen Maße zur Emissionsreduktion bei wie die politisch gewollte Antriebswende. Denn grundsätzlich gelte laut bdo: „Die Antriebswende gelingt am schnellsten, wenn Elektrobusse wirtschaftlich attraktiver sind als Dieselbusse. Dann würde jedes Unternehmen bei jeder Beschaffung ausschließlich auf Busse mit alternativen Antrieben setzen. Ein geeigneter Hebel wäre hier ein Fahrstrompreis. Durch deutlich niedrigere Betriebskosten würden Elektrobusse trotz höherer Anschaffungskosten mit einem Schlag eine wirtschaftlich sinnvollere Investition als Dieselbusse.“
Der VDV unterstreicht indes die Forderung nach einem Fünf-Jahres-Aufschub für die Stadtbus-Emissionsfreiheit 2030, bezieht sich dabei allerdings auf Vorschläge des Umweltausschusses des EU-Parlamentes, nicht die oben erwähnten des Umwelt-Rates. „Wir drängen auf einen fünfjährigen Aufschub und die sofortige Klärung der Finanzierung, denn der Einsatz von Elektrobussen und Wasserstoffbussen kann nur erfolgen, wenn in den nächsten Jahren flächendeckend die nötige Infrastruktur aufgebaut wird“, so VDV-Vizepräsident Werner Overkamp. Laut Branchenverband ist die Umstellung von konventionellen Fahrzeugen auf E-Busse in vollem Gange, brauche jedoch notwendige Planungs- und Bauzeiten sowie eine finanzielle Förderung.
„Wir rufen die Europaabgeordneten im Plenum auf, das Votum des Umweltausschusses an dieser Stelle zu überstimmen und der Branche fünf wichtige Jahre einzuräumen, ihre Infrastruktur für den Einsatz von Elektrobussen zu ertüchtigen, bevor am Markt nur noch lokal emissionsfreie Busse gekauft werden können“, so Overkamp. Eine überzogene Regelung helfe in der Praxis nicht weiter, so der VDV. Öffentlicher Personenverkehr sei bereits jetzt klimafreundlich und wird in jedem Fall zunehmend elektrisch erbracht. „Die Umstellung der Busflotte lässt sich jedoch nicht über Nacht erzwingen, sondern erfordert eine solide Finanzierung, Planung und bauliche Maßnahmen – in einem dafür schwierigen Marktumfeld. Wir sind uns im Ziel der Dekarbonisierung einig und die Bus- und Bahn-Branche ist ein verlässlicher Partner – nur brauchen wir hier einen fünfjährigen Aufschub, um alle Verkehrsunternehmen mitzunehmen – und unverantwortliche Konsequenzen zu vermeiden“, so Overkamp abschließend.
Vorgaben für Reisebusse werden kritisch gesehen
Trotz des Teil-Erfolgs bei Stadtbussen sieht der bdo die Grenzwerte für Busse der Klasse II (Überlandbusse) und Klasse III (Reisebusse) kritisch. Es werden am Markt bislang keine batterieelektrischen oder brennstoffzellenbetriebene Fahrzeuge europäischer Produktion angeboten – anders sieht es in China aus. Hierzulande ist frühestens Ende der Dekade mit den entsprechenden Fahrzeugen zu rechnen – erste Prototypen wurden gerade auf der Busworld in Brüssel von spanischen und türkischen Herstellern gezeigt. Darüber hinaus existiert bislang keine (ausreichende) Lade- und Tankinfrastruktur, wie der bdo deutlich macht: „Und es ist anzunehmen, dass dies auch bis 2030 nicht der Fall sein wird. Denn Reisebusse sind insbesondere auch abseits der Hauptachsen unterwegs und benötigen öffentliche Ladeinfrastruktur gerade in ländlichen touristischen Regionen. Hier ist jedoch noch riesiger Nachholbedarf. Entsprechende Ausbauziele finden sich nicht in den öffentlichen Strategien.“
Kein realistisches „Ambitionsniveau“
Grundsätzlich sei der bdo skeptisch, dass die die Ziele des Kommissionsvorschlags ein realistisches Ambitionsniveau verfolge – zum einen, wegen der Herausforderungen bei der Tank- und Ladeinfrastruktur und zum anderen, aufgrund des bislang geplanten Markthochlaufs beim Angebot von alternativ angetriebenen Bussen in diesem Segment. Der bdo plädiere demnach dafür, das Ambitionsniveau bei den Reduktionszielen auf ein realistischeres Maß abzusenken. So schlägt der bdo die folgenden Werte vor:
- 15 Prozent ab 1. Januar 2030
- 40 Prozent ab 1. Januar 2035
Der Zielpfad für die vollständige Dekarbonisierung des Sektors sollte sich aus einer Evaluierung des 2035er Ziels ergeben. Die Forderung des bdo liegt noch unterhalb dessen, was zum Beispiel Till Oberwörder auf der Busworld in Brüssel gefordert hatte. Er sprach von einer machbaren Reduktion von 20 Prozent bis 2030. "Eine Zielgröße von 20 Prozent ist zwar äußerst ambitioniert, aber realistisch", sagte der Chef der Bus-Sparte Daimler Buses der Nachrichtenagentur dpa. "Das Produktportfolio ist nicht der Engpass", sagte Oberwörder. Die Umsetzung hänge davon ab, „ob die Infrastruktur auch auf dem Land verfügbar ist. Der Aufbau einer öffentlichen Lade- und Wasserstoff-Tank-Infrastruktur für Reisebusse ist erforderlich“, hieß es laut einer Daimler-Mitteilung. Im Vergleich zu Stadtbussen stelle das eine besonders große Herausforderung dar, weil Reisebusse deutlich anspruchsvollere Routen führen. Tatsächlich dürfte Daimler mindestens bis 2030 brauchen, um seine Doppelstrategie mit BEV-Reisebussen und solchen mit H2-Antrieb mit einer gänzlich neuen Flüssigwasserstoffinfrastruktur zusammen mit Volvo auf den Markt zu bringen.
Grundsätzlich unterstütze das Unternehmen den Plan der EU-Kommission, die CO2-Emissionen von neu zugelassenen Bussen zu reduzieren. Der Vorschlag, ab 2030 alle neuen Stadtbusse emissionsfrei zu machen, sei absolut möglich.
„Es ist eine gemeinsame Kraftanstrengung von Politik, Herstellern, Bus-Betrieben und Energiebranche nötig, um E-Busse in hoher Stückzahl und so schnell wie möglich auf die Straßen zu bringen“, sagte Oberwörder laut Mitteilung. Jetzt müsse gemeinsam dafür gesorgt werden, dass Unternehmer E-Busse wirtschaftlich betreiben können.
Nicht nur Zustimmung zu den Vorschlägen
Das grüne Lobbyinstitut „Transport & Environment“ (T&E) forderte das Europäische Parlament jedoch auf, das Ziel für 2030 zu erhöhen, damit die europäischen Lkw-Hersteller in der Lage sind, mit ausländischen Konkurrenten zu konkurrieren, die in den EU-Markt eintreten.
Fedor Unterlohner, Manager für Transport bei T&E, zeigt sich erfreut über die neuen Vorschläge: "Die EU hat einen wichtigen Schritt in Richtung eines umweltfreundlicheren Lkw-Verkehrs gemacht. Durch die Unterstützung der Kommissionsziele haben die Regierungen den Mindeststandard für die Dekarbonisierung des Sektors festgelegt.“ Aber fügt dann sofort hinzu: „Wir fordern nun die Europaabgeordneten [des Parlaments] auf, den Standard für 2030 zu erhöhen. Die Lkw-Hersteller brauchen ein klares Signal, um auf emissionsfreie Lkw zu setzen und mit Tesla und chinesischen Konkurrenten zu konkurrieren."
T&E begrüßte außerdem die „Ablehnung der Minister von Schlupflöchern für E-Treibstoffe und Biokraftstoffe, die den Sektor nicht dekarbonisieren können“, da sie entweder nicht nachhaltig seien oder für Sektoren benötigt würden, für die es keine anderen Optionen gibt, wie z.B. den Luft- und Schiffsverkehr. T&E erklärte, dass die Verwendung von eFuels die Gesamtkosten eines Lkw für Spediteure und Verlader um bis zu 50 Prozent erhöhen würde, selbst wenn sie unter den optimistischsten Bedingungen hergestellt werden
Fedor Unterlohner sagte dazu: „Die Öl- und Gasindustrie hat sich stark für Biokraftstoffe und E-Kraftstoffe eingesetzt, um sicherzustellen, dass in den kommenden Jahrzehnten so viele fossil betriebene Lkw wie möglich in den Fuhrpark aufgenommen werden und die Nachfrage nach fossilen Kraftstoffen aufrechterhalten wird. Wir fordern das Europäische Parlament auf, sich dem Rat anzuschließen und Nein zu diesen Frankenstein-Kraftstoffen zu sagen, die ein verzweifelter Versuch der Ölkonzerne sind, Verbrennungsmotoren am Leben zu erhalten."
Offener Brief fordert Korrekturfaktor für eFuels
Erst im September hatte eine breite Koalition aus Verbänden der Verkehrs-, Logistik- und Energiewirtschaft gefordert, eFuels eine größere Bedeutung bei der Antriebswende zu geben und sie auch in den CO2-Berechnungen der Flotten besser zu berücksichtigen.
Im den offenen Brief an die Bundesregierung und die zuständigen Fachministe heißt es: „Wir appellieren an die Bundesregierung, sich auf europäischer Ebene aktiv für die Einführung eines ‚Carbon-Correction-Factors‘ in die Regelung der CO2-Emissionsstandards für schwere Nutzfahrzeuge einzusetzen.
In der aktuell vorliegenden Position der Bundesregierung zum Regelungsvorschlag werden erneuerbare Kraftstoffe nicht berücksichtigt. Wir, die unterzeichnenden Unternehmen und Verbände der Logistik- und Busbranche sowie der Kraftstoff-, Nutzfahrzeug- und Zulieferindustrie rufen Sie auf, sich für einen ganzheitlichen Klimaschutz durch Einführung des Carbon-Correction-Factors einzusetzen. Gemeinsame Anstrengungen und eine technologieneutrale Ausgestaltung der CO2-Regulierung lassen uns die ambitionierten Klimaziele erreichen und die Transformation des Nutzfahrzeugsektors in Europa gelingen.“
Dieses Ansinnen wurde wohl bisher nicht gehört in Brüssel. Das Thema dürfte die Branche also noch für Jahre weiter beschäftigen.
Dieser Artikel wurde am 24. Oktober um 18:15 Uhr aktualisiert.