Auf den ersten Blick sieht es gar nicht so anders aus, dieses rund 670.000 teure Hightech-Fahrzeug. Was als Erstes auffällt, ist, dass sich der Bus flüsterleise fortbewegt. Busfahrer Joachim Geyer schaut noch genauer als sonst, dass ihm niemand vor die Räder läuft. „Die Leute hören einen nicht“, sagt er, „das ist was ganz Neues, dass so ein großes Fahrzeug geräuschlos fährt.“

Zweitens: Der Bus bewegt sich nicht nur fast lautlos, sondern auch vollkommen geruchslos fort. Wärme und Wasserdampf sind die einzigen Emissionen. Die elektrische Energie wird auf dem Dach des Busses in einer Brennstoffzelle hergestellt, der „Sprit“ ist kein Diesel, sondern Wasserstoff – kurz H2.

Strom vom Dach

„Ich sehe im Wasserstoff und in der Brennstoffzelle eine große Zukunft“, sagt Horst Bottenschein, Chef der gleichnamigen Firma, die für die Stadt Urach die Linie 108 – den Stadtverkehr – fährt. Schon 2015, als es darum ging, wer künftig die Linie bedient, hatte der Ehinger Unternehmer den Urachern in Aussicht gestellt, in Sachen Technologie stets am Puls der Zeit zu sein. Was er eingehalten hat: Seither rollen (hoch-)moderne Busse durch die Kurstadt, 2018 präsentierte Bottenschein den ersten Hybrid-Bus, Ende März wurde der erste E-Bus getestet.

Das E-Bus hat sich beim Test im Uracher Stadtverkehr hervorragend geschlagen, allerdings wurde hier schon deutlich, dass es in Sachen Ladeinfrastruktur noch einige Hausaufgaben zu machen gilt, bis die Verkehrswende gelingt – so ein batteriebetriebener Bus zieht gewaltig Strom. Ganz anders der Wasserstoff-Bus: Der produziert seinen Strom mit der Brennstoffzelle auf dem Dach. Aber erstmal muss der Wasserstoff her. Die nächste Tankstelle ist am Stuttgarter Flughafen. „Es gibt derzeit nur 200 Tankstellen in Europa“, weiß Günter Maier, Regionalvertreter des Bus-Herstellers Solaris, „99 in Deutschland – und davon nur sechs für Busse.“

Eine Lösung wäre, den Wasserstoff vor Ort herzustellen, idealerweise mithilfe erneuerbarer Energien – so wäre eine klimaneutrale Wasserstoffherstellung möglich. Wie man Wasser (H2O) mit Strom in seine Bestandteile Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) zerlegt, lernt man schon im Chemieunterricht. Technisch jederzeit möglich, praktisch gibt´s bis jetzt noch sehr überschaubare Beispiele. Ein Strom produzierendes Müllheizkraftwerk wie in Wuppertal, wo gleich mehrere Busse wie der gestern in Urach fahren, gibt´s in der Region nicht.

Wie in der Region „grüner“, also klimaneutraler Wasserstoff hergestellt werden könnte, wird im Landkreis Reutlingen im Rahmen des „HyStarter-Projekts“ untersucht. Reutlingen wurde als eine von neun HyStarter-Regionen im Förderprogramm „HyLand-Wasserstoffregionen in Deutschland“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur gemeinsam mit Bosch Standort Reutlingen ausgewählt.

Wasserstoffregion Reutlingen

Dr. Meike Widdig, die Klimaschutzbeauftragte des Landkreises, arbeitet in dieser Sache nicht nur mit der Firma Bottenschein zusammen, sondern auch mit der Schwäbischen Alb-Bahn (SAB). Mit dabei bei der Vorstellung des Wasserstoff-Busses gestern deshalb auch Geschäftsführer Bernd-Matthias Weckler. „Wir wollen nicht den Anschluss verpassen“, sagt er. Eine durchaus realistische Vision gibt´s schon: eine Wasserstoff-Tankstelle in Münsingen – mit „grün“ hergestelltem H2 –, bei der Busse ebenso tanken können wie die Züge der SAB

 

Andreas Fink (Reutlinger Generalanzeiger, 16. Juni 2021)