In norddeutschen Kreuzfahrthäfen kehrt winterliche Ruhe ein. Aber nicht ganz: Anders als im Corona-Lockdown 2020 bieten große Player auch in der kalten Jahreszeit Fahrten in nordeuropäische Gefilde an. Neben den „deutschen“ Abfahrten kommt zudem das Geschäft in der Ferne allmählich wieder auf Touren: In sonnigeren Gebieten wie den Kanaren, dem Persischen Golf oder dem Roten Meer sind die Kreuzfahrtschiffe in diesem Jahr wieder den ganzen Winter unterwegs.
Das ist aus Sicht der erfolgsverwöhnten Kreuzfahrtindustrie schon einmal ein Lichtblick im Vergleich zum vorigen Jahr, als die Corona-Pandemie zum Herbst hin eskalierte, Kreuzfahrtträume der Urlauber zunichte machte - und damit auch die Planungen der einstigen Boombranche. In guten Jahren wie zuletzt 2019 vor der Pandemie kam die Kreuzfahrtindustrie hierzulande nach Angaben des Branchenverbandes Clia noch bei 2,6 Millionen Passagieren auf rund 6,6 Milliarden Euro Umsatz. Im abgelaufenen Tourismusjahr 2020/21 verbuchten die Kreuzfahrer nach Angaben des Deutschen Reiseverbandes (DRV) gerade mal ein rundes Drittel des Umsatzes aus der Vor-Corona-Zeit. Der DRV zählt Kreuzfahrten damit – nach Fernreisen – zu den am stärksten gebeutelten Sektoren im Tourismus.
Clia geht aber immerhin davon aus, dass die Branche bis Jahresende zumindest um die 80 Prozent ihrer Schiffskapazitäten unter Dampf hat, Tendenz steigend, wie der deutsche Clia-Geschäftsführer Helge Grammerstorf sagt. In der neuen Corona-Realität bleibe es allerdings auf absehbare Zeit bei einer reduzierten Auslastung der Schiffe, die regulär mitunter mehr als 6.000 Passagiere aufnehmen können.
Was reduzierte Belegungen für das Geschäft ausmachen, zeigen beispielhaft die Zahlen des Kieler Hafens. Dort wurden dank niedriger Corona-Zahlen in Schleswig-Holstein erste Kreuzfahrten schon ab Pfingsten möglich. Auch daher hat sich der Ostseehafen 2021 zur deutschen Kreuzfahrthauptstadt entwickelt: Kiel verzeichnete im laufenden Jahr rund 130 Schiffsanläufe, nach lediglich 29 im vorigen Jahr, aber 174 im Jahr 2019. Doch gemessen an der Zahl der Passagiere hängt 2021 weiter deutlich zurück: 300.000 waren es demnach 2021, nach 34.500 im vorigen Jahr. Die Rekordmarke aus dem Jahr 2019 lag indes bei 803.000.
Zweitwichtigster Kreuzfahrthafen hierzulande ist Hamburg mit rund 100 Anläufen und 100.000 Passagieren in diesem Jahr. „Insgesamt können wir feststellen, dass die Reedereien perspektivisch auf ihre ursprünglichen Fahrpläne zurückkommen – und dass auch die Reisen der internationalen Gäste wieder an Schwung aufnehmen“, sagt Simone Maraschi, der Geschäftsführer von Cruise Gate Hamburg. Rostocks Ostseebad Warnemünde bilanzierte für 2021 knapp 50 Anläufe.
Um einen Teil des verlorenen Terrains wiederzugewinnen, forcieren die Reedereien neben den klassischen und neuen Sonnenzielen Herbst- und Winterfahrten zu Nordseehäfen, von denen Abstecher zu Städten wie Paris, Brügge oder Amsterdam möglich sind. „Die Saison wird länger hier laufen, als das früher der Fall war“, sagt der Sprecher von Aida Cruises, Hansjörg Kunze. Die Tochter des US-Kreuzfahrtriesen Carnival wird ein Schiff in Hamburg stationieren, das den ganzen Winter über „europäische Metropolen“ ansteuert. Gleiches hat Aida-Konkurrent MSC erstmals vor. „Wir werden das allererste mal ein Schiff im Winter in Deutschland haben“, sagt Deutschland-Chef Christian Heim. Das Angebot sei „gut angebucht“, aber noch schwer einzuschätzen.
Möglich wurde der Neustart der Kreuzfahrtindustrie überhaupt erst, weil sie frühzeitig bereits 2020 funktionierende Hygienekonzepte und strikte Corona-Regeln entwickelt hat, die nach einhelligen Branchenaussagen Corona-Ausbrüche an Bord von Kreuzfahrtschiffen flächendeckend verhindert haben. Zunehmend haben außerdem nur noch Geimpfte Zugang zu den Kreuzfahrtriesen. „Die Tatsache, dass immer mehr Menschen geimpft werden, wird den Fokus auf 2G lenken“, sagt Grammerstorf. 2G bedeutet: Nur noch Geimpfte und Genesene – und im Gegenzug können andere Regeln wie Mindestabstände und Maskenpflicht gelockert werden. Die „Mein Schiff“-Flotte von Tui Cruises steht bereits jetzt mit einer Ausnahme nur noch einem 2G-Publikum offen.
Andere Reedereien, wie Aida oder MSC, orientieren sich je nach Kreuzfahrt an den Regeln der jeweiligen Zielländer. Wann sich das Kreuzfahrtgeschäft wieder vollends normalisiert, ist aus Sicht der Branche schwer kalkulierbar. „Die Nachfrage nach Kreuzfahrten war und ist durchgängig da“, berichtet Tui-Cruises-Chefin Wybcke Meier. „Für das laufende Jahr sind wir mit der Buchungslage zufrieden, wohlwissend, dass wir uns in einem Übergangsjahr befinden, in dem die Planung und Buchungen nach wie vor durch Kurzfristigkeit geprägt sind.“ Wobei Zufriedenheit in Corona-Zeiten sehr relativ ist. MSC-Cruises-Deutschlandchef Hein bringt es so auf den Punkt: „Was ist schon ein guter Sommer, wenn man deutlich weniger Kapazität im Markt hat als man ursprünglich geplant hat. Deswegen wehre ich mich dagegen zu sagen: ‚war super‘“.
Hinzu kommt, dass nach einhelliger Einschätzung der Tourismusbranche Urlaube, und eben auch Kreuzfahrten, immer öfter nicht lange im Voraus geplant werden. Weil Menschen von ständig wechselnden Corona-Entwicklungen verunsichert sind, sei in dieser Saison so kurzfristig gebucht, wie nie zuvor, berichtet der DRV.
Thomas Kaufner