Katherina Reiche auf dem Thüringer Abend des BDO (Foto: Michael Fahrig)
Verkehrsstaatssekretärin Katherina Reiche (CDU) auf dem
Thüringer Abend des BDO (Foto: Michael Fahrig)

Nach langer Debatte hat das Bundeskabinett heute in Berlin Auflagen für Wechsel in die Wirtschaft beschlossen. Für die Opposition nur ein «Placebo».

Und ein Regierungsmitglied wechselt noch schnell vor Inkrafttreten die Seite: Katherina Reiche, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Räumlich ist der Jobwechsel kein großer Schritt. Der Weg zur Arbeit in Berlin wird für Katherina Reiche gleich bleiben, wenn die CDU-Politikerin (41) wie beabsichtigt im September Hauptgeschäftsführerin beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) wird.

Statt in der Invalidenstraße 44 wird ihr Büro dann in der Invalidenstraße 91 sein - schräg gegenüber auf der anderen Seite. Doch politisch ist der Schritt etwas größer. Derzeit ist Reiche noch Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Kritiker halten den Wechsel für fragwürdig bis schamlos. Spötter halten ihn für den perfekt getimten Absprung: Denn Reiche könnte das letzte Regierungsmitglied sein, das ohne Auflagen die Seiten wechseln kann. In Zukunft gelten feste Regeln. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch nach zähen Diskussionen eine Gesetzesänderung. Danach müssen Minister und Staatssekretäre künftig der Regierung melden, wenn sie einen Job in der Wirtschaft annehmen wollen - und zwar sehr früh.

Es wird dann geprüft, ob ein Interessenkonflikt vorliegt, also heikle Überschneidungen zwischen Amt und neuem Job. Wenn nicht, steht dem Wechsel nichts im Wege. Wenn doch, gibt es eine Zwangs-Wartezeit: in der Regel bis zu 12 Monate, in besonders problematischen Fällen bis 18 Monate. Was ein solcher Fall wäre, ist hinreichend offen gehalten. Für die Entscheidung will sich die Regierung ein dreiköpfiges unabhängiges Gremium an die Seite holen, eine Art Ethikkommission. Die Runde hat aber nur eine beratenden Rolle. Das heißt, die Regierung kann sich an die Empfehlung halten, sie muss es aber nicht.

Die Linke-Politikerin Halina Wawzyniak spricht von einer Mogelpackung und einem reinen Placebo. «Die Bundesregierung entscheidet also darüber, was die Bundesregierung darf», spottet sie. Auch die Grünen haben Fragen. Wie denn die Kommission besetzt werden solle, fragt Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann, «etwa mit den Herren Niebel und Co?». Auch der Ex-Entwicklungsminister hatte sich einen Job in der Wirtschaft gesichert: Der FDP-Mann, der auf Reisen gern Bundeswehrmützen trug, heuerte beim Rüstungskonzern Rheinmetall an - als Leiter Internationale Strategie und Regierungsbeziehungen. Organisationen wie LobbyControl und Transparency halten die neue Regelung für völlig unzureichend. Sie fordern eine Zwangspause von drei Jahren. «Im Amt erworbene Kontakte und Insiderwissen können genutzt werden, um Politik im Sinne eines Einzelinteresses zu beeinflussen», meint Christina Deckwirth von LobbyControl.

Bis die Neuregelung in Kraft ist, werden noch Monate vergehen. Für Reiche kann sie nicht mehr greifen. Die CDU-Frau soll beim VKU im September starten. Das wären nur knapp sieben Monate Abklingzeit. Über das geplante Gehalt schweigt sich der Lobbyverband aus. Liegt im Fall der Politikerin, die 1998 schon mit 25 Jahren als junges Gesicht aus Brandenburg in den Bundestag einzog, ein Interessenskonflikt vor? Zumindest dürfte sie ein starkes Netzwerk haben. Von 2009 bis 2013 war die Chemikerin bereits Parlamentarische Umwelt-Staatssekretärin.

Für den VKU, der 1430 Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 110 Milliarden Euro (2013) vertritt, ist die Abfallwirtschaft ein sehr wichtiges Feld - die ist im Umweltministerium angesiedelt. Wie die Kesselflicker streiten VKU und private Entsorger um Zugriffsrechte auf Abfälle. In Zeiten zunehmenden Recyclings ist es ein Milliardengeschäft. Bald steht das Ringen um eine geplante bundesweit einheitliche Wertstofftonne an. Zudem buhlt der VKU um Sonderprämien für fossile Kraftwerke - viele Anlagen, gerade Gaskraftwerke, rentieren sich wegen der Zunahme an Solar- und Windstrom nicht mehr.

Zwar ist die Energiepolitik seit 2013 im Wirtschaftsministerium gebündelt, aber Reiche dürfte viele Mitarbeiter noch kennen. Zudem stellt sich generell die Frage, was die Wähler in Potsdam denken, die sie 2013 per Direktmandat erneut in den Bundestag gebracht haben? Reiche ist aber längst nicht die erste Politikerin, die es auf einen lukrativen Posten in der Wirtschaft zieht: Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ging zur Allianz Private Krankenversicherung.

Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) wechselte zur Deutschen Bahn, der ehemalige Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden (CDU), zu Daimler. Der prominenteste Seitenwechsler ist wohl Gerhard Schröder (SPD). Der Duz-Freund von Russlands Präsident Wladimir Putin heuerte nur wenige Wochen nach seiner Abwahl als Kanzler Ende 2005 beim Ostsee-Pipelineprojekt Nord Stream als Chef des Aufsichtsrats an - Mehrheitsaktionär ist der halbstaatliche russische Gazprom-Konzern.