Der Verkehrssektor in Deutschland und hierbei insbesondere der Straßengüter- und Personenverkehr muss seinen CO2 -Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 2019 nahezu halbieren – von 164 Mio. t CO2-Äquivalent auf 85 Mio. t. Aktuell verfehlt der Sektor die Ziele des Klimaschutzgesetzes jedoch, vor allem weil der Markthochlauf für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben noch am Anfang steht, bzw. nur im Stadtbusbereich wirklich an Fahrt aufgenommen hat. Gerade im Reisebusbereich rechnet die Branche nicht vor Ende des Jahrzehnts mit nennenswerter Elektrifizierung. Zum Erreichen der Klimaschutzziele werden daher laut einem Positionspapier der Kampagnenteilnehmer „alle verfügbaren Defossilisierungsoptionen“ benötigt. Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb werden daher mittelfristig weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der individuellen Mobilität, von Logistikketten und Betriebsabläufen leisten und müssen dementsprechend ebenfalls einen Beitrag zur Emissionsreduktion erbringen müssen. Derzeit werden noch immer ca. 97 Prozent des Kraftfahrzeugbestandes mit fossilen Energieträgern betrieben. Deshalb sei es jetzt dringend erforderlich, erneuerbare Kraftstoffe, die mit einem hohen Emissions-Minderungspotenzial fossilen herkömmlichen Diesel „eins zu eins“ ersetzen können, einzusetzen.

Solche erneuerbaren Kraftstoffe können bereits heute aus nachhaltigen biogenen Rest- und Abfallstoffen (HVO100, eng. für „Hydrotreated Vegetable Oils“) gewonnen werden. Die hierfür in Deutschland aktuell zulässige, niedrige Beimischung von HVO zu fossilem Diesel sei für die Erreichung der Klimaschutzziele jedoch völlig unzureichend und gehe überdies an der Marktnachfrage vorbei. „Der geltende Rechtsrahmen schränkt das Inverkehrbringen von HVO100 unverhältnismäßig und praxisfern stark ein“, so das Positionspapier. Privatwirtschaftlich betriebenen Fahrzeugflotten des Straßengüterverkehrs, Reise-, Fernbus- und Dienstwagenflotten sowie Privatpersonen bleibe die Nutzung von HVO100 – nicht nachvollziehbar – rechtlich verwehrt. Im Personenverkehr dürfen ÖPNV-Busse in bestimmten Fällen mit HVO100 betankt werden, wenn dasselbe Unternehmen jedoch seine Überland- oder Reisebusse an derselben Tankstelle mit demselben Kraftstoff betanken möchte, ist dies verboten oder nur in engen Grenzen zu Testzwecken erlaubt.

 

Die Rohstoffe für HVO bestehen zumeist aus Rest- und Abfallstoffen.                                                   Foto: Neste 

 

Forderung nach Anpassung der Gesetzesgrundlage

Marco Lietz, Manager Public Affairs bei Neste, dem weltgrößten Hersteller von erneuerbaren Kraftstoffen aus Rest- und Abfallstoffen im finnischen Espoo sagt: „Wir machen aus Frittenfett und Schlachtabfällen Diesel, damit wir die Energiewende in den Tank bekommen“. Nach seinen Worten auf der bdo Jahrestagung Ende September in Berlin sei das BMVD auch schon „vorgeprescht“, um eine Gesetzesänderung anzugehen, die bereits „im Kabinett liege“. Geschehen ist trotzdem nichts bisher. Auf der gleichen Tagung nannte es der LHO-Vorsitzender Karl Reinhard Wissmüller „einen politischen Kampf, den wir gemeinsam betreiben müssen, wenn wir mit unseren sauberen Reisebussen weiter im Markt bleiben wollen.“

Dem bdo antwortete das BMDV eher zurückhaltend bis reserviert auf eine dementsprechende Anfrage: "Selbstverständlich beobachten wir die Entwicklungen auf diesem Gebiet und prüfen fortlaufend sinnvolle Handlungsoptionen, immer unter Berücksichtigung der aktuellen Faktenlage. Im Zuge der nächsten Novellierung der 10. BImSchV, die wir voraussichtlich nach Abschluss der aktuellen Verhandlungen zur Kraftstoffqualitätsrichtlinie durchführen, werden wir die Potentiale und Risiken von paraffinischen Dieselkraftstoffen nach DIN EN 15940 erneut überprüfen. Die von Ihnen angesprochene Erweiterung des Einsatzbereiches auf Reisebusse stellt eine mögliche Option dar, die wir dabei gerne berücksichtigen."

Jetzt fordern die rund 40 Unterzeichner daher die rasche Marktöffnung für „erneuerbare paraffinische Reinkraftstoffe aus Rest- und Abfallstoffen (HVO100 gemäß DIN EN 15940) durch Aufnahme der DIN EN 15940 als Anforderung für die Inverkehrbringung in §4 der 10. BImSchV (Bundesimmissionsschutzverordnung)“, wie es etwas verklausuliert heißt. Was aber schon umgesetzt ist, ist die Anerkennung des Kraftstoffes als „sauber“ im Sinne der Clean Vehicle Directive“ (CVD) mit ihren vorgeschriebenen Quoten.


Zur Begründung seiner Forderungen nennt das Papier die Tatsache, dass HVO ein erneuerbarer paraffinischer Dieselkraftstoff mit einer über den Lebenszyklus um bis zu 90 Prozent geringeren Treibhausgasbilanz als fossiler Diesel glänzen kann ­- was in etwa der Reduktion bei der Nutzung von Biogas entspricht. HVO100 wird aus zertifizierten, nachhaltigen Rest- und Abfallstoffen, wie gebrauchten Frittierfetten, hergestellt und steht daher nicht in Konkurrenz mit Futter- und Nahrungsmitteln. Bedenken, bei der Herstellung von HVO100 würde Palmöl verwendet, seien laut den Unterzeichnern unbegründet. Seit 2023 gelten in Deutschland verschärfte Nachhaltigkeitskriterien, wodurch Biokraftstoffe aus Palmöl vom Markt ausgeschlossen werden. Vor etlichen Jahren hatte eine sogenannte „Tank oder Teller-Diskussion“ vor allem die Nutzung von Bio-Diesel massiv behindert und so fast zum Erliegen gebracht.

 

Keine Umrüstung von Fahrzeugen und Infrastruktur

Fast alle Fahrzeug- und Motorenhersteller haben die von ihnen produzierten Dieselmotoren für HVO100 freigegeben – teilweise sogar rückwirkend für Bestandsfahrzeuge – MAN und Volvo unterstützen die Kampagne sogar ganz offiziell. Für LKW und Busse liegen diese Freigaben bereits seit mehreren Jahren vor. Die Beschränkung der Freigabe von HVO in Deutschland auf die Beimischung zu konventionellem Diesel sei damit nicht mehr gerechtfertigt, so das Papier. Auch bedarf keiner technischen Anpassungen oder Umrüstungen der Fahrzeuge oder des flächendeckenden Tankstellennetzes. Selbiges gelte für die bestehende, nicht-öffentliche Tankinfrastruktur auf Logistikanlagen und Betriebshöfen. Ein wesentlicher Vorteil gegenüber den massiven Investitionen, die für Elektromobilität und Wasserstoff nötig sind.


Im Gegensatz zu Deutschland erlauben die meisten EU-Mitgliedstaaten außer Deutschland, Portugal und Polen (führend sind hier wie so oft die skandinavischen Länder und die Niederlande) und die USA das Inverkehrbringen und den Verkauf von HVO100. HVO100 sei bereits an über 600 Tankstellen in ganz Europa frei erhältlich. Es seien außerdem hinreichend große Mengen HVO marktverfügbar, um einen relevanten Beitrag auf und abseits der Straße zu leisten: Weltweit würden über sieben Mio. t HVO produziert. Bis 2025 wird die globale HVO-Produktion voraussichtlich 30 Mio. t überschreiten. Marco Lietz von Neste sagt jedoch auch ganz offen auf der Bühne: „Wir sagen nicht, dass wir überall den herkömmlichen Diesel ersetzen wollen ­- dazu reichen unsere Kapazitäten nicht aus. Es geht uns ganz gezielt zum Beispiel um den Ersatz im Reiseverkehr.“

Mittel- und langfristig bieten skalierbare und nachhaltige Rohstoffquellen weitere Mengenpotenziale. Zusätzlich ermöglicht HVO100 ähnlich wie bei synthetischen Kraftstoffen (XtL) eine sauberere Verbrennung, von der insbesondere die Emissionen älterer Motoren der Bestandsflotten profitieren können und damit ein Beitrag zu NOx- und Feinstaubreduzierung geleistet werden kann, was einen massiven Faktor zur Dekarbonisierung darstellt.

 

Das Kampagnenmotiv für die HVO Freigabe, das die 40 Unterzeichnerunternehmen nutzen.        Foto: BMDV/bdo

 

Dieser Artikel wurde am 26. Januar um 10:30 Uhr aktualisiert.