Nach mehreren Verschiebungen hat EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Bréton jetzt den Vorschlag der Kommission zu neuen EU-Gesetzgebung vorgelegt. Das Einführungsdatum wird nicht vorgezogen wie es Vorfeld gerüchteweise hieß, sondern es bleibt bei 2027 für Nutzfahrzeuge. Die Grenzwerte sollen dem Vorschlag zufolge verschärft werden, vor allem bei den ehedem gefürchteten Stickoxiden (NOx) soll es von 60 auf 40 mg runtergehen, eine deutliche Absenkung, die (Ruß-)Partikelemissionen sollen demnach um 39 Prozent gesenkt werden. Neu sind die Messung von Ammoniak (ein mögliches Produkt aus dem SCR-Katalysator) und Feinstaub, der nicht nur aus dem Auspuff, sondern von den Reifen und Bremsen kommt. Bréton sagt daher, dass es „bei dieser Gesetzgebung mehr um Partikel als um Stickoxide gehe, und diese werden uns weiterhin begleiten.“ Er nimmt dabei auf den durch die schiere Motorleistung erhöhten Reifenabrieb bei Elektrofahrzeugen Bezug. Auch die sogenannte „In-Use-Compliance“, also die Betrachtung der Grenzwerte über den gesamten Lebenszyklus, wird verschärft auf 200.000 km oder zehn Jahre bei Pkw, Nutzfahrzeuge sollen ähnlich behandelt werden. Zu guter Letzt will die Kommission der Pflichterfüllung noch eine Kür beistellen, in der mit den Labels Euro VII+, VII A oder G Fahrzeuge „prämiert“ werden, die zeitweise oder immer die Norm unterschreiten, man könnte an Hybride denken mit rein elektrischem Fahranteil. Was das alles kosten soll? Auch darauf hat Bréton eine Antwort parat, schließlich gehört zu jedem Kommissionsvorschlag eine ordentliche „Folgekostenabschätzung“. Und da spricht der Binnenmarkt-Kommissar von Kosten von 100 bis 150 Euro pro Fahrzeug, wohl auf den Pkw bezogen. Er spricht daher auch von einer „langfristigen und gleichzeitig bezahlbaren Reform, die vor allem der Luftqualität helfen soll.“ Sie sei gewissermaßen die „raison d’etre“ des Vorschlages.

Hohe Kosten pro Fahrzeug werden befürchtet

Experten sehen beim Nutzfahrzeug eher eine Marke von 2.500 bis 3.000 Euro pro Fahrzeug als erwartbare Kosten, so auch die IRU, die World Road Transport Organisation, die sogar von einem Innovationshemmnis spricht: „Die IRU ist besorgt, dass die strengen Normen des Euro-7-Vorschlags in einigen Fällen eine vollständige Überarbeitung der Fahrzeuge erforderlich machen könnten, was mit erheblichen Kosten verbunden wäre, die in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Vorteilen stehen.“ Raluca Marian, IRU-Direktorin für EU-Lobbyarbeit, sagte: "Wenn der Euro-7-Vorschlag nicht das richtige Gleichgewicht zwischen den strengen Vorschriften, den damit verbundenen Kosten und dem zusätzlichen Umweltnutzen herstellt, könnte er die Hersteller davon abhalten, neue Technologien zu entwickeln, oder die Betreiber davon abhalten, sie zu kaufen. Dies wird nicht dazu beitragen, mehr saubere Fahrzeuge auf die Straße zu bringen.“ Der ICCT, internationales Klimapanel, geht allerdings von einem Innovationsschub aus, den jede neue Norm erzeuge: "Die Euro-Normen sind seit langem die treibende Kraft für die breite Einführung von Emissionsminderungstechnologien, die ohne einen starken regulatorischen Einfluss nicht auf den Markt gebracht worden wären. Dieser Überarbeitung fehlt der Biss, um weitere Investitionen anzustoßen und das gesamte Technologiepotenzial auszuschöpfen", sagte Peter Mock, Geschäftsführer von ICCT Europe.  

Ein Sprecher von Daimler Truck schlägt uns gegenüber in die gleiche Kerbe: „Dieser Gesetzesvorschlag verpflichtet die Industrie dazu, Milliarden von Euro in neue Motoren- und Abgasnachbehandlungstechnologien zu investieren, während diese Mittel auch für emissionsfreie Technologien verwendet werden könnten, die nicht nur CO2-, sondern auch Schadstoffemissionen in Angriff nehmen. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass finanzielle Ressourcen eher für emissionsfreie Technologien aufgewendet werden sollten. Jetzt sehen wir das Risiko einer Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie, da hohe Investitionen in eine Technologie getätigt werden müssen, die insbesondere im europäischen Raum schnell an Wert verlieren werden.“ Die neuen Werte aus dem Vorschlag „nehme man zur Kenntnis“, diplomatische Umschreibung für eine weitgehende Ablehnung. „Wir bedauern, dass unsere Argumente und Bedenken im Vorschlag nicht berücksichtigt wurden. Der Beitrag von Euro VII zur Luftqualität ist deutlich geringer als die konsequente Erneuerung von Flotten auf Basis der Euro VI Technologie.“

Zweierlei Maß bei den Partikeln

Auch der ausgewiesene Busexperte und Lehrstuhlinhaber in Landshut, Professor Ralph Pütz, ehemals Technik-Mann beim VDV, sagt auf Anfrage: „Ich halte es angesichts der Tatsache, dass erstens Euro-VI-Nutzfahrzeuge bereits eine lokale Nahe-Null-Emissionscharakteristik im Realbetrieb aufweisen, und zweitens auch angesichts der aktuell und wohl länger angespannten wirtschaftlichen Lage in Europa, sowohl für obsolet als auch für unverantwortlich, eine Stufe Euro VII überhaupt einzuführen. Der „ökologische Hebel“ durch diese Stufe dürfte gegenüber der Stufe Euro VI nahezu unbedeutend sein“. Er fügt aber hinzu: „Dass zukünftig endlich auch die Partikelemissionen aus dem Bremsen- und Reifenabrieb in den Fokus genommen werden, begrüße ich allerdings. Dass aber gleichzeitig für eine Holzverbrennung geworben wird, deren Emissionen nicht nur in Bezug auf Partikel weitaus schädlicher sind, findet indes mein Unverständnis. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.“ 
  

Scharfe Kritik des VDA an der Umsetzbarkeit

Das sieht der der deutsche Automobilverband VDA fast schon naturgemäß anders. Präsidentin Hildegard Müller wettert: „Mit Blick auf den aktuellen Vorschlag wäre zudem die Entwicklung von Euro 7 sehr kostenintensiv – mit dem Ergebnis, dass entsprechende signifikante Preiserhöhungen auf Verbraucherinnen und Verbraucher zukommen. In Zeiten ohnehin ständig steigender Belastungen ist dies eine unzumutbare weitere Belastung. Die Vorgaben werden zudem dazu führen, dass eine Vielzahl von Produkt- und Antriebsvarianten generell auf den Prüfstand kommen, denn eine so herausfordernde Entwicklung wird nur angestoßen, wenn die gesetzliche Erfüllbarkeit und Marktfähigkeit absehbar ist. Aktuell ist dies vielfach nicht gegeben.“ Zur generellen Herausforderung für die Industrie sagte die VDA-Präsidentin: „Der veröffentlichte Vorschlag der EU-Kommission setzt nicht auf Ausgewogenheit und Machbarkeit, sondern auf unrealistische Extrem-Ziele. Für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sind die Grenzwertsenkungen nominell zwar geringer, allerdings ist das Timing nicht darstellbar: Die Entwicklung und Genehmigung eines entsprechenden Antriebs bei einer Vorlaufzeit von nur einem Jahr nach erwartetem Abschluss der delegierten Rechtsakte ist schlichtweg nicht realisierbar.“ Sie spielt dabei auf den langwierigen Prozess des sogenannten „Trilogs“ zwischen Kommission, EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten an, der nicht vor 2026 abgeschlossen sein dürfte.

Zwischendurch wird 2024 für den Busbereich auch noch die VECTO-Simulation für die CO2-Werte von Bussen scharfgeschaltet ­– ein weiterer schmerzhafter Punkt für die Hersteller, der in der Euro-Norm völlig außen vor bleibt. VDA-Präsidentin Müller: „Der EU-Kommission sind diese Tatsachen bewusst, sie wurden aber offenbar bewusst ignoriert. Klar ist: Wir brauchen dringend Verbesserungen, damit der Beschluss für alle sinnvoll ist.“ Tatsächlich behindert die jahrelange Hängepartie um die neuen Werte und deren mögliche Verschiebung oder „Suspendierung“ die Entwicklungsarbeiten bei den Herstellern. Daimler Buses schickt seine neue Reisebusbaureihe von Setra zum Beispiel mit der aktuellen Sechszylinder-Generation auf die Straße, ohne die gerade für den Truck verkündeten Modernisierungen. „Eine Anpassung und Homologation für den Bus würde Millionen kosten,“ heißt es hinter fast vorgehaltener Hand, und das mache bei den geringen Stückzahlen im Reisebussektor vor einer nächsten Euro-Norm einfach keinen wirtschaftlichen Sinn.

Umweltverbände sehen den Vorschlag als zu zahm an

Auf der anderen Seite des Argumentationsraumes sehen die Umweltverbände und NGO’s den Vorschlag naturgemäß deutlich kritischer als die Industrie. Anna Krajinska, Managerin "Vehicle Emissions and Air Quality" von der NGO "Transport & Environment" sagt zum Beispiel: „Dies ist der ganz eigene Dieselgate-Moment der Kommission. Das Zerreißen der Empfehlungen ihrer eigenen Expertengruppe ist ein Skandal, der verheerende Auswirkungen auf die Luftqualität in ganz Europa haben wird, insbesondere in Ost- und Südeuropa mit einem hohen Anteil an älteren und gebrauchten Fahrzeugen. Die Industrielobby hat sich vehement gegen Euro 7 gewehrt und dabei schmutzige Tricks angewandt, um die Entscheidungsträger zu beeinflussen. Jetzt hat die Kommission ihren Forderungen nachgegeben. Die Profite der Autohersteller werden über die Gesundheit von Millionen von Europäern gestellt." Laut Bréton waren es alleine im Jahr 2018 rund 70.000 vorzeitige Todesfälle in der EU, die auf das Konto von Feinstaub der Kategorien PM 2.5 und PM10 gehen.

Das Thema dürfte uns also noch ein paar Jahre begleiten mit all seinen Irrungen und Wirrungen im politischen Brüssel. Was zu wünschen wäre drückt der Sprecher von Branchenprimus Daimler salomonisch so aus: „Es liegt nun am Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten sich zu positionieren und den Gesetzesvorschlag zu finalisieren. Wir vertrauen darauf, dass letztlich eine ausgewogene Auslegung sichergestellt wird, um die Automobilindustrie auf ihrem Weg zu emissionsfreien Fahrzeugen zu unterstützen.“