Ob das nur Pkw betreffen würde oder auch Nutzfahrzeuge oder beide wie auch immer mittelbar steht in den Sternen. Allein die Nachricht, dass es eine Diskussion gibt, wirft die Frage auf, ob hinter der Meldung ein Testballon steckt. Immerhin war es kein Geringerer als Jean-Claude Juncker, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission, der darauf hinwies, dass politische Entscheidungsträger tun können, was sie wollen, wenn es keine öffentliche Kritik und keine Aufstände gibt. Wörtlich sagte Juncker in einem Interview: „Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.”
Bislang scheint in Deutschland nur von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) Kritik zu kommen. Gerade warnte Wissing die EU-Kommission davor, Millionen Dieselfahrzeuge stillzulegen. Der Deutschen Presseagentur dpa liegt nach eigenen Angaben ein Brief Wissings an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, in dem der Minister in Bezug auf das derzeitige EuGH-Verfahren Klarstellung fordert.
Geht nicht, gibt’s nicht
Dem Verfahren vor dem EuGH liegt ein sogenanntes Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Duisburg zugrunde, in dem es auch um die Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten bei Euro 5-Dieselfahrzeugen geht. Die EU verlangt, dass die Schadstoffwerte unter bestimmten Bedingungen (sogenannte NEFZ-Prüfung) eingehalten werden. Für die Genehmigung von neuen Fahrzeugtypen ab der Norm „Euro 6d temp“ gilt seit September 2017 das sogenannte RDE-Verfahren. Beim Schadstofftest werden dabei auch spezifische Bedingungen aus dem wahren Alltag mit dem Auto nachgestellt.
In dem Gerichtsverfahren vertritt die EU-Kommission laut Wissing die Auffassung, dass die Schadstoffgrenzwerte auch außerhalb der „Betriebs- und Umgebungsbedingungen“ des NEZF-Verfahrens für jede Fahrsituation zu gelten hätten, was bedeuten würde, sämtliche Grenzwerte auch bei sogenannten „Vollastfahrten“ mit Steigung einzuhalten wären – das Auto also voll beladen an seiner maximalen Leistungsgrenze bergauf fährt und dabei mehr Schadstoffe ausstößt als leer, bergab und mit Rückenwind.
Nach derzeitigem Stand der Technik sei das nicht umsetzbar, mahnt Wissing in seinem Schreiben an von der Leyen. Für die derzeit im Verkehr befindlichen Fahrzeuge wäre eine solche nachträgliche Anforderung nicht erfüllbar. Sämtliche Euro 5-Genehmigungen würden infrage gestellt. Konsequenzen für Euro-6-Fahrzeuge seien ebenfalls nicht ausgeschlossen. „Millionen von Fahrzeugen droht die Außerbetriebsetzung“, so der Minister. Allein in Deutschland wären von den rund 49 Millionen zugelassenen Pkw 4,3 Millionen Euro 5- und gegebenenfalls 3,9 Millionen Euro 6-Dieselfahrzeuge betroffen.
Wissings Lösungsvorschlag
Eine Lösung könnte laut Wissing darin bestehen, in den fraglichen Vorschriften noch vor der EuGH-Entscheidung „eine Klarstellung“ vorzunehmen – wie auch immer diese geartet wäre. Die Europäische Kommission ließ durch eine Sprecherin erklären, dass sie das laufende Verfahren beim EuGH verfolge und sich immer für Lösungen einsetzen werde, „die zu einer gesunden sauberen Luft beitragen und zugleich umsetzbar sind“. Man wolle das Vertrauen der europäischen Bürger und Unternehmen schützen.
Auch ADAC und Autoindustrie fordern Klarstellung
Der ADAC hält eine Klarstellung für absolut dringlich, um Verbraucher nicht weiter zu verunsichern, wie eine Sprecherin sagte. Die betroffenen Fahrzeuge seien ordnungsgemäß zugelassen worden. „Änderungen im Messverfahren bei der Typgenehmigung eines Kfz zu einem späteren Zeitpunkt können nach Auffassung von ADAC-Juristen nicht rückwirkend Anwendung finden.“ Eine Betriebsuntersagung sei vor diesem Hintergrund „abwegig“.
Auch die Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, forderte von der Bundesregierung und der EU-Kommission eine rasche Klarstellung über die Zulassung von älteren Dieselfahrzeugen. Nach dpa-Angaben sagte Müller gegenüber der Düsseldorfer Rheinischen Post (Freitag), die EU-Kommission müsse die Zulassung durch eine rechtliche Klarstellung absichern. „Rückwirkende Anwendungen neuer Verfahren und Maßstäbe wären ohnehin ein Verstoß gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots und das Rechtsstaatsprinzip im EU- und deutschem Verfassungsrecht.“