Fachkräftegewinnung ist ja ein Thema im Koalitionsvertrag. Welche Vorhaben stehen denn konkret auf der Agenda?
Jürgen Lenders (FDP): Bisher war demografischer Wandel immer ein sehr abstraktes Thema in der Politik und es wird uns über Jahre hinweg erhalten bleiben. Es gibt kein größeres Risiko für die deutsche Wirtschaft aus meiner Sicht als der Fachkräftebedarf, der alle Branchen betrifft. Da gibt es längst schon einen Branchenwettbewerb – wenn die Leute einmal weg sind, kommen sie nicht mehr zurück. Für alle Branchen muss der gesamte Instrumentenkasten der Fachkräftegewinnung bedient werden: Weiterqualifikation, also Aufstieg von unten nach oben. Auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen wir weiterkommen. Insgesamt müssen wir qualifizierte Einwanderung bekommen, in einem an Kanada angelehnten Chancen-Karten-System. Wir wollen dazu kommen, dass die Menschen auch dann schon eingesetzt werden können, auch wenn sie noch nicht alle Qualifikationen durchlaufen haben.
Jürgen Lenders (FDP, Mitglied des Bundestages und des Verkehrsausschusses), Foto: T. Wagner
Was beutet der Fahrermangel für die Unternehmen ganz konkret?
Yvonne Hüneburg, WBO: Das Thema ist nicht neu für uns, aber es hat sich in den letzten beiden Jahren massiv verschärft. Im ÖPNV gibt es schon ein ausgedünntes Angebot in den Abendstunden oder Wochenenden. Und in der Touristik können die teuren Busse nicht bewegt werden, und Umsätze müssen liegen gelassen werden weil Fahrer fehlen – das ist absolut dramatisch.
Jens Pawlowski, BGL: Ich denke, der enge Schulterschluss zwischen unseren Verbänden zeigt deutlich, dass der Ernst der Lage erkannt wurde, und die Not wirklich groß ist. Das Thema hat schon einen langen Bart! Uns fehlen 60.000 bis 80.000 Fahrer, jedes Jahr kommen ca. 15.000 Fahrer dazu. Viele Aufträge können nicht mehr übernommen werden, und viele Lieferketten daher nicht mehr zuverlässig gehalten werden. Wenn wir diesen Trend nicht aufhalten, haben wir bald englische Verhältnisse.
Jens Pawlowski, Leiter der Hauptstadtrepräsentanz des
Bundesverbands Güterverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), Foto: T. Wagner
Welche Probleme gibt es aktuell bei den Unternehmen, Mitarbeiter zu gewinnen?
Yvonne Hüneburg (WBO): Das Hauptproblem ist aus meiner Sicht, dass die Neuordnung der Berufskraftfahrerqualifikation im Jahr 2006 falsch eingespurt wurde, die Weichen sind damals völlig falsch gestellt worden. Man wollte das Berufsbild aufwerten und hat deswegen die Berufskraftfahrerqualifikation einfach zusätzlich über den Führerschein gestülpt. Aus eins mach zwei! Das hat zu einer massiven Verteuerung und einer deutlichen zeitlichen Verlängerung geführt. Wenn sie heute jemanden ohne Führerschein einstellen, dann können sie ihn frühestens in einem halben Jahr einsetzen, aber sie bezahlen ihn natürlich schon. Wir müssen dahin kommen, dass wir das Thema komplett neu einsteuern. Kleine kosmetische Eingriffe durch die Politik helfen uns dabei nicht weiter. Wir haben durch die richtige Fachkräfteanwerbung aus dem Ausland schon sowas wie ein modernes Nomadentum, da viele regionale Unternehmer sogar schon Immobilien kaufen oder anmieten, um ortsfremde Fahrer unterzubringen.
Wir müssen die Klaviatur der Fachkräfteanwerbung aus dem Ausland natürlich komplett bespielen. Wir bilden aber gerade Leute aus, die das eigentlich gar nicht machen wollen, vor allem Umsteiger oder Quereinsteiger, bei allen Erfolgsquoten bei den Prüfungen. Österreich hat das besser gemacht, dort hat man gezeigt, wie EU-Recht schlank und einfach umgesetzt werden kann, und die fahren trotzdem vernünftig dort. Wenn wir das ähnlich machen würden, dann kostet der Busschein vielleicht 3.500 Euro, und dann hätten wir das Problem vom Tisch.
Yvonne Hüneburg, Stellvertretende Geschäftsführerin des WBO, Foto: T. Wagner
Wie viele Menschen machen eine Berufskraftfahrerprüfung und gibt es da Verbesserungsbedarf?
Dirk Binding (DIHK): Die Situation ist seit Jahren in der Gesamtwirtschaft dramatisch, wir thematisieren das seit langem! Dabei tut sich wirklich etwas: 2009/2010 haben noch rund 10.000 Menschen die beschleunigte Berufskraftfahrerqualifikation abgelegt, heute sind es rund 20.000. Die Zahl geht also hoch, auch wenn die ausgebildeten Menschen dann nicht in den Unternehmen ankommen. Wir haben uns auch gefragt, ob die Prüfungen verständlich genug ist und haben dies überprüfen lassen. Am Ende dieser Optimierungen haben wir jetzt Bestehensquoten von 92 bis 94 Prozent, das ist eine gute Zahl. Ausbildung und Qualifizierung ist aber nur eine Stellschraube von vielen. Es geht auch um sowas wie Wertschätzung oder auch um die Infrastruktur und die Arbeitsbedingungen. Aber auch um die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen. Eins ist klar, wenn die Waren nicht mehr von A nach B kommen, dann war es das mit unserem Wirtschaftswachstum. Natürlich wäre eine Reduzierung der Prüfumfänge in Abstimmung mit der Branche möglich, auch über eine Zusammenlegung der Prüfungen kann man sprechen. Immerhin haben wir Dopplungen bei den Fragen, da sind wir bereit, den Katalog zu überarbeiten und zu straffen. Staatliche Förderungen zur Qualifikation kommen leider oft den Falschen zugute. Eine reine Reduzierung auf 40 Stunden Unterricht wie es manche sehen, ist ja auch nicht unumstritten in der Branche.
Dirk Binding, Bereichsleiter Dienstleistungen, Infrastruktur und Regionalpolitik
des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Foto: T. Wagner
Was könnte denn bei den Führerscheinprüfungen getan werden, wenn man zum Beispiel ins Ausland schaut?
Richard Goebelt, TÜV: Wir haben uns den IHK-Katalog angeschaut und natürlich gibt es da Dopplungen, zumindest im Bereich von rund 25 Prozent. Hier sollte man sich kurzfristig gemeinsam das Thema konkret anschauen und Änderungen, die mit europäischem Recht möglich sind, anschieben. Die Senkung des Mindestalters auf 21 Jahre, die der bdo ins Spiel gebracht hat, haben wir untersucht und sind dabei auf keine Bedenken gestoßen.
Die Bestehensquoten sind absolut vorbildlich und rangieren bei fast 90 Prozent, sowohl was die Klassen C als auch D angeht. Was den Bestand der Fahrerlaubnisse angeht, so ist die der Klasse C in den letzten 10 Jahren um rund 25 Prozent angestiegen, bei der Klasse D stagniert er pro Jahr ca. 240.000. Verbessern könnte man aus unserer Sicht den Prozess der Fahrerlaubniserlangung, die Aushändigung und auch Verlängerung. Hier kommt es bei den Behörden immer wieder zu deutlichen Verzögerungen. Hier könnte Digitalisierung sicher helfen.
Richard Goebelt, Director Automotive & Mobility TÜV Verband, Foto: T. Wagner
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Die Diskussion moderierte Kai Neumann, Head of Policy, Sustainability and EU-Affairs des bdo,
Lesen Sie eine längere Fassung in der Oktober-Ausgabe des Bus Blickpunkts.