Mit seinem Konzept unterscheidet sich das Stuttgarter Start-up allerdings von Flixbus & Co. Die Gründer von Roadjet, Muhammed Simsek (35) und Mujib Bazhwal (36), gehen mit ihrem Konzept einen Sonderweg: Mit einer eigenen Premium-Busflotte und eigenen Fahrern wollen die Jungunternehmer diesen Markt auf Premiumniveau heben. Mittel- bis langfristig betrachtet soll aus Roadjet eine Mobilitätsplattform mit verschiedenen Verkehrsmitteln werden. Der Fernbus bildet dabei einen Baustein.


Die Busbranche ist für die beiden Roadjet-Gründer Neuland. Muhammed Simsek ist Karosseriebaumeister und stammt aus einer Unternehmerfamilie. Die Idee zur Gründung eines Premium-Fernbusunternehmens treibt ihn schon seit Jahren um. Mujib Bazhwal war zuletzt als Innovationsmanager in der Automobilindustrie tätig. Die beiden lernten sich durch einen gemeinsamen Freund kennen. Simsek war damals auf der Suche nach einem Co-Founder und Bazhwal reizte, nachdem er in den vergangenen Jahren verschiedene Corporate Start-ups bei der Skalierung unterstützt hatte, ein eigenes Start-up aufzubauen. Da kam Roadjet wie gerufen.

Durch ihre früheren Jobs waren beide oft und viel geschäftlich unterwegs. Dabei habe ihnen aber eine vollwertige Alternative zur Bahn und dem Flugzeug gefehlt. „Geflogen bin ich viel, aber mich hat es gestört, dass ich unterwegs nicht richtig arbeiten konnte. Er habe zu viel Zeit unterwegs verloren, die er hätte sinnvoller nutzen können. Mit dem Roadjet-Konzept wollen Simsek und Bazhwal diese Lücke schließen und eine komfortable, zuverlässige und nachhaltige Alternative zum bestehenden Angebot im Fernreisemarkt anbieten. Komfortables Reisen und Arbeiten miteinander verknüpfen – das sei ihr Bestreben.

Bei der Entwicklung des Roadjet-Konzepts haben sich Simsek und Bazhwal an der ersten Klasse der Bahn bzw. den Business-Class-Flügen orientiert. „Unser Ziel ist es, den Komfortlevel der Bahn sowie des innereuropäischen Flugreiseangebots zu übertreffen und dabei das Preisniveau deutlich zu unterbieten“, erklären die Gründer. Dafür haben sie eigene Busse nach ihren Vorstellungen entwickeln lassen.

Einen Bushersteller zu finden, gestaltete sich anfangs sehr schwierig. „Die Herausforderung bestand darin, einen verlässlichen Partner zu finden, mit dem wir unser Konzept entwickeln konnten“, erklärt Simsek. Fündig wurden Simsek und Bazhwal letztendlich beim spanischen Bus-
hersteller Ayats, der für Roadjet zwei Doppeldecker auf Basis eines Scania-Chassis entwickelte. Der 15-Meter-Reisedoppeldecker ist eigentlich ausgelegt auf 96 Sitzplätze, bestückt wurde er aber mit 44 Massagesesseln mit Sitzheizung in 2+1-Bestuhlung.

Viel Platz auf zwei Ebenen

Bei 44 Sitzplätzen, verteilt auf zwei Ebenen, ist damit auch die Diskussion um Abstand im Bus hinfällig. An Bord gibt es außerdem Highspeed-Internet sowie einen Wasch- und Umkleideraum. Zur Ausstattung gehört zudem ein umfangreiches Entertainment-Programm, „ähnlich wie man es von Langstreckenflügen gewohnt ist“, beschreibt Bazhwal. Im Bus befindet sich neben einem Snackautomaten auch ein Kaffeeautomat. Ausgerüstet sind die Busse außerdem mit Alkoholtestern zur Freischaltung der Zündung.
Das Start-up hat darüber hinaus ein spezielles Corona-Sicherheits- und Hygienekonzept entwickelt: Beim Einstieg wird anhand eines intelligenten Kamerasystems, das mit einem Körpertemperatursensor ausgestattet ist, Fieber gemessen. Liegt die Temperatur der Fahrgäste z. B. über 37 Grad, erfolgt eine Meldung. Auch die Maskenkontrolle übernimmt ein Kamerasystem im Bus. Masken werden von Roadjet auch beim Einstieg in den Bus ausgegeben. Zur Desinfektion in der Toilette und im Waschraum kommt UV-Licht-Technologie zum Einsatz – mehrmals täglich. Um optimale Desinfektion im Fahrzeug zu gewährleisten, wird zusätzlich ein Desinfektionsgerät eingesetzt, welches mit Hilfe eines Ozon Gases, den Innenraum sowie die Belüftungsanlage von Viren, Bakterien, Pilzen und weiteren Keimen befreit.

Roadjet-Modell als Franchisesystem

Finanziert wird das Start-up übrigens aus einem Fonds des Landes Baden-Württemberg und dem Geld von Investoren. Den Betrieb aufgenommen hat Roadjet am 10. August mit der Strecke Stuttgart-Berlin. Das Netz soll aber schon bald ausgebaut werden. So sollen im kommenden Jahr München-Berlin, München-Hamburg, Stuttgart-Hamburg, Düsseldorf-Berlin folgen. „Ein besonderer Vorteil unseres Angebots liegt darin, dass wir Nachtfahrten anbieten, sodass vor allem Vielreisende ihre Zeit noch effizienter nutzen können“, betont Simsek. „Uns werden auch aus dem Ausland ganz viele Strecken herangetragen“, verrät Bazhwal. Das Roadjet-Modell wollen die Gründer bald als Franchisesystem im Ausland anbieten. Gespräche mit ausländischen Unternehmen seien aktuell im Gange. Entsprechend sei eine Zusammenarbeit mit deutschen Busunternehmen auch nur unter Franchisegesichtspunkten denkbar.

Die Corona Pandemie habe auch Roadjet hart getroffen, berichten Simsek und Bazhwal, dennoch ziehen sie Positives aus der Krise. Aufgrund des Lockdowns, von dem Spanien sehr früh schon betroffen war, konnten die beiden Doppeldecker nicht zeitig fertiggestellt werden. Die Busse werden in Spanien gebaut und das Produktionswerk musste mehrere Wochen schließen. „Wir konnten so zwar unsere Markteinführung nicht wie geplant umsetzen, jedoch hat sich das auch als Glück im Unglück herausgestellt. Dadurch, dass wir mit unserem Service noch nicht gestartet waren, hatten wir deutlich geringere operative Kosten als ursprünglich geplant“, erläutern die beiden Roadjet-Gründer. Man sehe in der aktuellen Situation eine Chance für sich. Wir sind zu einem Zeitpunkt auf den Markt gekommen, in dem alle anderen Player sich ebenfalls neu ausrichten müssen“, so Simsek und Bazhwal.

„Wir sind fest davon überzeugt, dass die Menschen bereit sind, für mehr Komfort auch mehr zu bezahlen und sie Alternativen zu den aktuellen Angeboten auf dem Markt suchen“, ist Bazhwal zuversichtlich. Das Feedback, das das Start-up seit Marktstart erfahre, sei überwältigend. Ihr Konzept werde gut angenommen und gelobt. „Wir erhalten sehr viele Bewerbungen von Busfahrern und Anfragen von Bundesligavereinen, die mit uns Kooperationen eingehen möchte, weil sie unser Konzept toll finden“, so Bazhwal. Auch das Interesse der OEMs an einer Zusammenarbeit mit Roadjet wachse, deutet Bazhwal an und freut sich: „Es öffnen sich gerade sehr viele Möglichkeiten für uns.“ Askin Bulut