Aufs „Altenteil“ wollen sich die Eheleute dennoch nicht ganz zurückziehen „Die Entscheidung, aufzuhören, war richtig“, sagen Elisabeth und Jürgen Wietis, „aber wenn uns jemand sagt, dass er uns den Ruhestand gönnt, dann wissen wir nicht so richtig, was wir damit anfangen sollen – die Arbeit hat uns all die Jahre solchen Spaß gemacht.“ Der Abschied fällt den beiden Mitt-Siebzigern schwer.
Elisabeth Wieits hat Wietis-Reisen praktisch geheiratet, nachdem sie ihren Mann Jürgen Wietis auf einer Bus-Tour kennenlernte. „Ich saß ganz hinten in der letzten Reihe, er als Fahrer am Steuer – und dann führte eins zum anderen.“ Selbstständige Unternehmerin war sie schon, bevor sie Jürgen Wietis heiratete – zwar der Busbranche fremd, aber immerhin. Sie hat die Reiseleitung bei Wietis-Reisen erfunden, es immer genossen, die Mitreisenden zu verwöhnen, Informationen zu geben, für die Kunden unterwegs zu sein. „Wenn zum Beruf gehört, Reisen zu konzipieren, reist man privat auch ganz anders“, sagt sie. „Egal, wo man ist, man schaut und testet und bastelt im Hinterkopf immer an irgendeinem Angebot. Es wird seltsam werden, das nicht mehr zu tun. Manchmal frage ich mich, ob ich das überhaupt kann.“


Ihre Reisebusse haben Wietis‘ bereits abgegeben – einer steht künftig dennoch „um die Ecke“, bei einem nahe gelegenen Unternehmen, wenn der Ruhestand also gar zu ruhig werden sollte, ließe sich leicht Abhilfe schaffen. Die Stammkundschaft wird’s freuen. Die „Abschieds-Tour“, die vom 23. bis 28. Juni nach Usedom führt, war ausgebucht, noch bevor sie hätte beworben werden können. Welches in all den Jahren die schönste Reise von allen war? „Die, die wir letztes Jahr nach Skandinavien unternommen haben“, sagt Elisabeth Wietis ohne Zögern. Es war die Reise, die Jürgen Wietis selber immer machen wollte, tatsächlich hatte er sie in seiner gesamten 48 Jahre währenden Busfahrerkarriere immer im Hinterkopf. „Wir haben uns diese Reise dann einfach gegönnt und sind mit 40 Reisegästen losgefahren“ erzählt er. „Es war phantastisch. Zwei Wochen lang.“


Ganz ursprünglich standen die Zeichen bei Wietis dennoch auf etwas ganz anderem als dem Reisen. Den Grundstein hat Jürgen Wietis‘ Urgroßvater gelegt. Mit einem Pferd als „Wechselreiter“: Er fungierte als Kurier für die kommerziellen Orderpapiere. Heute entspräche das einem Geldtransporteur. Jürgen Wietis‘ Großvater übernahm das Geschäft 1924 und tauschte das Pferd gegen das Automobil. Mit kleinen Lkw konnten auch Waren und Lagergüter befördert werden. Sogar ein Leichenwagen befand sich im Fuhrpark. An den Wochenenden wurde den Lkw der Aufbau abgenommen und durch einen Kutschenaufbau ersetzt. Das war der Beginn des Ausflugsbetriebs. Den ersten „richtigen“ Reisebus kaufte die Familie 1936: einen Mercedes. Mit diesem gingen sie ihre ersten Profischritte in Sachen Reisegeschäft, boten Tagesfahrten und Ausflüge an den Rhein, zum Altenberger Dom, nach Köln und Königswinter, ins Sauerland und zu allerlei weiteren Zielen in der Umgebung an.


Eine einzigartige Gemeinschaft auf Zeit begleiten


Im zweiten Weltkrieg wurde der Bus dann „Soldat“ und eingezogen – standesgemäß erstattungsfrei und wie es sich im Krieg „gehört“, ohne, dass er zurückgekommen wäre. Nach dem Krieg ging es mit dem zweiten „richtigen“ Bus erst 1947 weiter. Da stießen Wietis‘ auf ein vierrädriges, italienisches „Findelkind“, einen Fiat, der am Straßenrand liegengeblieben und vergessen oder aufgegeben worden war. Es hatte das Steuer rechts, nicht links. Wietis‘ holten es trotzdem ab, päppelten es werkstattmäßig auf und knüpften ans Reisegeschäft an. Insgesamt blieben sie dennoch den Marken Mercedes Benz und Setra treu, wuchsen technisch mit Möglichkeiten und Anspruch und erweiterten ihren Tätigkeitsbereich auch auf den ÖPNV. Bis zu acht Linienbusse betrieb das Unternehmen. Jedes einzelne Familienmitglied hielt Einzug in die Firma. Irgendwann auch Elisabeth Wietis.


Fernreisen werden sie und ihr Mann im Unruhestand entdecken, haben sie sich vorgenommen. „Dafür war nie die Zeit, weil immer andere Reisen gemacht werden wollten.“ Ohne flankierende Reisegruppe und den entsprechenden Aufmerksamkeitsfokus versprechen diese Fernreisen, über die fernen Destinationen hinaus ganz eigene Abenteuer zu werden. „Wenn man mit Gästen bzw. Kunden reist, ist man immer zu 100 Prozent bei diesen Menschen“, so Elisabeth Wietis. „Ich habe das geliebt, und ich denke, dass das unsere Art bei Wietis-Reisen zu reisen, maßgeblich geprägt hat. Für mich ging es beim Reisen nie nur darum, dass die Teilnehmer etwas zu sehen bekommen, das versteht sich ja eigentlich von selbst. Für mich war wichtig, den Gästen zusätzlich dieses Gruppenerlebnis zu ermöglichen und die Bildung einer ganz besonderen, einzigartigen Gemeinschaft auf Zeit zu begleiten.“


Sie hofft, dass die jüngere, ins Reisegeschäft nachwachsende Generation ein Auge darauf behält. „Auf einer Reise mit dem Bus sitzen sprichwörtlich Hunde und Katzen nebeneinander“, meint sie. „Man braucht viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl für gruppendynamische Prozesse, um aus Menschen, die sich grundsätzlich so fremd sind, eine ‚Reisefamilie‘ zu formen, in der sich jeder wohl und zugehörig fühlt. Aus meiner Sicht steht und fällt damit der eigentliche Erfolg einer Reise.“


Man reist nur mit dem Herzen gut

Das lässt sich beinahe im Sinne eines Vermächtnisses verstehen, gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung und Isolation, letzteres vor allem die älteren Generationen betreffend. Menschen reisen – insbesondere mit dem Bus – um mit anderen Menschen zu sein, Gleichgesinnten zu begegnen, Interessen, Gedanken und Erlebnisse zu teilen. Bei Wietis-Reisen ist das ein Markenzeichen gewesen. Und vielleicht inspiriert es die „Erben“ in der Branche insgesamt, in Sachen Reiseveranstaltung bei allem technischen Fortschritt und allem Bemühen um das „besondere Etwas“ den Fokus vermehrt auf das Wie einer Reise zu
legen. Zu wünschen wäre es: den Betrieben und ihren Kunden gleichermaßen. Denn wie Elisabeth Wietis in Anlehnung an Antoine de Saint-Exupéry sagen würde: Man reist nur mit dem Herzen gut.


Judith Böhnke