Das Münchner Start-up Timeride (eigenschreibweise TimeRide) leistet in diesem Bereich mit seinem einzigartigen Konzept für das „Museum der Zukunft“ Pionierarbeit in Deutschland, indem es neue Technologien mit historischen Inhalten verbindet und so einen völlig neuen Zugang zum Thema Geschichte schafft.
Hinter der Timeride GmbH steckt Jonas Rothe. Der gebürtige Dresdner hat das Unternehmen 2016 in München gegründet, in der Stadt, in der er Kultur- und Musikmanagement studierte. Während seines Studiums beschäftigte sich der heute 32-Jährige mit Konzepten für das Museum der Zukunft und setzte sich schließlich in seiner Masterarbeit intensiv damit auseinander. Nach dem Studium war er als Senior Consultant und Head of Business Development bei Actori tätig, einer Beratungs- und Vermarktungsfirma von Institutionen und Unternehmen in den Bereichen Kultur, Entertainment und Bildung. Dabei habe er viele „spannende Kultur- und Unterhaltungsmodelle sowie interessante Persönlichkeiten“ kennengelernt. „Als ich dann 2014 zum ersten Mal eine Virtual-Reality-Brille aufhatte, hat es ‚Klick‘ gemacht“, erinnert er sich. „Es hat einfach alles zusammengepasst“, so Rothe weiter. „Die Virtual-Reality-Technologie gibt uns die Möglichkeit, zumindest virtuell die Illusion einer echten Zeitreise zu schaffen und in eine andere Lebenswelt einzutauchen“, schwärmt er von der Technik. Und so war die Idee von Timeride geboren.
Das Unternehmen entwickelt, veranstaltet und betreibt lokalhistorische, touristische Attraktionen im Bereich der Virtual Reality (VR). Mittels VR-Brillen und haptischen Elementen, wie etwa Wind und Bewegung, werden die Besucher auf eine virtuelle Zeitreise in die einstigen Lebenswelten europäischer Städte geschickt und somit in das Leben und Treiben der damaligen Zeit. „Dabei ist das Erlebnis so immersiv, dass unsere Besucher das Gefühl haben, Teil dieser Zeit zu sein und komplett in die Lebenswelten einzutauchen“, beschreibt Rothe das Erlebnis. „Virtuelle Zeitreisen in Kombination mit historisch nachempfundenen Vehikeln, haptischen Elementen sowie einem begleitenden Ausstellungskonzept – das ist bislang weltweit einmalig“, sagt er stolz.
Auf die erste Zeitreise schickte das mittlerweile 60-köpfige Timeride-Team (Tendenz steigend) 2017 die Kölner. Hier entstand die erste VR-Fahrt – eine virtuelle Erlebnis-Tour durch das alte „Cöln“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In einer originalgetreuen Straßenbahn beginnt die Fahrt für die Besucher – Fahrtwind, Holpern der Bahn und Straßengeräusche inklusive. Bis zu 30 Personen finden im Inneren der Straßenbahn Platz. Mit Aufsetzen der VR-Brille findet sich der Fahrgast in der alten Bahn direkt hinter einem kölsch sprechenden Fahrer wieder. Die 360-Grad-Reise geht in das wilhelminische Köln kurz nach der Jahrhundertwende. Für die virtuelle Straßenbahnfahrt ins Köln von vor hundert Jahren wurden 600 Häuser der Altstadt nach geschichtlichen Quellen rekonstruiert. 3.000 animierte Figuren füllen die historische Szenerie mit Leben und erzählen kleine Alltagsgeschichten von damals. „Köln ist eine historisch äußerst spannende Stadt und die Kölner haben eine sehr enge Verbindung zu ihrer Domstadt sowie deren Historie. Das beides war ausschlaggebend, warum wir uns für Köln als ersten Standort entschieden haben“, verrät Rothe.
Die zweite deutsche Timeride-Location wurde Ende 2018 in Dresden eröffnet. München und Berlin stehen bereits in den Startlöchern. „Wir haben uns für beide Attraktionen gänzlich neue Konzepte überlegt. In München fliegen die Besucher durch 5.000 Jahre bayerische Geschichte und in Berlin erleben sie die geteilte Stadt und den Kontrast von Ost und West hautnah“, freut sich Rothe über die neuen Attraktionen. Eine rasante Entwicklung. Wie lange braucht man eigentlich für so ein Projekt? Der junge Geschäftsführer findet dafür interessante Worte: „Die Entwicklung einer neuen Attraktion dauert etwa so lange wie eine Schwangerschaft.“ An Köln und Dresden habe man jeweils knapp neun Monate gebaut und programmiert. Viel Zeit sei dabei in die Recherche geflossen. „Die Zeit in Köln um 1910 ist sehr gut dokumentiert und so konnte jedes Haus, jede Szene am Computer rekonstruiert werden“, so Rothe. In Dresden hingegen sei es nicht ganz so einfach gewesen: „Hier reisen wir ins Jahr 1719, das nicht ganz so gut dokumentiert ist. Umso wichtiger war es, gründlich zu recherchieren. Unsere Entwickler haben dann mit viel Liebe zum Detail eine vollständige virtuelle Welt erschaffen“, resümiert er.
Das Timeride-Konzept werde positiv aufgenommen, was sich auch in den Besucherzahlen niederschlägt. In rund 18 Monaten gingen laut Rothe über 200.000 Besucher in Köln und Dresden auf Zeitreise. Besonders freut sich Rothe über den Besuchermix: „Zu uns kommen Einheimische und Touristen, Jung und Alt, Gruppen buchen im Voraus und andere Besucher kommen ganz spontan.“ Den Gruppenbereich möchte das Unternehmen weiter ausbauen.
Virtual Reality wird auch noch in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle für das Unternehmen spielen, „da es die beste Technologie für unser Konzept bietet“, ist der Gründer überzeugt. Aber er beobachte auch andere Technologien und prüfe diese auf Einsatzmöglichkeiten. In Dresden beispielsweise wird bereits Augmented Reality eingesetzt. Die Besucher können mit dieser Technik in „magischen Spiegeln barocke Kleidung anprobieren.“ Das Thema Zeitreisen biete so viele Möglichkeiten und „wir haben noch so viele Ideen“, macht Jonas Rothe neugierig auf die sich in der Planung befindlichen Projekte. Askin Bulut