„Ich dachte: Warum die Opening-Idee nicht ein bisschen adaptieren und für Fahrrad-Fans neu auflegen?“, erzählt der 65-jährige Hannes Staggl, der mit dem Hotel Hirschen seit über 40 Jahren eines der bekanntesten Gruppenhotels im österreichischen Tirol betreibt. Staggl besitzt dabei nicht nur selber ein Faible fürs Fahrradfahren. Er hat auch ein Herz für Menschen, die gerne gemeinsam Radreisen unternehmen. Als langjähriges RDA-Mitglied weiß er außerdem um den Boom, den die sogenannten Aktiv-Reisen seit einiger Zeit erleben, speziell solche, die in Sachen „aktiv sein“ aufs Fahrrad setzen. Schon vor rund zwölf Jahren hat Staggl das Hotel Hirschen mit seinen 210 Betten für Radreisegruppen fit gemacht. Staggls eigene Radfreunde treffen sich dort regelmäßig zum Rad-Stammtisch. Dass auf solchem Boden mitunter im besten Sinne verrückte
Ideen sprießen, bleibt da nicht aus.
Radeln, das aus dem Rahmen fällt
„Ich wollte eine Reise anbieten, die außergewöhnlich ist, die aus dem Rahmen des Bekannten herausfällt“, sagt Staggl. „Eine Reise mit Rad, aber auch mit einem Rahmenprogramm, das sich an die bekannten Ski-Openings anlehnt. Eine Radreise mit ‚Après-Radl‘ sozusagen. Außerdem wollte ich, dass möglichst der Unternehmer selber mitfährt. Ich habe die Reise als ‚Rad-Opening‘ ausgeschrieben, um die Vorstellungen und Erwartungen auf die Parallelen zu den Ski-Openings auszurichten. Es dauerte keinen halben Tag, und das Event war ausgebucht: Fünf Unternehmen meldeten sich direkt an, eines musste letztlich zwar leider absagen, aber die anderen kamen – zwei davon mit dem Unternehmer.“
Vier Tage lang erkundeten die Gruppen radelnd den Innradweg, das Ötztal und die Gegend von St. Anton bis Imst. Ein Bergsturz hat dort vor rund 3.000 Jahren eine sogenannte Tomalandschaft geschaffen, eine „hügelige Anhäufung aus Gesteinsschutt“. 240 Millionen Kubikmeter Schutt sind vom Berg Tschirgant heruntergekommen. Das 13 Quadratkilometer große Ablagerungsgebiet ist als „Tschirgant-Bergsturz“ bekannt und als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Der Tschirgant selber ist mit seinen 2.370 Metern Höhe der Hauptgipfel des Tiroler Tschirgant-Massivs. Es liegt zwischen dem Gurgltal im Norden und dem Oberinntal im Süden.
Fit genug reicht völlig aus
„Tirol ist insgesamt ein Paradies für Radfahrer, es gibt ein schier endloses Netz gut ausgebauter Radwege“, so Hannes Staggl. „Die Teilnehmer des Rad-Openings konnten die gesamte Tour auf Radwegen zurücklegen, ohne sich auch nur für einen Meter in den Verkehr auf einer Autostraße wagen zu müssen.“ Der älteste Teilnehmer war 85 Jahre alt, die jüngsten nicht deutlich unter 60. „Jeder Tag endete mit gemeinsamem Essen, Musik und Tanz, alles in lockerer und geselliger Atmosphäre, genau wie beim Après-Ski – hier mit Fassbieranstich, dort mit Blasmusik auf dem Bauernhof oder einem zünftigen Tiroler Abend.“ Für das leibliche Wohl unterwegs sorgten „Ladestationen“ kulinarischer Art. An den ersten drei Tagen radelten die einzelnen Gruppen unabhängig voneinander, erst zum Abend trafen sie beim „Après-Radl“ wieder zusammen. Geführt wurde jede Gruppe von einem eigenen Guide. „Alle Guides sind Freunde von mir und Mitglieder unseres Rad-Stammtisches“, sagt Hannes Staggl. „Am letzten Tag fuhren dann alle 125 Teilnehmer und auch alle 20 Rad-Stammtischler gemeinsam rund um den Tschirgant – eine Strecke von 65 Kilometern.“ Die Radkolonne der Teilnehmer erstreckte sich über insgesamt drei Kilometer. Die 700 Höhenmeter, die die Truppe auf der Strecke zu bewältigen hatte, schafften alle Teilnehmer spielend. Vorgesorgt hatte Hannes Staggl dennoch. „Ich hatte die Tour ausdrücklich nur für Teilnehmer mit E-Bike ausgeschrieben und für den Fall der Fälle die Polizei von dem Rad-Opening in Kenntnis gesetzt und auch das Rote Kreuz informiert. Auch eine ‚fliegende Werkstatt‘ stand zur Verfügung. Glücklicherweise haben wir deren Unterstützung nicht gebraucht.“ Ein Ladestopp für die Fahrräder war ebenfalls nicht notwendig. „Das ist das Tolle an den modernen E-Bikes: Sie sind technisch mittlerweile auf einem so hohen Niveau, dass sie auch längere Strecken ohne Laden schaffen und sich auch in Punkto Beanspruchung als sehr robust und belastbar erweisen.“
Rad-Opening II ist schon gesetzt
Die zweite Auflage des Rad-Openings ist bereits geplant: für Mai 2026. Bis zu fünf Gruppen mit insgesamt 145 Teilnehmern können dabei sein. Geradelt wird wieder – mit dem Hotel Hirschen als Basislager – vier Tage lang: Nach Innsbruck, nach Sölden und nach St. Anton, durchs Verwalltal an der Rosana entlang, nach Landeck und natürlich um den Tschirgant herum. Ab dem frühen Abend ist an jedem Radl-Tag wieder „Après-Radl“ angesagt. Das Rahmenprogramm winkt unter anderem mit einer Einkehr im Tante-Emma-Laden, dem Fassbieranstich mit elfköpfiger Blaskapelle, einem traditionell feucht-fröhlichen Tiroler Abend, einem Festnachmittag bei hausgemachten Brathähnchen, Stiegl Bier und Kaiserschmarren sowie Käsebuffet und jeder Menge Musik. Als sportliche Herausforderung plant Hannes Staggl auch das nächste Rad-Opening absichtlich nicht. Es geht ums Genussradfahren. Ein E-Bike ist Pflicht. Außer diesem braucht es bequeme Kleidung, gute Schuhe, Helm und Regenschutz. Für alles andere sorgt Staggl. Bei den Busunternehmern, die am Rad-Opening 2025 teilgenommen haben, hat der Wirt mit seiner Idee voll ins Schwarze getroffen. „‘Hannes, du bist verrückt‘, haben sie am Ende gesagt“, erinnert er sich, „und hinzugesetzt haben sie: ‚Es war grandios, und wir kommen nächstes Jahr gern wieder‘. Ich freue mich darauf!“ Radreisen sind und bleiben eben Hannes Staggls Steckenpferd – und kann er einmal nicht mitfahren, tritt Tochter Katharina in die Pedale. Judith Böhnke