Viele sind auf diesem sich elementar verändernden Markt immer noch zögerlich unterwegs, verharren in gewohnten Denkmustern und gehen den notwendigen Wandel noch nicht aktiv an. Dabei gibt es „eine Menge, das kleine- und mittelständische Unternehmen tun können, ohne gleich Millionen auf den Tisch zu legen“, weiß Guido Baltes, renommierter Wissenschaftler und Direktor des IST Innovationsinstituts an der Hochschule Konstanz.

Man müsse selbst die Veränderungen treiben und das ist aus seiner Sicht die größte Herausforderung. „Wenn man die Mobilitätsbranche in Deutschland anschaut, kann man den Eindruck gewinnen, dass eher das Bestehende verteidigt und weiter gestützt wird“, kritisiert Baltes. „Solange man all seine Kraft dafür verwendet, das bestehende Modell festzuhalten und zu verteidigen, hat man keinerlei Kraft, die Zukunft zu gestalten“, mahnt Guido Baltes. Er rät Unternehmern einen Teil ihrer Kraft bewusst einzusetzen, um die Zukunft mitzugestalten. Dafür braucht es nicht unbedingt große Schritte. Es hilft schon, mit kleinen Projekten zu beginnen. Das kann eine kleine Idee sein, die von einem Mitarbeiter entwickelt und anschließend im Unternehmen umgesetzt wird. Digitale Transformation bedeute, das, was man gut kann, mithilfe der digitalen Möglichkeiten in neue Geschäftsfelder/Plattformen zu verwandeln.

„Wir müssen die Märkte von morgen selbst gestalten, sonst werden wir von den Marktmechanismen, die andere auf den Markt bringen, überrollt“, verdeutlicht er. Was das konkret heißt, lässt sich in der Busbranche sehr gut an Flixbus und seinem Geschäftsmodell veranschaulichen. „Das ist die Logik der Plattformökonomie“, so Baltes. „Deshalb lautet mein Credo: „Bildet selbst die Plattform!“ Anderenfalls „lässt man sich von Branchenfremden reindiktieren“, führt Baltes vor Augen und ergänzt: „Und das kann keine Position sein, die unternehmerisch Spaß macht.“
Guido Baltes ist Experte für strategische Transformation und Innovation. Er unterstützt vornehmlich mittelständische Industrieunternehmen in der Umsetzung innovationsorientierter Wachstumsstrategien und ihrer digitalen Transformation. Mittelständisch geprägte Familienunternehmen stehen dabei im Fokus. Vor diesem Hintergrund pflegt Baltes enge Kontakte zu den Industrie- und Handelskammern. Sein profundes Expertenwissen basiert neben seiner international hoch angesehenen Forschungsarbeit u.a. auch auf seiner früheren Tätigkeit beim IT-Dienstleister Siemens Business Services, wo er in der Geschäftsführung Deutschland verantwortlich für Strategie und Marketing war, sowie als (Mit-)Gründer mehrere Start-ups, die er erfolgreich aufgebaut hat.

Sein Appell an die Busunternehmen lautet: „Schließt euch zusammen.“ Er bedauert das fehlende Bewusstsein im Mittelstand dafür, dass alle im Kampf ums Überleben – herbeigeführt durch den digitalen Wandel – mit ähnlichen Problemen, Ängsten und Lernerfahrungen im selben Boot sitzen. Warum also nicht zusammenschließen, um diese Lernkosten zu reduzieren und so wettbewerbsfähiger zu werden? Schließlich funktioniere dieses Konzept in anderen Branchen, die ähnlich strukturiert seien wie die Busbranche, einwandfrei. Als Beispiel führt er Euronics an, eine Einkaufsgenossenschaft für Elektrogeräte mit bundesweit mehr als 1.600 Mitgliedern. Als Verbund ist Euronics eine Genossenschaft, ein Zusammenschluss vieler kleiner Elektroeinzelhändler, von denen jeder mit Onlineversandhändlern wie Amazon konkurrieren muss. Einzeln habe aber keiner von ihnen eine Chance gegen den Online-Versandriesen zu bestehen. Zusammen jedoch sei dies möglich. Baltes befürwortet mehr solche Konstellationen im Mittelstand. In der Konsequenz bedeute dieser Schritt allerdings auch, darüber müssen sich Unternehmen im Klaren sein, dass die Entscheidungsfreiheit und auch ein Stück weit Autonomie an die übergeordnete Schicht bzw. Instanz abgegeben werden müsse.

Baltes empfiehlt Busunternehmern darüber hinaus regionale Erfahrungskreise einzurichten, um Know-how über die Unternehmensgrenzen hinweg auszutauschen. Der Wissenschaftler verdeutlicht, dass in der Busbranche grundsätzlich ein Umdenken stattfinden muss. Als ein ernstzunehmendes Hindernis sieht Baltes in diesem Prozess die „Liebe zum Asset“. D.h. das Fahrzeug steht im Mittelpunkt des unternehmerischen Denkens. Doch im Zuge des digitalen Wandels „verliert das Asset in der Mobilität immer mehr an Bedeutung“, versichert er. Insbesondere, wenn es um Wettbewerbsfähigkeit geht, werde es in Zukunft weniger eine Rolle spielen, wer den Bus besitzt und um welches Fahrzeug es sich dabei handelt, so Baltes. Vielmehr „entscheidet sich die Wettbewerbsfähigkeit daran, wer in der Lage ist, basierend auf Software, Daten und Algorithmen, die Nutzung der bestehenden Assets am effizientesten zu organisieren“, verdeutlicht er.

Die Digitalisierung sei für den Busunternehmer und sein Unternehmen eine transformative Herausforderung, der er sich aktiv stellen sollte, erklärt Baltes weiter. Dazu müsse er aber versuchen, mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten im Unternehmen, alternative Modelle zu formulieren. Er rät den Unternehmern in neue Technologien, neue innovative Ansätze zu investieren. „Sie müssen lernen, in Unsicherheiten zu investieren und ins kalte Wasser zu springen“, unterstreicht er. Unternehmerisches Handeln brauche Autonomie. Eine Nebenwirkung davon sei Kontrollverlust, die man aber zulassen müsse. Denn um unternehmerisch innovativ zu handeln, brauche es immer Mut. Baltes ist überzeugt, dass mittelständische Unternehmen alternative Pfade gehen sollten, um unsichere Innovationsfelder „auszuforschen“ und strategische Optionen zu entwickeln. Askin Bulut