Als Dr. Dieter Wedel die Räumlichkeiten der Sparkasse Bad Hersfeld-Rotenburg betritt, in denen zum Jahresende 2014 die Pressekonferenz zur Programmpräsentation der 65. Bad Hersfelder Festspiele stattfindet, werden die Fotografen unruhig. Menschen mit riesigen Kameraobjektiven und Fernsehkameras eilen quer durch den Raum, um ein Foto bzw. eine Aufnahme des neuen Intendanten der Bad Hersfelder Festspiele zu ergattern. Blitzlichtgewitter. „Herr Dr. Wedel, bitte mal hierher in die Kamera schauen“, ruft ein Fotograf. Dieter Wedel selbst scheint unbeeindruckt.
"Sonst erkennt mich ja keiner"
Er trägt eine goldene Sonnenbrille, legt diese dann aber mit den Worten „sonst erkennt mich ja keiner“ ab. Gelächter. Der 72-Jährige kennt den Rummel um seine Person. Schließlich ist der im hessischen Bad Nauheim aufgewachsene Sohn einer Pianistin und eines Fabrikbesitzers einer der bekanntesten Filmemacher und Festspiel-Intendanten des Landes. Fernseh-Mehrteiler wie „Einmal im Leben“, „Der große Bellheim“, „Der Schattenmann“ oder „Der König von St. Pauli“ sind einem großen Publikum bekannt und erhielten zahlreiche Auszeichnungen. Zuletzt erzielte Dieter Wedel während seiner 13-jährigen Tätigkeit als Intendant der Nibelungen Festspiele in Worms regelmäßig Auslastungen von 99 Prozent – mit Stücken, wie dem zweiten Teil von Hebbels Nibelungen, der in der Theaterwelt gemeinhin als „unspielbar“ gilt. Seit Oktober 2014 ist Dieter Wedel nun in Bad Hersfeld. „Natürlich muss man vor dem Beginn der eigentlichen künstlerischen Arbeit erst einmal jede Menge Gespräche führen“, sagt der Intendant, und wie es in seiner Natur liegt, bringt Dieter Wedel seine Vorstellungen auch an seinem neuen Arbeitsplatz ein. So äußerte er erhebliche Zweifel am Sicherheitskonzept der Stiftsruine, dem Austragungsort der Bad Hersfelder Festspiele. Aufbau und Umfang der bestehenden Tribüne seien nicht mehr zeitgemäß und würden keine zeitgerechte Evakuierung im Notfall gewährleisten. Auch die Bad Hersfelder Bauaufsicht und die Feuerwehr hatten darauf in den vergangenen Jahren mehrfach hingewiesen. Der Magistrat der Stadt Bad Hersfeld reagierte nun prompt und bewilligte den Bau einer neuen Zuschauertribüne. Diese soll nicht nur den Sicherheitsstandard mit zusätzlichen Fluchtwegen, breiteren Sitzabständen und rutschfesten Treppen erhöhen, sondern auch eine bessere Sicht bieten. Der Nachteil: Künftig werden nicht mehr so viele Besucher in die Stiftsruine passen wie bisher. Die Sicherheit des Publikums und der Akteure geht vor, finden nun auch die Stadtverordneten von Bad Hersfeld.
Im Sinne des Volkstheaters
In Bezug auf den Ansatz, bei Festspiel-Aufführungen vor allem das Wohl des Publikums im Sinn zu haben, orientiert sich der promovierte Theaterwissenschaftler Wedel an William Shakespeare, dem Erfinder des Volkstheaters. „Was sich Festspiele nennt, sollte sich nicht scheuen, den Zuschauern ein Fest zu bieten“, sagt er. Deshalb finden die 65. Bad Hersfelder Festspiele im kommenden Jahr nicht nur auf der Bühne statt, sondern eben davor und daneben. So soll etwa der anliegende Park zu einem „Foyer im Grünen“ umfunktioniert werden. „Jedes Theater braucht ein Foyer, denn Foyers sind Orte der Begegnung und des Gesprächs. Genau das wollen wir in Bad Hersfeld auch schaffen“, sagt Dieter Wedel. Weitere Faktoren, die er bei seinen Inszenierungen in Bezug auf das Publikum im Sinn hat, sind der Erhalt der Spannung, der Sitzkomfort und die Sicht auf die Bühne. „Zuschauer wollen bequem sitzen, gut sehen und umworben werden. Wir befinden uns hier schließlich nicht an der Bierbude. Außerdem gibt es nichts Schlimmeres, als wenn der Zuschauer nach einer viertel Stunde der Ansicht ist, er habe jetzt genug gesehen.“
Beliebigkeit verbietet sich für Festspiele
Demnach müssen bei Wedels Inszenierungen sowohl die ausgewählten Stücke als auch die Schauspieler und das gesamte Drumherum aufeinander abgestimmt sein und etwas ganz und gar Besonderes bieten. „Beliebigkeit verbietet sich für Festspiele“, findet Dieter Wedel. „Man kann sich heute jeden Tag aller Orten Theaterstücke und Musicals ansehen und sich das Ganze eine Woche später auf DVD kaufen. Deshalb müssen wir um den Zuschauer kämpfen und zwar indem wir mit gutem Geschmack vorangehen und nicht dem Schlechten hinterherlaufen.“
Das Ziel ist „ausverkauft“
An Bad Hersfeld habe ihn vor allem gereizt, an einem so einzigartigen Spielort wie der Stiftsruine zu inszenieren. „Außerdem habe ich nach 13 Jahren in Worms das Gefühl gehabt, die Geschichte der Nibelungen sei auserzählt – am Ende sind immer alle tot, das ist auf Dauer doch recht vorhersehbar.“ Auf Grund seiner Begeisterung für Shakespeare überrascht es nicht, dass Dieter Wedel mit „Die Komödie der Irrungen“ (Premiere am 6. Juni 2015) auch ein Stück des englischen Dramatikers bei den 65. Bad Hersfelder Festspielen auf die Bühne bringt. Der Grund dafür sei auch die Tatsache, dass man bei Shakespeare, in Ermangelung von autorisierten Fassungen, als Regisseur freier arbeiten und den Inhalt besser in die Gegenwart holen könne. Das sei bei Hebbel ein deutlich schwierigeres Unterfangen gewesen. Ebenfalls auf dem Spielplan stehen Heinrich von Kleists „Der zerbrochene Krug" unter der Regie von Dieter Wedels Vorgänger als Intendant, Holk Freytag, das Musical „Cabaret“ vom Regisseur von „Das Wunder von Bern“, Gil Mehmert, sowie die „Sommernachts- Träumereien“, inszeniert vom Künstlerischen Leiter der Bad Hersfelder Festspiele, Joern Hinkel. Der Spielplan steht, die Vorbereitungen laufen, über die Besetzung wird aber noch nichts verraten. Auf die Frage, welche Zuschauerzahl er sich für die 65. Bad Hersfelder Festspiele wünsche, antwortet Dieter Wedel: „In Worms musste ich mal den Stuhl, auf dem ich für gewöhnlich während der Aufführungen sitze, dem Direktor des Südwestfunks zur Verfügung stellen, weil sonst nirgends ein Platz frei war. Das würde ich in Bad Hersfeld so wieder tun.“