„Es begann mit einem Frühstück im Frühjahr 2025“, erzählt Anja Fischer, die zusammen mit ihrer Tochter Victoria die Geschäftsführung von TRD-Reisen innehat. „Ich lud dazu die Mitglieder des Bewusst Wie e.V. in unser Unternehmen ein. Ich bin seit vielen Jahren selbst Mitglied in diesem Verein, er ist regional tätig und engagiert sich im Nachhaltigkeitsbereich.“ Die Mitglieder treffen sich regelmäßig zum Frühstück, immer bei jemand anderem. „Als wir uns im Frühjahr bei uns trafen und ich über die Historie von TRD und unser heutiges Agieren erzählte, bemerkte wohl jemand, dass wir etwas anders machen.“
Anja Fischer war das bis dahin gar nicht so bewusst gewesen. Sie erkannte das Besondere ihres Betriebes erst, als sie im vergangenen Jahr den Facebook Aufruf „Kulturelle Vielfalt, wo wird sie gelebt?“ eines lokalen Radiosenders las und spontan antwortete: „Bei uns, mit 28 verschiedenen Nationen, jeden Tag mit viel Spaß!“ Bei der anschließenden Berichterstattung fiel auf, dass und wie viel Respekt das Unternehmen seinen Mitarbeitern entgegenbringt, ganz gleich, aus welchem Land sie kommen. Zwei Drittel der Angestellten besitzt ausländische Wurzeln. „Wir halten das bei einem Unternehmen, das im Ruhrpott ansässig ist, für normal und empfinden das als sehr bereichernd – das ging auch schon meinem Vater so“, sagt Anja Fischer.
Wenn normal besonders ist
Anja Fischers Eltern haben TRD-Reisen 1960 gegründet. Heute zählt es 200 Mitarbeiter, der Fuhrpark umfasst 90 Fahrzeuge. In Dresden gibt es einen Zweitbetrieb mit 50 Mitarbeitern und 20 Bussen, regional bedingt stammen ca. 40 Prozent der Belegschaft aus Tschechien. Ursprünglich stand „TRD“ für „Touren- und Reisedienst". Als Anja Fischer 2012 das Geschäft übernahm, musste sie das Reisegeschäft jedoch aufgeben. Ihr Vater reiste bereits in den 1970er Jahren durch die halbe Welt, um fähige Leute für sein Unternehmen zu gewinnen. „Meine Familie hat das gelebt. Wir haben uns auch immer um unsere Mitarbeiter gekümmert. Bis heute legen wir großen Wert darauf, die ganze Familie eines Mitarbeiters zu kennen und bei Problemen zu unterstützen, behördlichen wie privaten.“ Jedes Jahr gibt es zwei Mitarbeiterreisen, Ausflüge mit den Azubis, einen Weihnachtsmarkt oder eine Weihnachtsparty, Schulbusfrühstück und ähnliches. „Ich habe das nie als besonders wahrgenommen, weil es bei uns so normal war“, sagt Anja Fischer.
Dass so viel Engagement alles andere als normal ist, bemerkte bei dem Frühstück im Frühjahr die Mitarbeiterin einer Beratungsfirma, die u. a. das Dortmunder Personalmanagement Prädikat vergibt. „Die Firma meldete sich eines Tages telefonisch und kündigte den Besuch einer Jury an, die mit Mitarbeitern, Azubis, Betriebsrat und Geschäftsleitung sprechen wollte“, erinnert sich Anja Fischer. „Die meinte dann, dass ihr noch nie so viel Respekt den Mitarbeitern gegenüber begegnet sei. Das hat mich sehr berührt, weil ich das auch schon manchmal von den Mitarbeitern selbst gehört habe. Sie sagen bisweilen über uns: „Das ist das erste Unternehmen, in dem ich behandelt werde wie ein Mensch‘.“
Erfolgsrezept: Respekt und Menschlichkeit
Genau hier liegt das Erfolgsrezept dafür, dass TRD-Reisen mehr Bewerbungen auf dem Tisch hat als offene Stellen im Unternehmen. „Wir stellen Ausländer nicht ein, weil uns Deutsche fehlen oder weil es uns egal ist, sondern weil wir die Menschen, die zu uns kommen, genau so wollen und schätzen wie sie sind. Wenn die Einstellung stimmt, sind uns Schulnoten ebenso egal wie Sprachkenntnisse. Denn wenn die Einstellung stimmt, kann jeder alles lernen – und nur darauf kommt es an.“
Es wäre falsch, die Herangehensweise von TRD-Reisen als Konzept zu bezeichnen, denn eine Lebenseinstellung ist sehr viel mehr als das. Der Soziale Innovationen e.V. verlieh TRD-Reisen dafür eine Auszeichnung für „vorbildliche Unternehmens- und Führungskultur“. Anlässlich der Preisverleihung wurde dann eine Dame vom Interkulturellen Wirtschaftspreis auf das Unternehmen aufmerksam. „Sie meinte, dass sich TRD-Reisen unbedingt bewerben solle, also füllte ich die entsprechenden Formulare aus und wartete ab.“
Der Interkulturelle Wirtschaftspreis ist mit 1.000 Euro dotiert und wird jedes Jahr vom Multikulturellen Forum in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung Unna, der Hammer Wirtschaftsagentur Impuls, der Industrie- und Handelskammer Dortmund, der Handwerkskammer Dortmund und dem Kommunalen Integrationszentrum Dortmund vergeben. Ausgezeichnet werden Unternehmen im Ruhrgebiet, die zeigen, dass Vielfalt, Offenheit und Respekt nicht nur als ethischen Gründen wichtig sind, sondern auch zu unternehmerischem Erfolg beitragen. „Als ich einen Anruf bekam, dass man einen Film über TRD-Reisen drehen will, habe ich mir schon gedacht, dass wir eventuell zu den Gewinnern zählen könnten. Zur Preisverleihung am 26. November 2025 bestätigte sich das dann.“
Kooperation statt Konkurrenz
Bis 2012 war TRD-Reisen auch als Reiseveranstalter am Markt, heute liegt der Fokus auf dem Linienbetrieb – obwohl die Dortmunder Stadtwerke nach 50 Jahren die früheren Verträge aufkündigen und europaweit ausschreiben mussten. TRD-Reisen gründete mit seinen einstigen Konkurrenten eine ARGE und bewarb sich in Synergie mit drei weiteren Busunternehmen in der Region – Quecke, Zeretzke und Baumeier – um die Linienbündel. Mit Erfolg. „Die Zusammenarbeit gerade der jüngeren Generation ist so gut, wie wir uns das alle vorher nie hätten vorstellen können.“ Die Unternehmen bewerben sich gemeinsam um Aufträge im Schienenersatzverkehr. TRD-Reisen kümmert sich zusätzlich um Schülersonderverkehre, Kinder, die aus den verschiedensten Gründen mit dem Bus zu Hause abgeholt werden müssen, weil sie Sonderschulen besuchen. Je 20 Kinder fährt immer ein Betreuer im Bus mit, der bei TRD-Reisen fest angestellt ist. „Wir setzen für diese Aufgabe gern Mütter ein, weil sie oft ein besonderes Händchen für besondere Kinder beweisen“, sagt Anja Fischer.
Ein größeres Zukunftsprojekt steht bereits in den Startlöchern. „Als wir 2012 die Reiseveranstaltung aufgegeben haben, haben wir auch Räumlichkeiten anderweitig verwendet – diese verwandeln wir jetzt wieder zurück in Büros, weil wir stetig wachsen“, verrät Anja Fischer. „Dadurch ergibt sich auch ein eigener Schulungsraum, in dem wir Seminare für unseren Mitarbeiter veranstalten können, Deutschunterricht etwa. Ich selbst bin ja nicht mehr so tief ins operative Geschäft eingebunden und habe einerseits die Kapazitäten und andererseits auch Lust auf und Freude am Unterrichten.“ Außerdem steht die Umrüstung der Flotte auf Elektromobilität an.
Ans Aufhören denkt die 62-jährige Anja Fischer also längst nicht. Und sie genießt es, im Unternehmen von jungen Leuten umgeben zu sein. Dass es schwer sei, junge Menschen für anspruchsvolle Arbeitsfelder zu interessieren, kann sie nicht bestätigen. „Einen Generationenkonflikt kennen wir bei TRD-Reisen nicht“, sagt sie. „Meine Tochter, meine beiden Nichten und all die Busverrückten um uns herum, wir ziehen alle am selben Strang.“ Dafür brauche es nur das richtige Betätigungsfeld – und: Respekt und Menschlichkeit.
Judith Böhnke