Seelingstädt ist eine kleine Gemeinde an der Ostspitze Thüringens, nahe dem sächsischen Vogtland. Eine Mittelgebirgslandschaft mit sanften Hügeln, Nadelwäldern, Talsperren und weiten Feldern. Hier wird am 1. März 1952 Hartmut Piehler als Sohn eines Bauern und einer Bäuerin geboren. Sein Weg scheint vorgezeichnet. Einmal Bauer immer Bauer. Die Piehlers betreiben Feldbau. Gerste und Weizen, Roggen und Hafer gedeihen. Der Bauernhof der Piehlers landet im Zuge der Kollektivierung der Landwirtschaft Ende der 60er Jahre in der DDR in einer der großen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). Hartmut Piehler verlebt in Seelingstädt eine glückliche Kindheit.

Die großen Mähdrescher vom Typ „Fortschritt“, Traktoren und Erntemaschinen faszinieren ihn. Nach der Schule möchte er gern Agraringenieur werden. Doch daraus wird nichts. Als er 14 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter und der Vater stellt ihn vor die Entscheidung: Entweder du verlässt die Schule und hilfst mit oder ich muss den Hof aufgeben. Hartmut Piehler hilft mit. Da die Felder in den großen Produktionsgenossenschaften immer größer werden und neue Dörfer dazu kommen, müssen die Bäuerinnen zum Rübenverziehen oder Kartoffellesen von ihrem Wohnort zu den Feldern gebracht werden. Die LPG schafft dafür Busse an. Vom Typ Ikarus aus Ungarn oder vom privaten Bushersteller Fleischer aus dem nahen Gera.

Hartmut Piehler erwirbt 1978 seinen Busschein und fährt mit diesen Bussen so eine Art landwirtschaftlichen Werksverkehr. Die Arbeit gefällt ihm. Besonders dann, wenn für die Bäuerinnen einmal im Jahr ein Betriebsausflug organisiert wird: in den Thüringer Wald, zum Kaffeetrinken ins nahe Erzgebirge oder sogar nach Marienbad in Tschechien. Hartmut Piehler kommt viel herum und gehört schnell zu jenen umtriebigen Menschen im Land, die alles, was im Sozialismus knapp ist, dennoch beschaffen können. Futter für die Tierzüchter bei der Wismut (Uranbergbau), im Gegenzug gibt es einen Satz Busreifen. Und als der Aufbauhersteller Fleischer in Gera die neuen Busse für die LPG nicht schnell genug liefern kann, weil ihm Arbeiter fehlen, weiß Hartmut Piehler eine Lösung.

Wie wäre es, wenn die Bäuerinnen, die von Dezember bis März ja auf den Feldern nichts zu tun haben, in dieser Zeit die Sitze für die Busse montierten? Nach einem Einweisungslehrgang lief das Ganze top und auf der Warteliste für Fleischerbusse rückte die LPG deutlich nach vorn. Hartmut Piehler heiratet Anfang der siebziger Jahre (Hochzeitsreise nach Konstanza!). Die Töchter Sylvia und Katja erblicken das Licht der Welt. Und dann die Revolution 1989, die man später eine friedliche nennen wird. Hartmut Piehler erlebte die Ereignisse zunächst vor dem Fernseher im Wohnzimmer. Doch da hält es ihn nicht lange. Das Begrüßungsgeld holte er sich in Hof ab, sieht sich Dörfer und Felder dort an, spricht mit Landwirten und kommt zu dem Schluss: die LPG hat keine Chance. Sein Plan: Ich kündige bei der LPG, kaufe mir einen Bus und fahre die Leute dorthin, wohin sie wollen. Beim Rat des Kreises holt er sich eine vorläufige Gewerbeerlaubnis. Was ihm fehlt ist ein Bus.

Die Wismut verkauft gerade 100 alte Ikarus-Busse, das Stück für 10.000 DDR-Mark. Doch Hartmut Piehler will nicht die alte, sondern die neue Technik und die heißt für ihn Cityliner. So einen Cityliner hatte er bei einem Händler auf dem Hof gesehen: Das gute Stück war 10 Jahre alt und sollte 67.000 D-Mark kosten. Die Deutsche Kreditbank genehmigt Hartmut Piehler einen Kredit. Dafür muss er Haus und Hof verpfänden. Der Kredit ist zwar bewilligt, doch auf dem Auszahlungsbeleg fehlt noch ein Stempel. Das Formular harrt seiner Bearbeitung unter einem von Hunderten Stapeln bei der Bank in Berlin. Hartmut Piehler bindet sich seine beste Krawatte um und fährt zur Bank nach Berlin. Die stellen sich an: „Piehler? Kennen wir nicht“. Da zieht Hartmut Piehler die Pressekarte: „Wenn ich nicht umgehend meinen abgestempelten Auszahlungsbeleg erhalte, gehe ich auf direktem Weg zur Bild-Zeitung.“ Ruhe im Büro, das Zauberwort ist gefallen, der Beleg kommt. Das Reisegeschäft mit dem in Rot-Weiß lackierten Cityliner „Piehler Reisen“ brummt.

48 Plätze, 48 Reisegäste, darunter läuft keine Tour. Paris: Freitag, Start 18.00 Uhr. „Wir hatten keine Landkarte, holten uns eine in Kaiserslautern. Ich schlug die auf, dachte, das wäre ganz Frankreich, doch es war nur Paris.“ Bezahlt wurde halb in DDR-Mark und halb in D-Mark. Die Frau vom Reisebüro, bei der die Kunden gebucht hatten, fragt, wie das mit dem Geld wird. Hartmut Piehler: „Wir teilen einfach durch zwei. Die Hälfte fürs Reisebüro, die Hälfte für uns.“ In München spricht ihn ein Mann am Bus an, im bayerisch-österreichischen Dialekt, ob er nicht mal einen Almabtrieb in Söll in Tirol mitmachen wolle. Hartmut Piehler versteht Bahnhof: Almabtrieb – warum soll die Alm abgetrieben werden? Wenige Wochen später steht er mit seinem Bus am Verkehrsverein Söll. Ein Mann kommt mit Schnapstablett und Schlüsseln raus. Alle Gäste werden in Pensionen abgesetzt. Bei der Rückfahrt werden zunächst sechs Reisende vergessen mitzunehmen. Als die auch noch aufgelesen werden, sagen sie nur: „Wir dachten schon, wir müssen hier bleiben. Aber schön, dass ihr noch kommt.“ Heute, so sagt Hartmut Piehler lachend, würden die meckern und schimpfen.

Hartmut Piehler besucht Lehrgänge, nimmt an Seminaren der Busverbände teil, schreibt DIN A 5 Hefte mit Notizen voll. Er lernt Marktwirtschaft. Mit Erfolg. Hartmut Piehler führt seinen Busbetrieb jetzt seit 25 Jahren. Aus einem Bus sind 12 geworden, statt einem Mitarbeiter beschäftigt er heute 25. Seit 25 Jahren erhält jeder Mitarbeiter jeden Monat seinen Lohn, ohne Verzug. Er bereue keinen Tag dieser Selbstständigkeit und würde alles wieder so machen, sagt Hartmut Piehler. Zum Firmengeburtstag im Mai – Kauf des Cityliners! – gibt es jedes Jahr eine Fahrt ins Blaue. Seine Kinder und seine Frau Brigitte arbeiten im Unternehmen. Hinschmeißen? Nein, dieser Gedanke sei ihm in all den Jahren bei allen Problemen trotzdem nie gekommen. Montagabends singt er im Männerchor, Dienstag ist nix, Mittwoch wird Skat mit den ehemaligen Traktoristen der LPG gespielt und am Donnerstag geht´s zum Fitness. Telefon und Handy sind immer in Griffweite, auch nachts. Doch unruhig macht ihn das nicht. Sein Gemütszustand, sagt er, sei von Konstanz geprägt: zufrieden, ruhig, glücklich.