Mancherorts werden die Funktionsprinzipien dieser bewährten Marktordnung ausgehebelt – mit dem Ziel, privatwirtschaftliche Unternehmen auszutrocknen. Ein Paradebeispiel ist der verzweifelte Streit des Hecklinger Busunternehmers Torsten Haubold mit dem Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt), der mittlerweile über drei Jahre andauert. Die Firma von Haubold, die Regionalverkehr Salzland GmbH & Co KG. (RVS), erbringt seit über 80 Jahren Busleistungen in dieser Gegend. Momentan bedient sie im Raum Staßfurt etwa ein Viertel der gesamten Buslinien im ganzen Salzlandkreis. Ihr Auftraggeber ist die Personennahverkehrsgesellschaft Salzland (PNVG). Die Strecken des Salzlandkreises werden betreut von der Kreisverwaltungsgesellschaft (KVG), eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Salzlandkreises.

Jetzt wird’s kompliziert: Haubold ist nicht nur Auftragnehmer der Kreisgesellschaft PNVG. Er ist gleichzeitig auch der Vorgesetzte des Geschäftsführers der Gesellschaft PNVG: Die PNVG gehört nämlich den drei Gesellschaftern KVG als Busgesellschaft des Salzlandkreises, Haubolds Unternehmen RVS und dem Omnibus- und Taxiunternehmen Regina Winter in Egeln. In die Gesellschaft hatten beide Unternehmer 2011 ihre Anteile in Form von Linienrechten eingebracht. Bis vor drei Jahren lief ja auch alles reibungslos. Doch dann kam Janko Wilke als Geschäftsführer der PNVG. Seitdem ist nichts mehr wie es war. Im Jahr 2017 begann sich das Verhältnis zwischen den beiden dramatisch zu verschlechtern. Wilke brach einen Psychokrieg gegen Haubold vom Zaun. Man will ihn aus dem Geschäft drängen. Quasi „per Faustrecht“ wurde der Auftragsumfang um ein Drittel reduziert. Dann hat man Haubold eine Menge Leerfahrten reingedrückt. Monatliche Abschläge wurden drastisch gekürzt und Jahresendabrechnungen ohne Angabe von Gründen nicht bezahlt. Mehrere Gespräche, die mit dem Landrat und Co. angesetzt waren, hat man grundlos platzen lassen.

Wilke hatte sogar einen Wirtschaftsprüfer beauftragt, weil er der Meinung war, dass Haubolds Abschlussrechnung zu hoch war. Doch Wilke selbst fiel in die Grube, die er gegraben hatte: Der unabhängige Wirtschaftsprüfer stellte fest, dass Haubolds Firma eigentlich noch mehr Geld zugestanden hätte, als er in Rechnung gestellt hatte. Trotzdem bekam Haubold erst im Frühjahr 2019 sein restliches Geld für 2016 und 2017. Der Nervenkrieg ging im Folgejahr weiter. Aus dem Jahr 2018 stehen satte 375.000 Euro aus. PNVG will nicht bezahlen. Doch Haubold lässt sich nicht unterkriegen und setzt sich juristisch zu Wehr. Er klagt vor Gericht. Im Streit mit dem Salzlandkreis seien mehrere verschiedene Gerichtsverfahren anhängig, berichtet Haubold. Doch Corona-bedingt steht derzeit alles still. Außerdem hat der Busunternehmer auf die Ankündigung des Salzlandkreises, den gesamten Busverkehr ab 01. August 2020 für zehn Jahre an die KVG zu vergeben, einen eigenwirtschaftlichen Antrag gestellt. In erster Instanz wurde dieser abgelehnt. Dagegen wurde von Haubold Widerspruch eingelegt, zu dem ein Eilverfahren beantragt wurde.

Busunternehmen finanziell ausbluten lassen

Ein weiteres bizarres Beispiel für Machtspielchen im ÖPNV liefert der Enzkreis in Baden-Württemberg. Auch hier wieder: fehlerhafte Abrechnungen, Hinhaltetaktik, Rechnungen nicht bezahlt bzw. hinausgezögert usw. Aber Eins nach dem anderen, worum geht’s? Das Busunternehmen Müller-Reisen in Pforzheim bediente teils seit mehr als 90 Jahren Linien im westlichen Enzkreis. Doch eine im Jahr 2018 getroffene Entscheidung nahm für Müller-Reisen jetzt eine dramatische Wende. Die Linien im westlichen Enzkreis wurden zuvor von mehreren Unternehmen bedient. Dann wurden diese gebündelt an einen Anbieter vergeben: Müller-Reisen. Das private Busunternehmen kam einer europaweiten Ausschreibung zuvor, gab ein eigenwirtschaftliches Angebot ab. Hat Müller-Reisen möglicherweise zu hoch gepokert? Mit seinem eigenwirtschaftlichen Antrag scheint das Busunternehmen jedenfalls die Aufgabenträger überrumpelt zu haben. Das Müllersche-Angebot wurde geprüft und als „plausibel und auskömmlich anerkannt.“ Zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe musste Müller-Reisen viele Parameter schätzen: Einnahmen, Vergütungssätze, Fahrgastzahlen. Die Kalkulation ging aber am Ende nicht auf, „weil sich viele Parameter zu unserem Nachteil entwickelt haben“, erklärt Viktoria Müller, Geschäftsführerin von Müller-Reisen. Wie kann eine „Fehlkalkulation“ – die jetzt im Nachhinein Müller-Reisen vorgeworfen wird – bei der Prüfung der Einnahmenabschätzung einfach durchgehen? Hat man das Busunternehmen sehenden Auges ins offene Messer laufen lassen?

„Man hat uns finanziell ausbluten lassen“, sagt Müller rückblickend. Die Berechnung der Umlage seitens des Verkehrsverbunds Pforzheim-Enzkreis (VPE) habe auf einer Fahrgasterhebung aus dem Jahr 2014 basiert, also völlig überholt. Die Mehrleistungen, Mehrkosten und auch Mehreinnahmen wurden laut Viktoria Müller völlig außer Acht gelassen. Dann wurden auch noch die 45a-Mittel gekürzt (Ausgleichszahlungen für Schülermonatskarten). Begründung: Die Schülerzahlen hätten sich verringert. „Im Gegenteil“, erklärt Viktoria Müller, es seien sogar mehr Schüler befördert worden. Ein weiteres Problem: Monatsgenaue Abrechnungen seitens des VPE seien nicht zuverlässig erfolgt. Viele weitere Faktoren kamen noch hinzu, so dass das Unternehmen den Verkehr unter diesen Voraussetzungen aufgeben musste. „Wir haben jeden Monat 40.000 Euro verbrannt“, beklagt Müller. Folglich beantragte Müller-Reisen beim Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe, von der Konzession entbunden zu werden. Die Linien von Müller-Reisen wurden durch eine Notvergabe für die Dauer von zwei Jahren an Richard Eberhardt GmbH und die Regionalbusverkehr Südwest GmbH (RVS) vergeben. Müller-Reisen habe mehrmals betont, unter neuen Voraussetzungen die Linien weiterbetreiben zu wollen. Doch man sei nicht berücksichtigt worden.