Diese Zahl hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ermittelt. Die Krux: Locker 90 Prozent der Deutschlandticket-Nutzer hat den ÖPNV auch schon vor der Einführung des „D-Tickets“ genutzt – damals aber zu höheren Preisen. Den Unternehmen gehen Einnahmen verloren, die von den zehn Prozent neuen ÖPNV-Nutzern nicht aufgefangen werden. Personalmangel, Antriebswende, Inflation und immer weiter steigende Energiekosten tragen das Ihre zur Verschärfung der Situation bei. Anstatt expandieren zu können, kämpfen die Unternehmen darum, das bisherige Angebot überhaupt aufrecht erhalten zu können. Linienkürzungen und -ausdünnungen gehören allerorten bereits zum Tagesgeschäft. Schlicht und ergreifend, weil die Fahrgelderlöse eingebrochen sind.
Nach der anfänglichen Euphorie werden die kritischen Stimmen in Sachen Deutschlandticket immer lauter. Auch die des Handelsblattes. Es werde immer deutlicher, wie unterfinanziert der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland sei, Schleswig-Holstein habe vor diesem Hintergrund bereits angekündigt, dass ab 2025 „Konsequenzen für erste Bahnverbindungen“ zu erwarten seien. Sämtliche Problematiken würden durch das Deutschlandticket noch verschärft. Ob die von den Verkehrsministern der Länder angekündigte Preiserhöhung Abhilfe schafft, bleibt ebenso abzuwarten wie ehrlicherweise unwahrscheinlich.
Das Handelsblatt weist in Sachen Abhilfe auf die neuen Varianten des Deutschlandtickets hin. Am Markt seien jetzt etwa eine Million Semestertickets, 1,8 Millionen Jobtickets und 10,2 Millionen „normale“ Deutschlandtickets. Dabei generieren die ÖPNV-Unternehmen ihre Einnahmen in immer höherem Maße aus staatlichen Mitteln. Fahrgelderlöse geraten ins Hintertreffen. „Je länger es das Deutschlandticket gibt, desto weniger andere Ticketarten verkaufen wir“, wird der ÖPNV-Geschäftsführer des VDV, Alexander Möller, vom Handelsblatt zitiert. Etwas mehr als die Hälfte aller verkauften Fahrscheine in Deutschland seien mittlerweile Deutschlandtickets.
Bund und Länder sollten je 350 Millionen Euro in diesem Jahr zur Verfügung stellen, um das Deutschlandticket zu finanzieren, geflossen sei das Geld bislang nicht, so das Handelsblatt. Einigen sich die Parteien nicht zeitnah, könne die Branche vor weiteren Kürzungen im ÖPNV-Angebot stehen. Stünden Bund und Länder vollständig zu ihren Zusagen, hätten die Unternehmen bis 2025 keine Einbußen durch das Deutschlandticket zu befürchten, so Möller. „Aber wir haben natürlich eine massiv erhöhte Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln.“ Außerdem mangelt es an Planungssicherheit. Nicht zuletzt habe das Deutschlandticket dazu geführt, dass die Branche sämtliche Ideen der Nachfragesteuerung aus der Hand gegeben habe, wie Christian Böttger, Verkehrswissenschaftler an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, gegenüber dem Handelsblatt kritisierte.
Zankapfel Einnahmeaufteilung
Auch die Diskussionen rund um die Einnahmeaufteilung reißen nicht ab und haben in die Berichterstattung des Handelsblattes Eingang gefunden. Gegenwärtig behalte jeder Verkehrsverbund, was er an Einnahmen durch das Deutschlandticket generiere. 2025 soll die Abrechnung nach Postleitzahlen erfolgen, die D-Ticket-Käufer müssten beim Kauf dann ihre Postleitzahl angeben. 2026 sollen die Einnahmen „nachfrageorientiert“ verteilt werden – wie das funktionieren soll, steht jedoch in den Sternen. Der Grund: Es fehlen die „dafür die notwendigen Daten“. Man müsse wissen, wo sich die Nutzer überall bewegen, meinte Gijster Horst vom niederländischen Softwareunternehmen Ximedes gegenüber dem Handelsblatt. „Counter“ – beispielsweise an Bahnsteigen – könnten die Fahrgäste nicht nur zählen, sondern auch festhalten, woher sie gekommen und wohin sie unterwegs seien. Eine andere Möglichkeit sei, dass die Fahrgäste „einchecken“, sobald sie sich in einem Bus oder einer Bahn befänden. Abgesehen von den Kosten, die ein solches System verursachen würde, müssten die Kunden aber entweder dazu erzogen werden, sich brav „einzuchecken“, wann immer sie ein-, um- und ausstiegen – oder der Check-in/Check-out müsste automatisch funktionieren. Datenschützer dürften davon wenig begeistert sein.
Verkehrswissenschaftler Böttger zieht Abhilfe durch Priorisierung in Betracht. Knappe Kapazitäten bedeuteten, dass eben in erster Linie nur die Menschen befördert werden könnten, die es wirklich nötig hätten, weil sie beispielsweise zur Arbeitsstätte gelangen müssten. „Vergnügungsfahrten zum Strand müssen an letzter Stelle stehen.“ Ob die D-Ticket-Nutzer allerdings bereit wären, neben Postleitzahl, Ein-, Um- und Aussteige-Orten auch noch anzugeben, warum sie wohin fahren, wagt bislang niemand zu erörtern. „Priorisierung“ hat allerdings viele Gesichter, weshalb Böttger auch vorgeschlagen hat, die Gültigkeit des Deutschlandtickets auf überlasteten Regionalexpress-Strecken am Wochenende zu limitieren. Alternativ könnten für Fahrgäste mit teureren Fahrkarten Reservierungsmöglichkeiten eingerichtet werden. Der Grundtenor des Verkehrsexperten macht unterm Strich dennoch wenig Hoffnung. Oder, wie ihn das Handelsblatt zitiert: „Politisch kommt man vom Deutschlandticket nicht mehr weg.“