Rund ein Drittel der jetzigen Nutzer des Ticktes würden wieder aussteigen, wenn dieses schon 2024 teurer würde als bisher. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Yougov-Instituts im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Demnach sei für über ein Drittel der Deutschlandticket-Inhaber und -Interessenten (37 Prozent) der derzeitige Preis von 49 Euro pro Monat die maximale Grenze. Sie würden das Abonnement für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) kündigen beziehungsweise nicht weiter in Erwägung ziehen, sollte es eines Tages teurer werden – das Ticket kann monatlich gekündigt werden. Sechs Prozent der befragten Inhaber und Kaufinteressierten wären allerdings sogar bereit, bis zu 89 Euro pro Monat zu zahlen.

Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), spricht in dem FAZ-Interview von den negativen medialen Auswirkungen der seit Monaten andauernden Hängepartie um das Deutschlandticket: „Wir verpassen gerade die Chance, noch viel mehr Kunden zu gewinnen, weil das Ticket nicht mit maximalem Esprit nach außen vertreten, sondern immer wieder Probleme aufgebracht werden, die eigentlich lösbar sind.“

Und weiter kritisiert Wolff die weiterhin mangelnde Finanzierungsbereitschaft des Bundes: „Der Bund versucht jetzt, bei der Finanzierung hart gegenüber den Ländern zu bleiben, und weigert sich, eine Zusage für die Hälfte der weiteren Einnahmeverluste zu geben. Das ist kein besonders guter Werbespot für ein Produkt, bei dem man sich wünscht, dass viele Bürger es kaufen und damit ihr Mobilitätsverhalten ändern.“ Nach den neuesten Zahlen haben rund zehn Prozent der Ticketkunden erstmals ein Nahverkehrs-Abonnement abgeschlossen, rund 90 Prozent sind jedoch von zumeist deutlich hochwertigeren Tickets mit beschränktem Geltungsbereich umgestiegen.

 

VDV mahnt Engagement des BMDV an

Im Interview wird auch die Reform der Verkehrsverbünde als ein wesentliches Ziel des neuen Tickets angesprochen. Durch eine Verschlankung der Strukturen seien laut einiger Berechnungen bis zu zwei Milliarden Euro einzusparen, was der VDV schon seit Beginn der Diskussion verneint. Wolff in der FAZ dazu: „Bislang war ÖPNV ein regionales Geschäft mit entsprechenden Strukturen. Deshalb wäre es wichtig, dass wir uns an einen Tisch setzen und uns darüber unterhalten, wie wir das hinbekommen. Dafür braucht es eine stärkere Führung durch das Bundesverkehrsministerium. Das hält sich bisher aber raus.“

Wolff macht nun wiederum deutlich, dass die Einsparwünsche nicht realistisch seien: „Das wird nicht dazu führen, dass in diesen Organisationen Personal abgebaut wird. Sie bleiben immer noch Dienstleister für die Notwendigkeiten vor Ort. Selbst wenn Sie fünf Verbünde zusammenlegen, brauchen Sie dieselbe Anzahl der Menschen, um das dann viel größere Gebiet mit den alltäglichen Aufgaben der Nahverkehrsorganisation vor Ort weiter zu bearbeiten. Wo hier 2 Milliarden Euro eingespart werden sollen, ist mir schleierhaft.“

Weiter erläutert Wolff, warum die Finanzierung des Tickets noch immer so unklar ist: „Das Ticket gibt es erst seit Mai, also noch kein komplettes Jahr. Aber davon abgesehen handelt es sich um Prognosen: Wie wollen Sie vorher etwas auf den Cent genau berechnen, wenn Sie die Ausgangsgröße nicht kennen? Wir wussten doch nicht, wie viele Leute das Deutschlandticket kaufen und wie viele davon aus alten Abos wechseln würden. Dafür ist auch ein Einführungszeitraum von zwei Jahren beschlossen worden. Danach soll evaluiert werden. Das finde ich sehr verantwortlich, weil man hier schließlich mit Steuergeldern umgeht. Bis dahin gucken wir in eine Glaskugel und das wirtschaftliche Risiko ist riesengroß. Irgendjemand muss das Risiko tragen, wenn das Geld nicht reicht. Das wird übrigens einer nicht sein, nämlich die Branche.“

Auch die rechtliche Verantwortung der Verbände und deren Verantwortliche für die ihnen anvertrauten Steuergelder dürfe laut Wolff nicht vergessen werden: „Es gibt ja eine Vermögensbetreuungspflicht für die Unternehmen und deren Geschäftsführer und Vorstände. Die machen sich also strafbar, wenn sie ein für ihr Unternehmen erkennbares wirtschaftliches Risiko einfach ignorieren. Deshalb brauchen wir eine Zusage, dass Geld nachgeschossen wird, wenn es nötig ist. Es ist simpel, der Staat muss für das bestellte Ticket korrekt bezahlen. Deshalb brauchen wir die Nachschusspflicht auch für 2024.“

Abschließend macht Wolff noch einmal auf den Paradigmenwechsel von der Eigenwirtschaftlichkeit hin zu steuerfinanziertem ÖPNV deutlich: „Jetzt wurde erstmals die Eigenwirtschaftlichkeit der Verkehrsunternehmen an den Nagel gehängt. Das würde mich dann nicht stören, wenn anständig und verantwortungsvoll über den Ausgleich der Verluste gesprochen würde. Aber zu sagen: Wir geben anderthalb Milliarden, und alle Finanzierungsfragen sind geklärt, das ist unanständig vom Bund.“ Schon vor rund einem Jahr warf Wolff dem Verkehrsminister in der Causa Unehrlichkeit vor.

 

VDV: Rund 400 Millionen Euro Mehrkosten für 2023 und 2024

Der VDV geht nach eigenen Berechnungen davon aus, dass die Verluste für die Branche in diesem Jahr wegen des Ticketstarts erst im Mai bei 2,3 Milliarden Euro liegen und für das gesamte Jahr 2024 bei 4,1 Milliarden Euro. Bei den bisher zugesagten sechs Milliarden Euro an öffentlichen Zuschüssen für 2023 und 2024 ergibt sich unter dem Strich eine Finanzierungslücke von rund 400 Millionen Euro.

Der Bund verweist auf die schon getroffenen Vereinbarungen und dämpft die Erwartungen. Man habe "als Geburtshelfer" des Tickets zugesagt, einmalig auch zusätzliche Kosten zu teilen, machte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag klar. Unter den haushälterischen Bedingungen des Bundes halte er es da für "nicht ganz unkompliziert", dies nun zu verstetigen. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) weist darauf hin, dass es auch noch gar keine genauen Berechnungen von Mehrkosten gebe. Erst nach dem vollen nächsten Jahr könne man den Bedarf tatsächlich beurteilen. Daher sei von Bund und Ländern auch vorgesehen, erst Ende 2024 über die weitere Finanzierung zu reden.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) habe laut dpa jedoch mehrmals deutlich gemacht, dass es vorerst keine genauen Berechnungen von Mehrkosten gebe. Erst nach dem vollen nächsten Jahr könne man den Finanzbedarf tatsächlich beurteilen. Daher sei von Bund und Ländern vorgesehen worden, erst Ende 2024 über die weitere Finanzierung zu sprechen. Am Freitag dämpfte Regierungssprecher Steffen Hebestreit laut dpa nochmals die Erwartungen an zusätzliche Finanzzusagen des Bundes.

 

VCD beschließt Resolution zum Ticket

Die Bundesdelegiertenversammlung des Verkehrsclub Deutschland (VCD) am 05. November in Wittenberg legte ihren inhaltlichen Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung des Bus- und Bahnverkehrs. Höhepunkt war die Resolution „49 Euro – Deutschlandticket für alle! – Allen Menschen ökologische Mobilität ermöglichen“. Die Pressemeldung stand unter dem griffigen Motto „Überleben des Deutschlandtickets muss Chefsache werden!“

Darin fordert der VCD den Bundeskanzler und seine Länderkollegen auf, das „Deutschlandticket als wichtigen Schritt zur ökologischen und sozialen Verkehrswende nicht zu gefährden – es müsse stattdessen weiter verbessert, Gerechtigkeitslücken geschlossen werden“. Die Finanzierung müsse jetzt über 2024 hinaus gesichert werden. Und der Preis dürfe „nicht schon im nächsten Jahr steigen.“ Zudem müsse das ÖPNV-Angebot flächendeckend ausgebaut werden, damit das Ticket überall nutzbar wird. 

Zudem mahnt die Resolution an, Deutschlandticket und Tarifstruktur bundesweit sozial gerecht und einheitlich auszugestalten – denn 49 Euro seien für viele Familien und Menschen mit wenig Geld nicht bezahlbar. Daher: Kinder unter 14 Jahren sollten den ÖPNV kostenlos nutzen dürfen. „Und wir brauchen das Deutschlandticket als Jugend- und Sozialticket für maximal 29 Euro!“ so der VCD.

Kerstin Haarmann, die VCD-Bundesvorsitzende, sagte: „Olaf Scholz muss das Überleben des Deutschlandtickets zur Chefsache machen. Er muss die Finanzierung sichern und dafür sorgen, dass es zusammen mit dem gesamten System des öffentlichen Verkehrs weiterentwickelt wird. Ökologische und für alle bezahlbare Mobilität kann es nur mit sozialen Tarifen und einem massiven ÖPNV-Ausbau geben. Ein billiges Ticket allein hilft nicht, wenn der Bus nicht kommt.“ Dieser geflügelte Satz ist mittlerweile einer der meistzitierten in Verbindung mit dem Ticket. 

Haarmann weiter: „Je weiter wir die Verkehrswende verschleppen, desto disruptiver, schwieriger und teurer wird sie. Die nötigen Investitionen für mehr Lebensqualität, sozialen Zusammenhalt und Klimaschutz müssen jetzt endlich kommen!“

 

Reaktionen aus der Politik

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang rief auch zu Kompromissen auf: "Eine Beendigung dieses Erfolgsprojekts wäre schlicht nicht vermittelbar und würde viel Vertrauen kosten. Bund und Länder sind deshalb gemeinsam gefragt, um eine Lösung für die zukünftige Finanzierung zu finden, jeder muss seinen Beitrag leisten", sagte sie der dpa.

(FAZ/dpa)

 

Dieser Artikel wird laufend aktualisiert. Die letzte Aktualisierung erfolgte am 06. November um 14:45 Uhr